Secondhand-Geschenke zu Weihnachten?
14. Dezember 2021Ein grauer, regnerischer Dezembernachmittag in Köln. Anders als auf den Straßen herrscht im Schaufenster des Oxfam-Shops am Friesenplatz reger Betrieb, denn wie immer mittwochnachmittags ziehen neue Dinge in die Fensterablage ein: Schals und Handtaschen, aber auch Schmuck, Bilderrahmen, Kinderbücher und Kerzenständer. Dekoriert wird weihnachtlich-festlich: mit goldenen Weihnachtsbaumkugeln und Schalen, Sektgläsern und Sektflasche.
Alles, was die ehrenamtlich Mitarbeitenden in den Shops verkaufen, wurde gespendet, das allermeiste ist gebraucht. Der Erlös kommt Oxfam zugute. Die Hilfsorganisation verwendet ihn laut eigener Aussage für entwicklungspolitischen Ziele.
"In der Weihnachtszeit werden neben Deko-Artikeln vor allem Sachen wie Bücher, hübsche Kleinigkeiten, wie ein schöne Tasse, oder auch Spielzeug gekauft", sagt Steffi Müller, die seit zehn Jahren im Laden am Friesenplatz mitarbeitet. In dieser Zeit sei die Nachfrage nach Dingen jenseits von Kleidung vor Weihnachten deutlich gestiegen, berichtet die heute 68-Jährige. Vor allem junge Leute, so Müller, kauften verstärkt Geschenktaugliches.
Beobachtungen, die Matthias Scholl, Regionalleiter der Oxfam-Shops für West- und Süddeutschland, der DW bestätigt. "In den 55 Secondhand-Läden, die wir bundesweit betreiben, stellen wir seit einigen Jahren fest, dass das Geschäft zum Jahresende anzieht. In der Vorweihnachtszeit machen wir etwa zehn Prozent mehr Umsatz als im Jahresschnitt." Freuen sich also immer mehr Menschen über nachhaltige, weil gebrauchte Geschenke?
"Zweite Hand" ist gesellschaftlich akzeptiert
Zumindest scheint Secondhand in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. In einer Trendstudie zu ethischem Konsum, den die Otto Group 2020 veröffentlichte, gaben 73 Prozent der Befragten an, es gut zu finden, gebrauchte Dinge wie getragene Kleidung oder alte Möbel verkaufen oder kaufen zu können.
Getrieben werde die Entwicklung vor allem von jüngeren Menschen, so Trendforscher Peter Wippermann, der die Studie leitete. Viel wichtiger als neue Dinge zu haben, sei es für sie, die Dinge dann kaufen zu können, wann sie wollten und dafür wenig Geld auszugeben: "Neues muss nicht mehr neu sein", fasst Wippermann zusammen. Dieser Trend hätte sich von der Mode und anderen schnelllebigen Konsumgütern auch auf andere Bereiche ausgebreitet, bis hin zur Mobilität. "Heute ist es wichtig, dass man fahren kann, wann man will, und nicht, dass man das Auto besitzt."
Wie sehr Secondhand sein muffiges Flohmarkt-Image abgelegt hat, zeigt auch die Namensgebung. Auf den großen Internetplattformen, über die Privatpersonen gebrauchte Mode und andere Dinge kaufen und verkaufen können, ist nicht mehr von "Secondhand" die Rede sondern von "Preloved" - also von "bereits zuvor geliebten Dingen".
Internet als Treiber des Secondhand-Handels
Eine dieser Plattformen ist die Secondhand-Mode-Börse "Vinted", ehemals "Kleiderkreisel". Eine von ihr kürzlich in Auftrag gegebene Umfrage im Vereinigten Königreich, Frankreich, Deutschland und den Niederlanden ergab, dass 56 Prozent der Befragten dieses Jahr zu Weihnachten eine Mischung aus neuen und gebrauchten Geschenken bekommen wie verschenken möchten. Weitere 14 Prozent gaben an, ausschließlich gebrauchte Geschenke kaufen zu wollen.
Solche Peer-to-peer-Plattformen, auf denen die User untereinander handeln, hätten den Secondhand-Handel extrem beflügelt, sagt Carl Tillessen, Trendanalyst beim Deutschen Mode-Institut. "Der Secondhand-Markt hat ja die Schwierigkeit, dass er sehr einzelteilig ist, also dass dieses eine Teil genau denjenigen findet, der es haben möchte. Das ist nun im Internet ideal möglich und zwar auf eine sehr hygienische und kostengünstige Weise, ohne unsachgemäßen Transport oder Lagerung."
Wie nachhaltig ist "Preloved" wirklich?
Allerdings gehe es vielen Käuferinnen und Verkäufern auf den Plattformen nicht in erster Linie um Nachhaltigkeit, sagt Tillessen. So gaben in einer Umfrage der Beratungsfirma Boston Consulting Group von 7000 Personen aus sechs Ländern nur 36 Prozent an, Secondhand-Mode vor allem aus Nachhaltigkeitsgründen zu kaufen. Die wichtigsten Gründe waren günstige Preise, ein großes Angebot und aktuelle Trends.
Gerade in der Generation Z, also denjenigen, die um den Jahrtausendwechsel und in den Nullerjahren geboren wurden, sei Secondhand zumindest in Sachen Mode zu einer Art Fast Fashion geworden, konstatiert Tillessen. Was nicht mehr gefalle, werde schnell wieder weiterverkauft. Bei der sogenannten Fast Fashion wird neu gefertigte Mode billig gekauft, nur kurz gebraucht und dann meist weggeworfen.
Grundsätzlich sei es aus Nachhaltigkeitssicht zwar positiv, wenn Menschen Secondhand kauften, sagt Viola Muster, die an der Technischen Universität Berlin das Fachgebiet Ökonomie und Nachhaltiger Konsum leitet. "Aber es darf nicht damit einhergehen, dass zusätzlich zum Secondhand-Produkt weitere Produkte gekauft werden. Das wäre dann ein klassischer Rebound-Effekt: Ich spare Geld, weil ich günstig Gebrauchtes kaufe und das restliche Geld verwende ich für andere Konsumartikel - dann ist nichts gewonnen."
(Wem) Machen Secondhand-Geschenke Freude?
Aber: Taugt ein "Preloved"-Schal auch alleine als Geschenk, statt als Zusatz zu etwas Neugekauftem? Das hänge stark von der Generation ab, die beschenkt werde, sagt Tillessen. Während sich die jüngeren Generationen, vor allem Teenager, gerne Secondhand-Geschenke machten und sich sehr darüber freuten, fühlten sich älteren Generationen bei einem Geschenk aus zweiter Hand eher nicht wertgeschätzt.
"Das hat etwas mit dem Gedanken an Exklusivität zu tun: Dass etwas für mich hergestellt wurde und dass ich das als Erster in Gebrauch nehme und das als Privileg empfinde - das ist, glaube ich, in der älteren Generation tief verwurzelt." Trendforscher Wippermann bestätigt: "Konsum und Besitz waren früher etwas, das soziale Stärke signalisiert hat und Gebrauchsspuren waren ein Zeichen für soziale Schwäche."
Die Psychologie des Schenkens
Schenkende träfen mit einem Geschenk immer auch eine Aussage über sich selbst, sagt Viola Muster. Viele wollten dabei vermeiden, geizig zu erscheinen. "Das gilt umso mehr, je weniger gut Beschenkte und Schenkende sich kennen und einschätzen können. Deswegen verlassen wir uns in solchen Beziehungen lieber auf Neuware."
Wer auf Nummer sicher gehen und trotzdem ressourcensparend schenken wolle, könne aber zum Beispiel einen Gutschein für Secondhand-Läden oder -Plattformen verschenken, sagt die Professorin für nachhaltigen Konsum.
Wie sehr das Schenken und Beschenktwerden mit Botschaften, Kommunikation und heimlichen Regeln zu tun hat, weiß der emeritierte Professor für Betriebswirtschaftslehre Bernd Stauss. Er hat darüber gerade ein Buch veröffentlicht. Es trägt den Titel: "Das perfekte Geschenk - Zur Psychologie des Schenkens".
"Was immer schlecht ankommt, sind pädagogische Geschenke, die dem Empfänger bedeuten: 'Ich will Dich ändern'." Darauf müsse man gerade bei Secondhand-Geschenken besonders achtgeben, sagt Stauss.
Generell aber belegten empirische Studien, dass es vor allem auf den symbolischen Wert eines Geschenks ankomme - egal ob neu oder secondhand. "Also mit welchem Einfühlungsvermögen es ausgesucht wurde, welche Mühe sich Schenkende gegeben haben oder ob das Geschenk eine Art Opfer ist." Wenn jemand Familienschmuck weitergebe, könne das ein Opfer mit einem hohen Symbolgehalt sein, ganz anders aber, wenn jemand die noch nie getragenen Manschettenknöpfe endlich loswerden wolle. "Es kommt also darauf an, ob die Interessen und der Geschmack des Empfängers im Vordergrund stehen."