Science Soap für Mädchen
25. Juni 2013Keine Tapete, kein Teppich, keine Bilder. Der Seminarraum der Rostocker Universität ist funktional und schlicht. Und dennoch müssen sich die fünf jungen Frauen, die hier zusammensitzen, gerade gedanklich in die gemütliche Wohnküche von Nele hineinversetzen. Nele ist eine der Hauptfiguren in Deutschlands erster Science Soap Opera.
In einem Drehbuchseminar am Fachbereich Kommunikationswissenschaft haben 15 Rostocker Studentinnen und immerhin ein Student im vergangenen Wintersemester die Rohfassung des Drehbuchs geschrieben. Die liegt nun in einer grauen Kladde vor der Dramaturgin Janny Fuchs, die daraus das fertige Konzept mit pointierten Dialogen schreiben soll.
"Sturm des Wissens"
Noch darf über den Inhalt der ersten fünf Folgen eigentlich nicht geredet werden. Nur der Titel ist bekannt: "Sturm des Wissens". Wer gerne nachmittags Soaps im deutschsprachigen Fernsehprogramm schaut, versteht die Anspielung auf die Serie "Sturm der Liebe". "Unsere Soap wird eine Art Wissenschaftskrimi sein" sagt die Dramaturgin Janny Fuchs und verrät dann noch, dass Nele mit ihrem Vater nach Rostock zieht und jemanden kennenlernt, der ihr sehr gut gefällt. "Sie trifft eine alte Schulfreundin wieder, kommt in die Bereiche Physik und Meeresbiologie und daraus entwickelt sich eine spannende Geschichte, weil es zu klären gilt: Warum geht es der Robbe Henry schlecht?"
Begonnen hat alles mit einem flott zusammengeschnittenen Trailer. Der wurde 2012 im Wettbewerb "Stadt der Wissenschaft" des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft mit einem Preisgeld von 50.000 Euro ausgezeichnet. Die Jury überzeugte vor allem die Idee, mit einer Science Soap junge Frauen für die sogenannten MINT-Fächer zu gewinnen, also für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Bei den Ingenieurwissenschaften zum Beispiel sind nur 20 Prozent der Absolventen weiblich – und das, obwohl Mädchen beispielsweise im Fach Mathematik in der Schule im Schnitt besser sind als die Jungen.
Wissenschaft zwischen Nagellack und Liebesschwüren, ...
... zwischen Intrigen und Sonnenuntergang am Ostseestrand zu präsentieren, klingt allerdings nach einer großen Klischeefalle. Dagegen wehrt sich die Rostocker Medienprofessorin Elizabeth Prommer jedoch und rät, den Dünkel gegenüber Soaps und ähnlichen Formaten über Bord zu werfen. "Es ist nun mal eine Tatsache: Junge Frauen zwischen 15 und 18 gucken gerne 'Gute Zeiten, schlechte Zeiten' oder 'Germany's next Topmodel', sagt die Rostockerin, die zahlreiche Studien zu den Fernsehgewohnheiten ausgewertet hat. Junge Männer hingegen mögen vor allem den Humor der Simpsons oder der Serie "Big Bang Theory".
Die Medienprofessorin Elizabeth Prommer ist sich sicher: Wenn die Zielgruppe junge Frauen sind, dann müssen wissenschaftliche Themen in ein Format gepackt werden, das den Rezeptionsgewohnheiten der Zuschauerinnen entspricht. Und neben einer schlüssigen Geschichte, neben Liebe, Spannung und Dramatik, müssten auch weibliche Universitätskarrieren eine Rolle spielen. Elizabeth Prommer führt gern ihr eigenes Beispiel vor: Die Professorin leitet das Institut für Medienforschung an der Rostocker Universität, hat drei Kinder – und ihren Mann, den hat sie an der Universität kennen gelernt. Damals war er ihr Dozent.
Verkitschung der Wissenschaft?
Ende Juni soll das Drehbuch endgültig fertig sein. Doch schon jetzt liegt auf dem Schreibtisch von Informatikprofessor Uwe von Lukas ein aktueller Entwurf. Der Direktor des Fraunhofer Instituts für graphische Datenverarbeitung in Rostock hatte die Idee für die Science Soap. Als großen Fernseh-Soap-Fan würde er sich nicht bezeichnen. Aber er erinnert sich - und lächelt dabei etwas verlegen - dass er "Dallas", die erste weltweit ausgestrahlte Primetime-Seifenoper, regelmäßig geguckt hat.
Uwe von Lukas engagiert sich seit langem im Verein "Rostock denkt 365°", in dem alle wissenschaftlichen Einrichtungen der Hansestadt zusammenarbeiten. Und er sucht ständig nach Möglichkeiten, die Öffentlichkeit für das zu interessieren, was in den Laboren und Instituten geschieht. Die neue Science Soap ist für Uwe von Lukas ein Weg, das zu erreichen. Die Gefahr, dass Wissenschaft zu schnulzig dargestellt wird, sieht auch er nicht. Im Gegenteil. Er ist sich sicher, dass die Serie Klischees bedienen muss, um beim Zielpublikum anzukommen. Der Informatiker achtet jedoch darauf, dass genug Science in der Rostocker Soap ist.
Schauspielstudierende in den Hauptrollen
Fünf Folgen wird die Serie "Sturm des Wissens" zunächst haben, die mit einer Sendelänge von zehn Minuten recht kurz sind. Das Geld für das Projekt kommt aus verschiedenen Töpfen. Neben den 50.000 Euro vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft unterstützt auch die Hansestadt Rostock das Projekt mit 30.000 Euro. Sogar die Rechte am Titel "Sturm des Wissens" hat man sich vorsichtshalber gesichert.
Im Sommer wird in den Laboren der Rostocker Universität, aber auch in der Robbenforschungsstation der Uni direkt an der Ostsee gedreht. Die Rollen werden nicht von echten Wissenschaftlern gespielt, sondern von Schauspielstudierenden der Rostocker Hochschule für Musik und Theater. Ein rein studentisches Projekt soll die Science Soap dennoch nicht werden: Regie, Kamera und Produktion übernehmen professionelle Rostocker Medienschaffende.
Demnächst vielleicht auch mit englischer Synchronisierung
Noch in diesem Herbst soll die Serie vor allem übers Internet verbreitet werden. Uwe von Lukas hofft, dass die Wissenschaftsseifenoper auch ein Marketinginstrument für Rostock sein kann. Es nervt ihn, dass Mecklenburg-Vorpommern sich immer nur mit Ostseestrandkörben und rapsgelben Feldern präsentiert oder dafür wirbt, Gesundheitsland zu sein. "Die tolle Wissenschaft, die wir hier betreiben, traut man uns selten zu", sagt der Rostocker. Heimlich träumt Uwe von Lukas schon davon, die Serie auch englisch zu synchronisieren, um mehr ausländische Studierende und Forscher in den Nordosten Deutschlands zu locken.