Kinostart: Im Atelier mit Neo Rauch
1. März 2017Es störe ihn nicht, wenn ihn jemand bei der Arbeit im Atelier beobachte, erzählt Regisseurin Nicola Graef von den Dreharbeiten mit dem berühmten deutschen Maler. Keine Künstler-Attitüden, keine Eitelkeiten. Nur wenn er eine schwere Leinwand nicht geradegerückt bekommt, ärgere sich Neo Rauch dann doch vor laufender Kamera. Aber nur kurz. Der Maler ruht auf eine bewundernswerte Weise in sich, das kann man in dem außergewöhnlich persönlichen Dokumentarfilm "Neo Rauch - Gefährten und Begleiter" beobachten. "Manchmal hat man auch das Gefühl, er ist nicht von dieser Welt, sondern in seiner eigenen Welt", sagt Graef im DW-Interview. "Ich glaube, das ist auch der Grund, warum seine Bilder so entstehen und auch so kraftvoll sind."
Die TV-Journalistin und Regisseurin Nicola Graef hat den weltberühmten Maler drei Jahre lang mit Kamera und Mikrofon begleitet und einen extrem bescheidenen Menschen vorgefunden. Jeden Tag geht er zur immer gleichen Zeit in sein Atelier - wie ein Kunstarbeiter: "Nichts huscht an ihm vorbei. Das merkt man an der Art, wie er arbeitet. Er ist ein sehr konzentrierter Mensch, der sich wirklich den Dingen zuwendet", erzählt sie. "In seinem Tempo dann, was ich sehr besonders fand."
Apokalyptische Fantasiewelten
Jetzt kommt der Film in die Kinos. Ein Erlebnis: Nur selten hat Neo Rauch jemanden so nah an sich und seine Arbeitsweise heran gelassen. Nicola Graef war so hartnäckig wie nötig und beim Dreh im Atelier so zurückhaltend wie möglich, wie sie selbst einräumt. "Ich habe natürlich auch viele Bilder entstehen sehen. Und es gab einen Moment, das war relativ zum Schluss des Drehs, da war das ganze Atelier voller Bilder. Es gab keine Stelle, die nicht mit einem Bild besetzt war. Und da ja auf allen Bildern Figuren sind, und sie auch fast lebensgroß sind, hatte man wirklich das Gefühl, dass man in diesem Bild des Ateliers verschwindet. Und auch der Künstler in diesen Bildern verschwindet."
Neo Rauchs großformatige Leinwände werden von rätselhaften Figuren, unheimlichen Szenen und düsteren Fantasiegestalten bevölkert. Er malt, was er im Kopf hat, wechselt nur phasenweise die Farbwelten, verfolgt unbeirrt seinen neo-realistisch-fantastischen Stil weiter. "Er schafft alles aus sich heraus", erzählt Regisseurin Graef. "Es gibt in allen Künstlerateliers Referenzen auf Bilder. Das sind Fotos, Ausschnitte, Kataloge und Ähnliches, das heißt Künstler arbeiten auch mit vorgefundenem Material. Bei Neo Rauch ist das nicht so. Das einzige, was er als Vorbereitung hat, ist tatsächlich sein Zeichenblock."
Erfolg reißt nicht ab
Sammler aus aller Welt reißen sich mittlerweile um seine Bilder, meist sind seine Ausstellungen schnell ausverkauft. Neo Rauch befremdet das. Das mache ihn ungeheuer sympathisch, sagt Nicola Graef.
Im Mittelpunkt ihres Dokumentarfilms steht Neo Rauch als Maler, als Künstlerkollege, als Familienvater, als Ehemann der ebenfalls erfolgreichen Malerin Rosa Loy, als Freund seines Galeristen Gerd Harry Lybke, als freundliches Gegenüber von Sammlern und anderen Kunstliebhabern.
Der Film lässt uns an einer erstaunlichen Entdeckungsreise teilnehmen: Was macht dieses weltweit einmalige Phänomen Neo Rauch aus? Wo liegen die künstlerischen Wurzeln seiner eigenwilligen Malerei? Warum ruht er so in sich, trotz seiner internationalen Bekanntheit? Erstmals seit Jahren spricht Rauch vor Kamera darüber, ebenso wie über Verletzungen und Abgründe, die ihn schon sein Leben lang beschäftigen.
Neue Leipziger Schule
Geboren wird Neo Rauch 1960 in Leipzig. Er wächst bei seinen Großeltern auf. Als kleines Baby, da war er gerade einmal wenige Wochen alt, verliert er seine Eltern durch ein tragisches Zugunglück, erzählt Graef im DW-Gespräch: "Diese Lücke hat er sein Leben lang gespürt. Da Neo Rauch ein hochsensitiver Mensch ist, ist alles Emotionale bei ihm offengelegt. Und das sieht man auch seinen Bildern an." Rauch studiert in seiner Heimatstadt Leipzig, die Hochschule für Grafik und Buchkunst wird seine künstlerische Heimat. Ab 1986 ist er Meisterschüler unter anderem bei Bernhard Heisig, später Assistent bei Arno Rink. Das prägt den jungen Maler.
Seine apokalyptisch bevölkerten Arbeiten fallen in der Kunstszene auf, werden früh auch international in großen Museen in Basel, Maastricht, München und New York ausgestellt. Neo Rauch wird schnell berühmt, seine Bilder gehen an private und öffentliche Sammlungen. 2005 bis 2009 arbeitet er als Professor für Malerei an seiner Leipziger Hochschule. Ein wichtiger Lebensabschnitt für ihn, der ihm viel bedeutet habe, sagt Nicola Graef. "Was ich besonders schätze: Je länger man sich mit den Bildern beschäftigt, diese intensive Wirkung lässt nicht nach. Sie verändert sich. Und entsprechend gibt es immer was Neues in seinen Bildern zu entdecken."
Ostdeutsche Bodenständigkeit
Als Maler hat sich Neo Rauch seine ostdeutsche Bodenständigkeit erhalten, bleibt seinem Stil, seinen Freunden, seiner Heimatstadt treu - und seinem langjährigen Galeristen Gerd Harry Lybke, mit dem er eng befreundet ist. Sie alle nehmen ihn so, wie er sein will. "Er ist jemand, der alles durchdringt. Deshalb hat er auch so seinen eigenen Kosmos - mit sich, mit seiner Malerei, in seinem Atelier", sagt Regisseurin Nicola Graef im Rückblick auf die Dreharbeiten.
"Was mich besonders bewegt hat - auch bis zum Schluss -, ist das Tempo in diesem Atelier. Also man kommt in so eine Ruhe rein, die ich selber in meinem Leben nicht so gewohnt bin. Dieses Atelier, diese konzentrierte Arbeit beruhigt einen, und schafft einfach so einen Moment der totalen Stille. Auch in einem selber." Ihr Dokumentarfilm öffnet den Zuschauern ein Stück weit dieses Atelier und die Gedankenwelt hinter den Bildern von Neo Rauch: ein starker Film, einfühlsam gedreht und unterhaltsam montiert.
"Neo Rauch - Gefährten und Begleiter" von Nicola Graef kommt am 2.3. 2017 in die Kinos.