Sechs Jahre Haft für den "deutschen Taliban"
10. Dezember 2018Ohne sichtbare Gefühlsregung, mit starrem Gesicht, nahm der "deutsche Taliban" das Urteil auf. Die Strafe hätte deutlich härter ausfallen können, bis zu lebenslänglich. Sechs Jahre Haft bekommt er für die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und für einen Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Wegen versuchten Mordes allerdings wurde Thomas K. am Ende nicht verurteilt. Der 37-Jährige war von Anfang an zu einer Aussage bereit und voll geständig. Diese Kooperationsbereitschaft wurde ihm strafmildernd angerechnet.
Fünfeinhalb Jahre bei den Taliban
Thomas K. war angeklagt, weil er sich in Pakistan und Afghanistan den Taliban angeschlossen hatte, die in Deutschland als terroristische Vereinigung gelten. Welcher Vergehen er sich in seinen fünfeinhalb Jahren in den Reihen der gewaltbereiten Islamisten schuldig gemacht hat, darum ging es in dem seit Oktober laufenden Verfahren vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. Dass Thomas K. nicht der kühl berechnende Bombenbauer und Sprengfallen-Experte war, für den er nach seiner Festnahme zunächst gehalten wurde, wurde im Laufe des Verfahrens deutlich. Das Gericht halte ihn nicht für einen Top-Terroristen, sagte der Vorsitzende Richter Lutz Bachler bereits zur Mitte des Prozesses. Allerdings sei K. "auch kein Pflaumendieb".
Während des zwei Monate dauernden Prozesses waren fünf Mitarbeiter des Bundeskriminalamts (BKA) als Zeugen befragt worden. Zwei Sachverständige hatten ein psychiatrisches Gutachten erstellt. Demnach ist Thomas K. voll schuldfähig. An einer Schizophrenie, wie er selbst es sagt, leide er nicht.
Die Ausgangslage bei diesem Gerichtsverfahren war nicht einfach. Zum einen, weil die Tatvorwürfe sich über "einen sehr langen Zeitraum von mehreren Jahren" erstreckten, erklärte Yorck Fratzky, einer der beiden Pflichtverteidiger, im Verlauf des Prozesses gegenüber der Deutschen Welle. Darüber hinaus sei die Beweislage bei Verfahren mit Auslandsbezug immer schwierig. "Das eine oder andere Detail wäre ohne die Angaben von Herrn K. sicherlich gar nicht aufklärbar gewesen."
Festnahme in Afghanistan
Rückblick: Februar 2018 im südafghanischen Helmand: Thomas K. sitzt im Schneidersitz auf dem Boden, schaut mit großen Augen direkt in die Kamera. Neben ihm knien zwei schwer bewaffnete afghanische Soldaten, US-amerikanische sind bei der Razzia ebenfalls dabei. Einer der Beteiligten zückt sein Handy und filmt die Szene, später wird der Clip auf Youtube hochgeladen. In dieser Nacht endet für Thomas K. seine Zeit bei den Taliban.
Mehr als fünf Jahre hatte Thomas K. nach seiner Ausreise aus Deutschland im Sommer 2012 in Pakistan und Afghanistan verbracht, schloss sich unter anderem dem berüchtigten Haqqani-Netzwerk an. Das Terrornetzwerk wird für eine Reihe besonders brutaler Anschläge in Afghanistan verantwortlich gemacht, allen voran der Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul im Mai 2017. Damals starben über 150 Menschen. Zuletzt hielt sich Thomas K. in der südafghanischen Provinz Helmand auf - als Mitglied der "Roten Brigade" genannten Spezialkräfte der Taliban.
Verhöre auch durch deutsche Polizisten
Thomas K. wird nach der Festnahme zunächst in den US-Stützpunkt nach Bagram gebracht und mehrfach verhört. Dann kommt er nach Kabul, wo er erstmals auch von deutschen Polizisten verhört wird. Dazu waren Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) nach Kabul geflogen. Ende April wird er nach Deutschland überstellt. Drei BKA-Mitarbeiter begleiten ihn auf dem Flug, abwechselnd sitzen sie neben ihm. Alle beschreiben ihn als höflich, offen, gesprächsbereit.
Bevor er dem Generalbundesanwalt in Karlsruhe vorgeführt wurde, berichtet eine BKA-Beamtin, habe sie ihm neue Kleidung gebracht, eine Sweatjacke und eine Jogginghose. Thomas K. habe darum gebeten, sich waschen und beten zu dürfen. Beides sei ihm gestattet worden. Trotz seines streng muslimischen Glaubens habe er ihr zum Abschied die Hand gegeben, berichtet die Beamtin noch. "Damit schien er kein Problem zu haben."
Die Schilderungen der Zeugen passen zu dem Bild, das Thomas K. während des gesamten Prozesses vor Gericht abgibt. Er tritt ausgesprochen kooperativ auf, ist betont höflich, fast schon devot. Er will reden, will sich immer wieder erklären.
"Muezzin und Hausmeister"
Seine tatsächliche Rolle innerhalb der Taliban-Strukturen beschreibt Thomas K. im Verlauf des Prozesses als klein. Er berichtet, dass er in Helmand als Muezzin und auch als eine Art Hausmeister eingesetzt wurde: Er habe für ranghöhere Taliban Häuser bewacht, in denen jeweils mehrere Kämpfer untergebracht waren. Die Taliban sieht er als Befreiungskämpfer an und nicht als terroristische Vereinigung.
Er wisse zwar, wie man eine Kalaschnikow bediene und auch, wie man sie auseinander baue. Er habe auch mehrmals Schießtraining bekommen. Eine eigene Waffe habe er aber nicht gehabt und an Kämpfen aufgrund seiner psychischen Probleme nicht teilnehmen dürfen. Auch wenn er das eigentlich gewollt habe, das gibt er im Prozess zu. Er habe davon geträumt, ein ferngesteuertes Fahrzeug zu konstruieren, um damit einen Anschlag auf einen US-Militärkonvoi zu verüben. Dazu kam es aber nie.
Der Abschuss der Mörsergranate
Nur einmal ist Thomas K. nach eigener Aussage aktiv bei Kämpfen dabei. Im Sommer 2014 bricht er gemeinsam mit drei einheimischen Kämpfern und dem bekannten Bonner Dschihadisten Yassin Chouka auf, um einen Angriff auf ein afghanisches Militärcamp zu filmen. Das Material wollen die Taliban für einen Propagandafilm verwenden.
Eigentlich, so berichtet Thomas K., habe er den Angriff nur filmen wollen, sich dann aber spontan entschieden, eine Mörsergranate selbst zu zünden. Damit habe er die islamischen Pflichten des Dschihads erfüllen wollen. Als Mittäter sahen ihn die Richter in ihrem Urteil dennoch nicht, da er keinerlei Einfluss auf den Ablauf des Angriffs habe nehmen können.
Verteidigung schließt Revision nicht aus
Die Verteidigung zeigte sich mit dem Schuldspruch zufrieden. "Wir haben eigentlich nichts anderes erwartet", sagt K.s Anwalt Michael Murat Sertsöz nach dem Urteil gegenüber der DW. "Wir hatten lediglich Bedenken wegen des Vorwurfs des versuchten Mordes. Dadurch wäre das Strafmaß natürlich nach oben geschnellt." Mit der nun ausgesprochenen Haftstrafe von sechs Jahren könne sein Mandant "ganz gut leben", meint Sertsöz. Ob die Verteidigung dennoch in Revision gehen wird, sei aber noch offen.