Selbsthilfe im toten Winkel
11. Dezember 2018Gladys Nontsokolo Sigcau gestikuliert viel, wenn sie spricht. „Unsere Regierung hat keine Arbeit für unsere Leute. Wir wollen aber, dass sie hier bei uns Jobs bekommen. Dann würde die Kriminalität sinken. Wenn es Arbeit gäbe, würden die Leute weniger Drogen nehmen, nicht an einer Überdosis sterben, nicht vergewaltigen. Das war unser Traum, als wir die Zenzeleni-Kooperative gegründet haben“, sagt die 50-jährige Mutter von sechs Kindern.
Sigcau und ihre Familie leben in Mankosi, einer abgelegenen Gemeinde mit rund 3.500 Einwohnern am Ostkap von Südafrika. Es gibt hier nicht viel, vor allem keine Jobs. Erst vor einem Jahr sind einige der Häuser ans Stromnetz angeschlossen worden. Mit dem Handy hat man kaum Empfang und wenn, dann ist es teuer, damit zu telefonieren und zu surfen.
Das wollten sich die Bewohner Mankosis nicht mehr gefallen lassen. Sie gründeten Südafrikas ersten Internetanbieter im Besitz eines Dorfes: Zenzeleni Networks, was in der lokalen Xhosa-Sprache „Mach es selbst“ bedeutet.
Netzwerke wie in Mankosi werden immer mehr zu einer Alternative für ¬Regionen und Gemeinschaften weltweit, die von großen Internetanbietern vernachlässigt werden. Das liegt meist daran, dass sich der Aufbau der Infrastruktur in Gegenden mit wenigen oder finanzschwachen Einwohnern und unwirtlichem Terrain nicht rechnet. Das hat zur Folge, dass große Bevölkerungsteile keinen Internetzugang haben und somit keinen umfassenden Zugang zu Informationen und Möglichkeiten der Weiterbildung. „Es ist wichtig, auch ländliche Gegenden zu vernetzen. Sonst entsteht eine digitale Kluft. Die Ungleichheit zwischen Stadt und Land wird noch größer und die Menschen entfernen sich noch mehr voneinander“, erklärt Isabek Asanbaev. Der 27-jährige Kirgise ist Mitglied der Nichtregierungsorganisation Internet Society und baut gerade ein Community Network in Suusamyr, einem entlegenen Dorf im Tian-Shan-Gebirge, auf.
Die Internet Society mit Hauptsitz in Washington und Genf unterstützt unter anderem weltweit den Aufbau solcher Community Networks. Diese Netze werden meist von Mitgliedern der Gemeinde selbst initiiert und aufgebaut. Sie bieten unbegrenzte Möglichkeiten unter anderem für Flüchtlingslager in Zentralafrika, indigene Völker in Lateinamerika und Bewohner von benachteiligten Ghettos in nordamerikanischen Städten.
Jedes dieser Netzwerke ist einzigartig und muss spezielle Probleme lösen – ob technischer, kultureller, finanzieller oder gesetzlicher Natur. So mussten in Tuschetien, einer abgelegenen Bergregion im ¬georgischen Kaukasus, Freiwillige Masten, Antennen und Solarzellen mit Pferden auf die Gipfel schleppen. Die Mühe hat sich gelohnt. Schon nach einem Jahr berichten Pensions- und Restaurantbesitzer von gestiegenen Einkünften, weil Touristen Zimmer und Touren online buchen können. Und in einem ländlichen Bezirk Simbabwes bauen drei Brüder ein ¬WiFi-Netzwerk auf, damit Schulen in einem Umkreis von bis zu 40 Kilometern online gehen können. Denn, wie Farai Bishi, einer der Brüder, sagt, „wenn man nichts lernt, weiß man nichts. Und ohne Wissen muss man sich auf die Worte von anderen verlassen.“
Im südafrikanischen Mankosi sind es die Alten, die das Netzwerk für ihre Kinder -aufbauen. Sie selbst haben kaum eine Verwendung für das Internet, aber sie wollen der Jugend eine Chance auf eine bessere Zukunft schenken.
So unterschiedlich die Community Networks sind, sie haben vor allem eines gemeinsam: Sie verbinden Menschen mit der Welt, erweitern Horizonte und bieten neue Möglichkeiten. Und es geht darum, dass Menschen wie Farai Bishi aus Simbabwe, Isabek Asanbaev aus Kirgisistan und Gladys ¬Nontsokolo Sigcau aus Südafrika es für ihre Gemeinde tun. Damit die Menschen selbst bestimmen, wann und wofür sie online gehen.
Text Laura Salm-Reifferscheidt, Reporterin