Schwieriges Terrain für den Pontifex
22. September 2018"Christus Jesus, unsere Hoffnung". Unter diesem Motto steht die Baltikum-Reise von Papst Franziskus. Und unorthodox, wie vieles bei diesem Pontifex, ist dabei absichtsvoll das Wort Christus (Griechisch für "der Gesalbte, Erwählte") vorangestellt und nicht wie üblich "Jesus Christus".
Seine Kernbotschaft eines schlichten, aufrichtigen und volksnahen Glaubens will Franziskus von diesem Wochenende an auf seiner viertägigen Reise nach Litauen, Lettland und Estland tragen.
Mit zwei Tagen wird Litauen dabei die längste und wichtigste Station sein. Dort wird der Papst zunächst Präsidentin Dalia Grybauskaite treffen, anschließend ist ein Besuch und Gebet im Museum der Besatzung und des Freiheitskampfes in Vilnius geplant, in dem die Leiden und der Widerstand während der sowjetischen und NS-deutschen Okkupation dokumentiert sind.
Unabhängigkeitserklärung vor 100 Jahren
Für die baltischen Nationen ist der erste Besuch eines Papstes seit 25 Jahren gerade jetzt von besonderer Bedeutung: Die Länder gedenken derzeit der Erlangung ihrer Unabhängigkeit nach dem Ersten Weltkrieg vor genau 100 Jahren.
Mit Papst Johannes Paul II. war 1993 erstmals überhaupt ein Pontifex in die Ostsee-Staaten gereist - nur wenige Tage, nachdem die sowjetischen Truppen abgezogen waren und somit ein halbes Jahrhundert sowjetischer Besatzung beendeten.
Die Erinnerung daran ist noch immer lebendig. Vytautas Landsbergis, das erste Staatsoberhaupt im wieder unabhängigen Litauen, hatte Johannes Paul II. eingeladen. Als der Besuch dann stattfand, saß Landsbergis für die Opposition im Parlament, nachdem er die Präsidentschaftswahl 1992 verloren hatte.
"Das für mich bewegendste Bild war, als das Personal des litauischen Parlaments, alle Boten, Wachleute, Putzkräfte zugleich in dem Moment niederknieten, als Johannes Paul II. das Gebäude betrat," erzählt Landsbergis gegenüber der DW. Der heute 85-Jährige und seine Frau werden an der Papstmesse am 23.September teilnehmen. Sie wird in Kaunas stattfinden, Litauens zweitgrößter Stadt und Hauptstadt der Zwischenkriegsjahre. "Heute sind die Politiker in aller Welt überzeugt, dass die Wirtschaft alles in unserem Leben bestimmt. Papst Franziskus hat eine erfrischende Art, uns daran zu erinnern, dass das nicht so ist. Dass Gier und ungezügelter Individualismus große Probleme aufwerfen", meint Landsbergis.
Kapitalismus bleibt im Baltikum trendy
Während Franziskus mit seiner kapitalismuskritischen Haltung und mit seinen Sorgen um den Klimawandel in anderen Teilen des Westens Sympathien gewonnen hat, wird er im Baltikum weit skeptischer gesehen. 25 Jahre nach dem Ende der sowjetischen Besatzung ist für die Menschen hier persönliche Freiheit und Individualismus zentral.
"Dieser Papst sagt uns unentwegt, dass unsere größte Sünde die Gleichgültigkeit sei", sagt Vater Ricardas Doveika, früherer Kanzler der römisch-katholischen Diözese Vilnius. "Das ist genau das, was wir aus kommunistischer Zeit geerbt haben, als jeder nur seinen Geschäften nachging. Nun kombiniert mit dem Ich-zentrierten Konsumismus der neuen Ära. Kein Wunder, dass in unserem Land beinahe 4.000 Kinder in Waisenhäusern haben, obwohl ihre Eltern noch leben! Bei seinem Besuch wird der Papst das zuerst ansprechen, da bin ich mir sicher", sagt Ricardas Doveika.
Probleme des litauischen Katholizismus
Alkoholismus, vor allem in ländlichen Gegenden, hohe Abtreibungsraten und eine schwindende Zahl von Kirchgängern, das sind die größten Sorgen der katholischen Kirche in Litauen.
"Manche vergleichen die Situation mit dem standhaft katholischen Nachbarland Polen. Auch dort sind diese Tendenzen zwar zu erkennen," sagt Laurynas Kasčiūnas, konservativer Parlamentsabgeordneter und praktizierender Katholik. "Aber nehmen Sie Warschau, die säkularste Stadt. Da ist die Sonntagsmesse zu 30 Prozent gefüllt. Ich wünschte, wir hätten solche Zahlen hier. Selbst auf dem traditionell religiöseren Land sind es bei uns bestenfalls zehn bis 15 Prozent."
Kirchenkritiker in der Kritik
Kasčiūnas und der Papst könnten eigentlich Trost darin finden, dass Kritik an der Kirche und eine völlige Abkehr vom Glauben, anders als im sonstigen Europa, in Litauen deutlich weniger präsent sind. Im August traten Mitglieder einer Perfomance-Gruppe namens Zero Live als Priester verkleidet auf und hielten eine spöttische 'Predigt' vor Gemeindemitgliedern, die in der Kathedrale der Kleinstadt Salcininkai zur Messe zusammengekommen waren. Der Auftritt sorgte in den sozialen Netzwerken für viel Aufmerksamkeit, fand aber kaum Sympathien. Überwiegend wurde das Event zwar als nicht illegal, aber moralisch verwerflich angesehen. Nur eine kleine Minderheit sah es durch die Freiheit der Kunst gedeckt.
"Warum, ist leicht zu erklären", sagt dazu ein Vatikan-Sprecher gegenüber der DW: "Die Katholische Kirche wurde während der sowjetischen Besatzung fast ausgelöscht. Dieses Märtyrertum prägte zu weiten Teilen die Sicht der Leute. Sie sehen in der Kirche noch immer eine Kraft des Guten und neigen daher dazu, ihr ihre Schwächen zu verzeihen."