Schweizer Rundfunk unter Reformdruck
4. März 2018Der Verwaltungsratspräsident der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) Jean-Michel Cina sprach von einem guten Tag "für all jene, denen es wichtig ist, ein unabhängiges, ausgewogenes Informationsangebot in allen vier Sprachregionen zu haben" - in den Amtssprachen, Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Dennoch zeigt die Abschaffungskampagne Wirkung: Die SRG stellte umfassende Reformen in Aussicht. SRG-Generaldirektor Gilles Marchand sprach von einem starken Signal für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die privaten Regionalsender, die von den Gebühren profitieren. Zugleich kündigte er einen drastischen Sparkurs an. Die SRG will nach eigenen Angaben binnen fünf Jahren 100 Millionen Franken einsparen. 20 Millionen Franken sollen demnach reinvestiert werden.
Breite Zustimmung
71,6 Prozent der Teilnehmer hatten bei der Volksabstimmung gegen die Abschaffung der Rundfunk- und Fernsehgebühren votiert. Der Volksentscheid war der Höhepunkt zum Teil heftig geführter Diskussionen. Sie hatten die Schweiz polarisiert wie kaum ein anderes Thema in den vergangenen Jahren.
Worum ging es? Vor allem um die Rundfunkgebühren von derzeit jährlich rund 450 Schweizer Franken (390 Euro), mit denen der öffentlich-rechtliche Rundfunk zu etwa zwei Dritteln finanziert wird. Im kommenden Jahr sollen die Gebühren auf 365 Franken (316 Euro) gesenkt werden. Die Befürworter der Initiative hatten verlangt, die Abgabe ganz abzuschaffen.
Kirchen stehen zum SRG
Mit Erleichterung reagierten Vertreter der Kirchen. Der Medienbischof der Schweizer Bischofskonferenz, Alain de Raemy, kommentierte das Ergebnis gegenüber dem Portal kath.ch mit den Worten: "Der Schweizer Geist hat dem Zeitgeist standgehalten und den christlichen Wert der Solidarität hochgehalten."
Zugleich warnte der Weihbischof des Bistums Lausanne-Genf-Freiburg vor einer Orientierung am "Zeitgeist des Profits" und einer Fixierung auf Zuschauer- und Zuhörerquoten. Er plädierte stattdessen für ein "Immer besser anstatt immer mehr", auch wenn dies mit Kosten verbunden sei.
Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund begrüßte ebenfalls das Abstimmungsergebnis. Das Votum zeige, dass die Schweizer mehrheitlich Radio und Fernsehen nicht allein dem Spiel der Marktkräfte überlassen wollten, zitiert kath.ch den Sprecher Thomas Flügge.
Der Präsident der Eidgenössischen Medienkommission Otfried Jarren zeigte sich in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) überrascht von dem deutlichen Ergebnis. Die Debatte sei im Vorfeld "sehr polemisch" verlaufen. Die Diskussion werde allerdings weitergehen.
Zustimmung aus Deutschland
CDU und Grüne in Deutschland äußerten sich erfreut über den Ausgang des Volksentscheids. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei wichtiger denn je, erklärte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner. "In Zeiten der Desinformation und Desintegration der öffentlichen Meinungsbildung bildet er ein Forum für alle und gewährleistet hohe journalistische Standards."
Ähnlich äußerte sich der medienpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Marco Wanderwitz (CDU). Der öffentlich-rechtliche Rundfunk biete "in Zeiten von um sich greifender Falschinformation" und angesichts eines unübersichtlichen Informationsangebots im Internet "verlässliche Inseln der Orientierung".
Der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm nannte die Ablehnung der Initiative "ein wichtiges Signal für unabhängigen Qualitätsjournalismus auch über die Schweiz hinaus". Es sei falsch, allein auf die Kräfte des Marktes zu vertrauen. "Mit einer Vielzahl an Marktlösungen und Bezahlmodellen wird es nicht gelingen, für die unterschiedlichsten Interessen ein so breites Gesamtpaket in dieser Qualität und regionalen Vielfalt zu liefern", erklärte Wilhelm.
Rechtspopulisten der AfD gegen ARD und ZDF
Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommt wie in der Schweiz auch in Deutschland nicht zuletzt aus dem rechten Parteienspektrum. Die AfD wirft ARD und ZDF tendenziöse Berichterstattung vor, bei Themen wie der Migration, aber auch über die Partei selbst. Das Modell des gebührenfinanzierten Rundfunks stamme aus einer längst überholten Zeit. Im Zeitalter des Internets müssten Bürger selbst entscheiden dürfen, für welche Medieninhalte sie zahlen wollten.
In Deutschland sprachen sich bei einer Umfrage für die Zeitungen der Funke-Mediengruppe 39 Prozent der Befragten für eine Abschaffung von ARD und ZDF aus. Rund 55 Prozent waren dagegen. Die "Bild am Sonntag" ließ erheben, dass 64 Prozent der Deutschen auch gerne über Rundfunkgebühren abstimmen würden. Das deutsche Grundgesetz lässt aber Volksabstimmungen auf Bundesebene nicht zu. "Wenn es um die Öffentlich-Rechtlichen geht, hat bei Umfragen jeder etwas zu meckern", sagte Politikwissenschaftler Patrick Emmenegger von der Universität St. Gallen der Deutschen Presse-Agentur. "Dann wird aber vielen schnell klar, dass eine Abschaffung keine gute Idee ist. Sie schauen die 'Tagesschau' mit ihrem Qualitätsstandard doch lieber als Nachrichtensendungen von privaten Anbietern."
Mehr Werbung und Bezahlsysteme
Der Anstoß zum Volksentscheid über die Rundfunkgebühren kam von der Initiative "No Billag". Billag ist das Unternehmen, das die Gebühren einzieht. Die "No Billag"-Unterstützer hatten argumentiert, der gebührenfinanzierte Rundfunk sei zu teuer. Außerdem seien mündige Bürger selbst in der Lage zu entscheiden, welche Medien sie nutzen und für welche sie bezahlen wollen.
Die Befürworter der Abschaffung setzten auf mehr Werbung und mehr Bezahlkonzepte wie bei privaten Sendern und Streamingdiensten. Die rechtsgerichtete Schweizerische Volkspartei unterstützte die Initiative.
Die Befürworter des bisherigen Systems betonten dagegen, ein unabhängiger Rundfunk sei essenziell für eine funktionierende Demokratie. Für den Fall einer kompletten Abschaffung der Gebühren hatten die Kritiker der "No-Billag"-Initiative ein Aus für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk befürchtet.
cgn/jj/fab (dpa, afp, epd, kna)