Schweiz und EU
17. Februar 2014Noch hoffen viele Schweizer, dass es nicht so dick kommen wird. Dass sich die Wolken, die sich gerade über ihrem Land zusammenziehen, wieder auflösen werden. Dass es die Europäische Union vielleicht doch nicht ganz so genau nimmt mit den Verträgen und dass die jüngsten Ankündigungen aus Brüssel bloß Theaterdonner sind. Man werde die Verhandlungen über Forschungszusammenarbeit auf Eis legen, hatte ein Sprecher der EU-Kommission am Wochenende wissen lassen, auch das Studentenaustauschprogramm "Erasmus Plus" werde erstmal ohne die Schweiz weiter verfolgt.
"Ich fürchte, unsere Bevölkerung nimmt zum Teil noch nicht wahr, was das bedeutet", meint die Schweizer Nationalrätin Kathy Riklin, "aber es werden noch andere schmerzhafte Folgen eintreten." Die Christdemokratin beschäftigt sich als Präsidentin der EU-EFTA-Delegation im Schweizer Bundesparlament seit Langem mit den Beziehungen der Schweiz zur EU. Schon das vorläufige Ende der Forschungs- und Studentenprogramme treffe die Schweiz an einem empfindlichen Punkt, klagt sie.
Zurück in die Isolation
Seit gut zehn Jahren nimmt die Schweiz am milliardenschweren Forschungsprogramm "Horizon" der Europäischen Union teil. Allein für die Zeit von 2014 bis 2020 hat die EU dafür 80 Milliarden Euro bereitgestellt. Das Programm fördert gemeinsame Forschungprojekte von Unternehmen und Universitäten aus verschiedenen EU-Ländern. Doch nicht das Geld sei entscheidend, meint Nationalrätin Kathy Riklin, sondern der wissenschaftliche Austausch in internationalen Netzen und Netzwerken: "Seit wir hier mitmachen können, haben wir enorme Fortschritte gemacht." Die Christdemokratin Riklin fürchtet einen Rückfall der Universitäten in die Isolation: "Für die Schweiz war das Horizon-Programm ein Erfolgsmodell. Wenn das jetzt nicht mehr weitergeht, ist das eine Riesenenttäuschung und ein Riesenverlust für den Wissenschaftsstandort Schweiz."
Dasselbe gilt auch für das Studentenaustauschprogramm Erasmus, das jedes Jahr rund 3000 Schweizer Studenten und Professoren einen Aufenthalt an einer europäischen Universität ermöglicht. Beide Programme sind nun für Schweizer erstmal geschlossen, die EU nimmt bis auf weiteres keine Anträge mehr aus der Schweiz an.
Die Schweiz, das stille EU-Mitglied
Doch der Ausschluss der Schweizer aus den EU-Programmen "Horizon" und "Erasmus" ist womöglich nur der Anfang des langsamen Rauswurfs der Schweiz aus dem europäischen Binnenmarkt. Weil die Schweizer zwar möglichst viel von der Europäischen Zusammenarbeit profitieren, aber keinesfalls EU-Mitglied werden wollen, hat die Berner Regierung seit gut 50 Jahren mit Brüssel immer neue und immer engere bilaterale Abkommen augehandelt.
Gut 120 Verträge regeln inzwischen so ziemlich alles, bis hin zu der Frage, wie viele Rädchen einer Uhr in der Schweiz hergestellt sein müssen, damit sie als Schweizer Uhr verkauft werden darf. Und wenn die EU neue Richtlinien und Verordnungen beschließt, dann muss die Schweiz fast alle diese Richtlinien sofort in Schweizer Gesetze gießen, weil sonst ihre Produkte nicht mehr EU-Standard entsprechen und nicht mehr in die EU exportiert werden können.
Im Grunde sei die Schweiz längst ein stillschweigendes Mitglied der EU, meint der CDU-Europaabgeordnete Andreas Schwab: "Es gibt noch zwei Unterschiede: Zum einen kann die Schweiz über die Maßnahmen nicht mitentscheiden, die sie umsetzen muss, zum anderen gibt es noch Bereiche bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, wo sie nur teilweise mitmacht." Doch selbst hier arbeite Bern daran, die Schweiz enger an die EU heranzuführen, "weil es der eigenen Wirtschaft dient".
Aufschwung durch Freizügigkeit
Wirtschaftlich habe die Schweiz eindeutig von der Annäherung an die EU profitiert, bestätigt die Nationalrätin Kathy Riklin: "Der wirtschaftliche Aufschwung in der Schweiz kam eigentlich erst richtig mit dieser europäischen Freizügigkeit." Doch die Ängste vor der Überfremdung seien eben größer gewesen. Sie glaubt, dass die meisten Schweizer sich einfach nicht vorstellen können, dass die Europäische Union jetzt wegen dieses Referendums alles in Frage stellen könnte. Sie hofft, dass ihre Landsleute Recht behalten: "Ich denke, dass viele Verträge ja auch zum Vorteil der Europäischen Union sind."
Doch die Gewichte sind ungleich verteilt. Zwei Drittel der Schweizer Exporte gehen in die EU, umgekehrt macht die Schweiz in den Ausfuhrstatistiken der EU-Länder nicht einmal sieben Prozent aus. Für den Baden-Württemberger Europaabgeordneten Andreas Schwab steht zudem die Glaubwürdigkeit der EU auf dem Spiel: "Aus meiner Sicht gibt es keine Verhandlungsmöglichkeiten." Denn die EU habe von Beginn an klargestellt, dass die Abkommen mit der Schweiz als Paket behandelt würden: Kippt ein Vertrag aus diesem Paket, kippen alle Verträge.
Zurück auf Anfang
"Für die Schweizer Wirtschaft wäre das ein herber Schlag", meint die Berner Nationalrätin Riklin - so herb, dass sie sich gar nicht vorstellen mag, dass es dazu kommen könnte. Sollte die Europäische Union tatsächlich hart bleiben, meint sie, dann müssten eben die Schweizer Bürger nachgeben. Es sei schließlich nicht das erste Mal, dass eine so wichtige Frage ein zweites oder drittes Mal zur Abstimmung gestellt würde. Auch das Frauenwahlrecht sei nicht im ersten Durchgang beschlossen worden: "Eine Demokratie ist in Bewegung, man kann auch gescheiter werden."
Nach jüngsten Umfragen wollen 74 Prozent der Schweizer die bilateralen Verträge mit der Schweiz unbedingt rettten.