Selenskyj-Berater im DW-Interview: Ukraine einem "Sieg nahe"
24. August 2023"Die Einigkeit unserer Nation ist beispiellos", betont der Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Andrij Jermak, anlässlich des Nationalfeiertags in der Ukraine. Es ist das zweite Jahr, in der das Land seinen Unabhängigkeitstag unter den Bedingungen eines verlustreichen Abwehrkampfs gegen die russischen Invasoren feiert. Im DW-Interview spricht Jermak über den Krieg Russlands in der Ukraine, die Stimmung in der ukrainischen Bevölkerung und die Unterstützung, welche die Regierung in Kiew aus dem Ausland erhält.
Für Jermak, einer der wichtigsten Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj, hat die Ukraine einen wichtigen Moment erreicht. "Denn ich habe den Eindruck, dass wir dem Sieg nahe sind", sagte der 51-Jährige. "Niemand weiß, wie lange es dauern wird, aber wir haben bereits einen weiten Weg zurückgelegt." Er verweist dabei auf den Beginn der russischen Invasion: "Wir sollten nicht vergessen, dass uns ursprünglich drei Tage, dann einige Monate gegeben wurden. Und jetzt sind es anderthalb Jahre", hob Jermak hervor. "Und wir sind nicht nur mit der Verteidigung befasst, sondern wir befreien auch unser Territorium."
Damit würden die Ukrainer nicht aufhören, bis "der letzte Zentimeter ukrainischen Bodens" von den Russen zurückerobert sei, sagte Jermak und fügte hinzu: "Es gibt nichts, was wir uns mehr wünschen, als dass der Sieg und der Frieden in unser Land zurückkehren." Verhandlungen mit der Führung in Moskau werden es jedoch erst geben, wenn alle russischen Truppen die Ukraine verlassen haben: "Unsere Position ist klar, sie ist allen bekannt: Solange sich russische Truppen auf unserem Territorium befinden, kann von Verhandlungen nicht die Rede sein."
Langsame Fortschritte bei der Gegenoffensive
Im Zuge der im Sommer gestarteten Gegenoffensive mache die ukrainische Armee täglich Fortschritte, betonte der Präsidialamtsleiter, gestand aber auch ein: "Sicherlich geschieht dies langsamer, als wir es uns gewünscht hätten." Dies liege vor allem daran, dass große Teile des Territoriums vermint seien. "Zweitens haben wir immer noch nicht genug Waffen. Und der dritte Grund ist, dass wir anders sind als die Russen. Wir denken an unser Volk."
Die russische Regierung tue dies nicht. "Sie zählen ihre Soldaten nicht. Sie sind Kanonenfutter, das sie in die Schlacht werfen. Sie sammeln nicht einmal alle ihrer Leichen ein", so Jermak.
Die ukrainische Regierung sei dankbar für die internationale Unterstützung, die sie seit Beginn der russischen Invasion erfahren habe. Insbesondere hob er die Rolle Deutschlands hervor, das "zu einem unserer größten Unterstützer geworden ist". Bei den wichtigsten Partnern, den G7-Staaten, den NATO-Mitgliedern und den EU-Mitgliedsländern stehe Unterstützung für die Ukraine außer Frage. Dass es in diesen Ländern auch andere Meinungen gebe, sei normal. "Das ist Demokratie", so Jermak.
"Ein Krieg zwischen Diktatur und Demokratie"
Auch afrikanische und asiatische Länder, die Verbündete Russlands waren, und insbesondere die BRICS-Staaten, hätten ebenfalls ihre Unterstützung für die territoriale Integrität der Ukraine zum Ausdruck gebracht. "In jüngster Zeit gab es zahlreiche Kontakte, darunter auch ein Besuch afrikanischer Regierungschefs. Ich bin überzeugt, dass sich dadurch ihre Haltung zu diesem Krieg und zu den Geschehnissen geändert hat", zeigte sich Jermak im Gespräch mit der Deutschen Welle überzeugt. "Es ist ein Krieg zwischen Diktatur und Demokratie."
Das Interview führte DW-Korrespondent Mathias Bölinger.
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