Merkel bei Erdogan
24. Februar 2013"Krank" ist der "Mann am Bosporus", wie man die Türkei lange Zeit bezeichnete, schon lange nicht mehr. Vielmehr erwartet, angesichts der wirtschaftlichen Erfolge und der wachsenden internationalen sowie diplomatischen Bedeutung des Landes, ein immer selbstbewusster auftretender türkischer Regierungschef Recep Tayyip Erdogan Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Gesprächen am Montag in Ankara. Diese Haltung dürfte der Energie-Kommissar der EU Günther Oettinger noch gestärkt haben, mit seiner jüngst geäußerten Prophezeiung, Deutschland und Frankreich würden im nächsten Jahrzehnt die Türkei "auf den Knien" darum bitten, in die EU zu kommen.
Eröffnung neuer Kapitel als "Geste des guten Willens" möglich
Weniger pathetisch, aber in die gleiche Richtung weist auch der CDU-Politiker Ruprecht Polenz. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages forderte die Eröffnung neuer Kapitel bei den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei trotz der bisherigen Blockade Zyperns, "um beiden Seiten eine systematische Diskussion zu erlauben". Die Türkei weigert sich bislang beharrlich, die Zollunion auf die zehn jüngsten EU-Mitglieder, einschließlich der von ihr nicht anerkannten Republik Zypern zu erweitern. Das würde bedeuten, dass zyprischen Schiffe und Flugzeuge ungehindert türkische Häfen ansteuern könnten und dazu ist Ankara zurzeit noch nicht bereit. Für die Türken ist es äußerst ärgerlich, dass bei den 2005 aufgenommenen Beitrittsverhandlungen bislang nur 13 der 35 Kapitel überhaupt eröffnet wurden und nur das Kapitel zum Thema Wissenschaft und Forschung geschlossen werden konnte.
Andererseits aber ist die weiter zunehmende geostrategische Bedeutung der Türkei an der Scharnierstelle zwischen Europa und Nahost sowie Asien - begleitet von wirtschaftlichen Wachstumsraten, von denen EU-Länder träumen - der Grund für das gestärkte türkische Selbstbewusstsein. Auch wenn das enorme Wirtschaftswachstum von 2010 und 2011 mit 9,2 und 8,5 Prozent im vergangenen Jahr auf unter vier Prozent gefallen ist, haben die Euro-Krise und der Syrien-Konflikt keine bleibenden Schäden für die türkische Wirtschaft verursacht.
Dass Merkel von ihrer bisherigen Befürwortung einer privilegierten Partnerschaft als Alternative zum EU-Beitritt abrückt, ist kaum zu erwarten. Dennoch werden in türkischen ebenso wie in deutschen diplomatischen Kreisen "positive Signale" für möglich gehalten, nachdem Frankreich unter Führung von Francois Hollande die Eröffnung eines weiteren Kapitels zur Regionalpolitik in Aussicht gestellt hat.
Streitpunkte Visumspflicht und 'Doppelpass'
Weitaus mehr als die EU-Beitrittsprozedur brennen den Türken die schwierigen Themen Visumspflicht und doppelte Staatsbürgerschaft auf den Nägeln. Mit großer Spannung werden Merkels Äußerungen zu diesen beiden Streitthemen erwartet. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hatte bei seinen Gesprächen in der Türkei vor knapp zwei Wochen eine Befreiung von der Visumspflicht für türkische Staatsbürger bei der Einreise nach Deutschland kategorisch ausgeschlossen.
Auch die Möglichkeit, in Deutschland lebenden Türken zwei Pässe als Regelfall zu gestatten, gilt als wenig wahrscheinlich. Jedenfalls gehen Beobachter davon aus, dass die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft nicht auf Merkels Agenda für die Gespräche in Ankara stehen wird. Erdogan hatte Ende Oktober vergangenen Jahres in Berlin mit seiner Forderung an seine Landsleute in Deutschland überrascht, sie sollten sich mehr um Integration bemühen und die deutsche Kultur etwa durch die Beschäftigung mit Goethe und Kant verinnerlichen. Zuvor hatte Erdogan Deutschlands Integrationspolitik hart kritisiert und davor gewarnt, die Menschen zu assimilieren, was ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" sei.
Beim Visa-Streit verweist die Türkei vor allem auf die bürokratischen Spießroutenläufe selbst für Geschäftsleute, die in Deutschland investieren wollen. Außenminister Ahmet Davutoglu sprach von einer "beschämenden Behandlung" seines Landes als Beitrittskandidat. Merkel wird nach Auffassung von Beobachtern auf die bereits begonnenen Verhandlungen zwischen der EU-Kommission und Ankara in Sachen Visapflicht verweisen und einen Alleingang Deutschlands ausschließen. Es ist aber auch nicht zu erwarten, dass die Türkei ohne verbindliche Zusagen in der Visavergabe bereit sein wird, als Gegenleistung alle über ihre Grenzen nach Griechenland geflohenen Flüchtlinge zurücknehmen - was für die EU ein wichtiges Anliegen ist.
Intensivere Kooperation bei der Terrorabwehr angestrebt
Ein weiterer wichtiger Punkt in den deutsch-türkischen Beziehungen ist das gemeinsame Vorgehen gegen religiös oder politisch motivierten Extremismus sowie den internationalen Terrorismus. Aus deutschen Sicherheitskreisen verlautet, die Zusammenarbeit sei zwar grundsätzlich nicht schlecht, aber durchaus verbesserungswürdig. Zur besseren Koordination der Terrorabwehr wird eine Vereinbarung erwartet, dass sich die Innenminister beider Länder künftig zweimal im Jahr zu Konsultationen treffen.
Keine besonderen Probleme werden auf dem Gebiet der Wirtschaftsbeziehungen erwartet. Die Zusammenarbeit beispielsweise auf dem Energie-Sektor und weitere Bemühungen beim Ausbau des bilateralen Handels und des Technologietransfers kommen auf dem für Montag (25.02.2013) in Ankara geplanten deutsch-türkischen Wirtschaftsrat mit den mitreisenden deutschen Wirtschaftsvertretern und ihren türkischen Partnern zur Sprache.
Syrien, Iran, der Nahost-Konflikt sowie die Aussöhnung zwischen der Türkei und dem benachbarten Armenien sind weitere Gesprächsthemen Merkels in Ankara. Sie wird nach dem Besuch der deutschen Soldaten am Sonntag in Kahramanmaras, etwa 120 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, nach Kapadokien reisen, um den frühchristlichen Spuren nachzugehen. Im Zusammenhang mit den Problemen religiöser Minderheiten in der Türkei kommt den Gesprächen Merkels mit den geistlichen Führern christlicher Gemeinden eine besondere Bedeutung zu.