Schwieriger Dialog um die Macht in Mali
4. September 2020Die Sheabutter-Händlerin Ma Koné ist 52 Jahre alt - und hat bereits vier Staatsstreiche miterlebt. Sie hat ihren Stand auf dem Markt von Kati, der Garnisonsstadt am Rand der Hauptstadt Bamako, aus der alle bisherigen Putsche ausgingen: zuletzt gegen Ibrahim Boubacar Keita, der in Mali oft "IBK" abgekürzt wird. "Die anderen Staatsstreiche waren sehr gewalttätig, es gab Verletzte, es war wirklich kompliziert", sagt Koné der DW. "Diesmal war alles an einem Tag vorbei."
Kultur des Dialogs
Doch die Normalität auf den Straßen von Kati trügt: Der Putsch war zwar auf den 18. und 19. August beschränkt, doch seitdem ringen Militärjunta, Zivilgesellschaft und ausländische Akteure darum, wie es weitergehen soll in Mali.
Dass es in Malis Bevölkerung verhältnismäßig großen Rückhalt für die verfassungswidrige Aktion gibt, erklärt Julia Leininger vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik mit der Geschichte des Landes: 1991 mündete ein Putsch gegen den seit 22 Jahren amtierenden Präsidenten Moussa Traoré in einen großen nationalen Dialog, an dessen Ende eine neue, freiheitlichere Verfassung stand.
"Es ist legitim in der gesellschaftlichen Wahrnehmung vieler, dass man für mehr Demokratie einen Präsidenten wegputschen kann, auch wenn es nicht legal ist", sagt die Mali-Expertin im DW-Interview. Sie sieht in der aktuellen Lage eine Chance.
Wer hat das Sagen in Mali?
Ob der jüngste Putsch positive Auswirkungen auf die Demokratie im Land hat, ist indes noch offen. Unmittelbar danach begannen Gespräche - als wichtigste Akteure verhandeln die Junta, das zivilgesellschaftliche Bündnis M5-RFP, und die westafrikanische Regionalgemeinschaft ECOWAS.
Auch bewaffnete Gruppen wie die "Plattform der Bewegungen des 14. Juni 2014 von Algier" sind eingebunden - darunter sind ehemalige malische Rebellengruppen gebündelt, die in der algerischen Hauptstadt ein Friedensabkommen mit der malischen Regierung unterzeichnet hatten. Mohamed Ag Albachar, ein Sprecher des Bündnisses, sagte der DW: "Wir sind bereit den Übergang zu begleiten, damit wir Wahlen organisieren und die Verfassung einer Republik haben können."
Nicht beteiligt sind terroristische Einheiten, die im Norden des Landes zum Teil Gebiete kontrollieren und unter dem Deckmantel des Islamismus Schmuggelrouten durch die Sahara offenhalten. Weder die malische Armee noch internationale Militäroperationen haben es geschafft, die seit dem Coup 2012 - der den nun geputschten Präsidenten IBK erst an die Staatsspitze brachte - fragile Region zu stabilisieren. Sie glaube nicht, dass sich der Konflikt im Norden "durch das Machtvakuum an der Staatsspitze notwendigerweise verstärkt", sagt DIE-Expertin Leininger. Bereits vor dem Putsch hatte sich die Lage zugespitzt; 2019 war UN-Angaben zufolge mit rund 4000 getöteten Menschen das gewaltvollste Jahr in der jüngeren malischen Geschichte.
Drei Konfliktfragen
Bevor die Sicherheitslage in den Fokus rücken kann, gilt es jedoch, drei grundsätzlichere Fragen zu klären: Bereits die Länge einer Übergangsphase zur Ausgestaltung einer neuen verfassungsgemäßen Ordnung ist strittig. Das Militär hat drei Jahre als Zielmarke ausgegeben, die Staatengemeinschaft ECOWAS drängt auf eine Lösung innerhalb eines Jahres. Das Bündnis M5 hat als Kompromiss 18 Monate vorgeschlagen - Julia Leininger vom DIE rechnet damit, dass es darauf hinauslaufen wird.
Auch, wer bis dahin den Transitionsprozess leiten soll, ist strittig: Umfragen deuten darauf hin, dass die meisten Malier eine zivile Übergangsregierung wollen. Selbiges verlangte auch der Exekutivsekretär der G5-Sahelgruppe, Maman Sidikou, vor einer Woche der DW. Allerdings fordert das Militär eine Konstellation aus militärischer Spitze und zivilem Stellvertreter; die ECOWAS will es andersherum.
Die dritte zentrale Frage ist, was in der Übergangsphase eigentlich geschehen soll: Braucht es gezielte Reformpläne oder gleich eine neue Verfassung? Wie viele Interessenvertreter sollen an so einem Prozess beteiligt werden?
Am Ende könnte neben einer neuen Verfassung auch ein neuer Anlauf für die Befriedung des Nordens stehen, sagt Claus-Dieter König. Er arbeitet in Dakar im Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der politischen Stiftung der deutschen Partei "Die Linke". "Vielleicht wird es notwendig sein, das Abkommen von Algier zu erneuern oder mit allen bewaffneten Gruppen Vereinbarungen zu treffen, auch mit dschihadistischen Gruppen", sagt König.
Wer hat das letzte Wort?
Doch noch ist nichts entschieden über den Übergang. Insbesondere das recht breite Bündnis M5 steht unter dem Druck, sich auf gemeinsame Positionen gegenüber der Junta zu verständigen. Julia Leininger hält nicht für ausgeschlossen, dass es innerhalb der M5 zu einem Bruch kommen könnte, je länger verhandelt wird. "Die Nervosität steigt an, weil gleichzeitig die Finanzmittel nicht fließen", sagt die Politikwissenschaftlerin.
Seit dem Putsch haben ECOWAS und Afrikanische Union bestimmte Geldflüsse nach Mali zugedreht, um die Rückkehr zu einer verfassungsgemäßen Regierung des Landes zu erzwingen. "Die Junta braucht ja auch eine Finanzierung, der malische Staat wird sich über einen längeren Zeitraum nicht aufrechterhalten", sagt Leininger. "Bleibt die Frage, ob China, Russland, saudische Staaten einspringen würden."
Soll heißen, eine demokratische Einigung unter dem Druck der Sanktionen könnte gelingen - sofern kein ausländischer Geldgeber mit anderen Zielen die Druckmittel der Regionalmächte aushebelt.
IBK aus dem Rennen
Der geputschte IBK war Mitte der Woche mit Symptomen eines leichten Schlaganfalls im Krankenhaus. Julia Leininger geht davon aus, dass er möglicherweise nach Frankreich, Senegal oder Saudi-Arabien ausreisen will - und dass seine Gesundheit dafür einen Vorwand darstellen könne. "Das ist eine Möglichkeit - ich sage nicht, dass es so ist." Bei der zukünftigen Machtverteilung in Mali hätte IBK ohnehin nichts mehr mitzureden.
Mitarbeit: Paul Lorgerie (Kati), Eric Topona
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