Selbstmordversuche auf der "Ocean Viking"
3. Juli 2020Die Hilfsorganisation SOS Méditerranée schlägt Alarm: Die Situation auf der "Ocean Viking" habe sich derart zugespitzt, dass die Sicherheit der Geretteten und der Besatzung nicht mehr gewährleistet werden könne. Die Migranten hätten einen Hungerstreik begonnen, sechs von ihnen einen Suizidversuch unternommen, schilderte Verena Papke, Geschäftsführerin von SOS Méditerranée Deutschland, die Lage. Viele der Überlebenden befänden sich in großer seelischer Not und litten unter Depressionen. An Bord gebe es Streit und auch körperliche Auseinandersetzungen. Die Besatzung sah sich deshalb gezwungen, den Notstand auszurufen, ein in der "fünfjährigen Geschichte von SOS Méditerranée beispielloser Vorgang".
Das privat betriebene Rettungsschiff war zu Beginn vergangener Woche von Marseille aus in See gestochen und hatte seit dem 26. Juni in mehreren Einsätzen insgesamt 180 Menschen aus dem Mittelmeer geborgen. Unter ihnen sind 25 Minderjährige.
"Ocean Viking" nimmt Kurs auf sizilianischen Hafen Pozzallo
Die Crew bat zuletzt die Behörden in Malta und Italien um die Aufnahme von 44 Geretteten, die laut Papke in besonders schlechter Verfassung sind. Bislang gebe es aber keine Zusage. Insgesamt hatte die Besatzung in den vergangenen Tagen sieben Anfragen für die Zuweisung eines sicheren Hafens gestellt, die unbeantwortet blieben. Nach Ausrufung des Notstands an Bord entschied der Kapitän nun, den sizilianischen Hafen von Pozzallo anzusteuern, ohne ihn von den Behörden zugewiesen bekommen zu haben.
"Wir haben keine andere Möglichkeit gesehen", erklärte Papke weiter. "Auf dem Schiff warten mehr als die Hälfte der Geretteten seit über einer Woche verzweifelt auf einen sicheren Ort." Das Seenotrecht erlaubt Schiffen in einer Notlage das Einlaufen in den nächstgelegenen Hafen. In ähnlichen Fällen in der Vergangenheit wurden die Kapitäne privater Rettungsschiffe allerdings später juristisch belangt und die Schiffe zumindest vorübergehend beschlagnahmt.
Wegen der Corona-Pandemie hatten die Regierungen in Rom und Valletta ihre Länder für nicht sicher erklärt. In den vergangenen Monaten zögerten sie deshalb gegenüber anderen Seenotrettern mit der Zuweisung eines Hafens stets sehr lange. Zudem forderten sie wiederholt die Solidarität der übrigen EU-Staaten bei der Verteilung der Migranten und Flüchtlinge ein.
Petition an Außenminister Maas
SOS Méditerranée appellierte jetzt an alle EU-Staaten, eine Lösung für die 180 Geretteten an Bord der "Ocean Viking" zu finden. Besonders die Bundesregierung sei wegen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft in der Verantwortung, heißt es in einer Petition. Außenminister Heiko Maas solle sich für die Einführung eines EU-Seenotrettungsprogramms einsetzen.
Monat für Monat versuchen Hunderte Menschen in seeuntüchtigen Booten, zumeist von der libyschen und tunesischen Küste aus, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. In den vergangenen fünf Jahren ertranken dabei nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mehr als 19.000 Menschen.
se/mak (dpa, afp, kna, epd)
Die Deutsche Welle berichtet zurückhaltend über das Thema Suizid, da es Hinweise darauf gibt, dass manche Formen der Berichterstattung zu Nachahmungsreaktionen führen können. Sollten Sie selbst Selbstmordgedanken hegen oder in einer emotionalen Notlage stecken, zögern Sie nicht, Hilfe zu suchen.
Wo es Hilfe in Ihrem Land gibt, finden Sie unter der Website befrienders.org. In Deutschland hilft Ihnen die Telefonseelsorge unter den kostenfreien Nummern 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222.