Schweizer feiern neuen Gotthard-Tunnel
1. Juni 2016Nach 17-jähriger Bauzeit ist es endlich so weit: Der neue Gotthard-Basistunnel in der Zentralschweiz ist mit viel Politprominenz in Betrieb genommen worden. An der Eröffnung am nördlichen Tunneleingang in der Ortschaft Erstfeld sowie der Jungfernfahrt zum Südportal in Bodio nahmen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt teil. Mit im Zug saßen auch der französische Präsident Francois Hollande und der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi.
Mit dem Ausruf "Bahn frei" eröffnete der Schweizer Bundespräsident Johann Schneider-Amman (Artikelbild Mitte) den neuen Gotthard-Basistunnel. Auf das Signal hin fuhren zwei Züge mit jeweils 500 Bürgern vom Nord- und Südportal aus in den mit 57 Kilometern längsten Eisenbahntunnel der Welt. Schneider-Ammann würdigte die Eröffnung als "historischen Tag". An der Fertigstellung des "Jahrhundertwerks" hätten mehrere Generationen mitgewirkt. "Es ist ein wichtiger Schritt für die Schweiz, für unsere Nachbarn und den Rest des Kontinents", sagte das Schweizer Staatsoberhaupt.
Vor dem Staatsakt stand eine Segnungszeremonie auf dem Programm: Im Berg kamen ein Pater, eine Pfarrerin, ein Imam, ein Rabbiner und Vertreter der Konfessionslosen zusammen. Die Zeremonie fand aus Sicherheitsgründen nicht im Gotthard-Tunnel selbst, sondern in einem sogenannten Mustertunnel etwas entfernt davon statt.
Zu den ersten Fahrgästen der Eröffnungszüge gehörten 1000 per Los ermittelte Einwohner der Schweiz. Damit danken Regierung und die Schweizerischen Bundesbahnen der Bevölkerung symbolisch dafür, dass sie das umgerechnet elf Milliarden Euro teure Bauwerk mit ihrer Zustimmung bei einem Volksentscheid sowie als Steuerzahler möglich gemacht hat.
Vorzeigeprojekt für grenzüberschreitende Mobilität
Dobrindt würdigte das Schweizer Jahrhundertbauwerk im Vorfeld als "historisches Schlüssel- und Vorzeigeprojekt für grenzüberschreitende Mobilität". Der neue Tunnel verbinde Industrie- und Ballungszentren auf beiden Seiten der Alpen und helfe damit, "die Wirtschaft und die Menschen in Europa noch enger zusammenzuführen". Auch deutsche Unternehmen und Fachleute waren an dem Großprojekt beteiligt.
Der Eisenbahntunnel unter dem Gotthardmassiv ist mit 57 Kilometern Länge der längste Eisenbahntunnel der Welt. Er wurde weitgehend im Rahmen der finanziellen und zeitlichen Vorgaben gebaut. Im Vergleich zum alten Gotthard-Tunnel ist die neue Alpen-Verbindung schneller und mit mehr Zügen befahrbar. Der neue Tunnel soll die Fahrzeit zwischen Zürich und Mailand um 45 Minuten verkürzen. Mit dem europäischen Großprojekt sollen weite Teile des Güterverkehrs zwischen dem Nordseehafen Rotterdam und Genua am Mittelmeer von der Straße auf die Schiene verlegt werden. Als Herzstück der "Neuen Eisenbahn-Alpentransversale" (NEAT) soll der Gotthard-Basistunnel Industriezentren und Ballungsräume nördlich und südlich der Alpen effektiver miteinander verbinden. Der fahrplanmäßige Betrieb soll nach weiteren Testfahrten am 11. Dezember beginnen.
Organisatorische Meisterleistung
Weltweit wird der neue Gotthard-Eisenbahntunnel als herausragende technische und organisatorische Meisterleistung gewürdigt. Seine Gleise verlaufen bei nur geringen Steigungen sowie ohne enge Kurven auf einer Höhe von maximal 550 Metern über dem Meeresspiegel. Experten sprechen von einer "Flachbahn". Darüber türmt sich bis zum Gipfel des Gotthards bis zu 2300 Meter Fels. Dank der nur geringen Höhe und des ebenen Streckenverlaufs brauchen Züge weniger Lokomotiven und können so preisgünstiger, vor allem weit schneller als im alten Gotthard-Tunnel fahren - Personenzüge mit bis zu 250 Stundenkilometern, Güterzüge mit bis zu 160 km/h. Statt bislang maximal 180 Güterzüge sollen künftig pro Tag 260 durch die neuen Röhren rollen.
Wie sehr die Schweizer zur Verkehrspolitik ihrer Regierung und insbesondere zum Gotthard-Basistunnel stehen, machte eine repräsentative Umfrage kurz vor dessen Eröffnung deutlich: Acht von zehn Schweizern erachten demnach die Milliardenkosten für gerechtfertigt. Als Grund nannten sie erwartete wirtschaftliche Vorteile. Zudem erklärten 80 Prozent der Befragten, dass solche Projekte wichtig seien "für das Bild der Schweiz im Ausland".
kle/stu (dpa, afp, ARD)