"Selten fliegen - mit leichtem Gepäck“
9. März 2017DW: Herr Herrmann, was ist - unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit - die schlimmste Reise, die ich machen kann?
Frank Herrman: Eine Kreuzfahrt in die Antarktis inklusive An- und Abreise mit dem Flugzeug. Oder eine Karibikkreuzfahrt. Da müssen Sie erstmal hinfliegen, bevor es überhaupt losgeht und belasten die Umwelt doppelt durch Emissionen von Flugzeug und Schiff.
Kreuzfahrten werden aber immer beliebter. Warum sollte man gerade sie möglichst vermeiden?
Kreuzfahrtschiffe fahren auf hoher See mit Schweröl. Es ist extrem schwefelhaltig und besonders umweltschädlich. In den Häfen, in denen die Schiffe etwa 40 Prozent ihrer Zeit verbringen, müssen sie zwar den etwas saubereren Schiffsdiesel nutzen. Sie verpesten die Umwelt dennoch enorm, denn die Motoren laufen 24 Stunden. Zu hohen Schwefeldioxidemissionen kommen dann Stickoxide, Ruß, Feinstaub und CO2. Außerdem wird das Essen meistens extra eingeflogen - etwa von Deutschland in die Karibik! Hinzu kommt: geschlafen, gegessen und getrunken wird an Bord. Die Bevölkerung profitiert also kaum vom Kreuzfahrt-Tourismus.
Was bedeutet "Nachhaltigkeit" genau in Bezug auf Reisen?
Es geht darum, sozial verantwortlich und ökologisch verträglich zu reisen. Der Tourismus ist ein Massenphänomen geworden. Damit nimmt der Druck auf Ressourcen und Natur immer mehr zu. Menschen fliegen oft, verbrauchen viel Wasser, erzeugen sehr viel Müll. Durch Tourismus wird Landschaft verbaut, die biologische Vielfalt nimmt an einigen Stellen ab. Außerdem leiden gerade in Entwicklungsländern die Menschen unter niedrigen Löhnen, Kinderarbeit und Sextourismus.
Warum handeln viele Menschen im Alltag umweltbewusst, beziehen bei der Urlaubsplanung solche Erwägungen aber nicht ein?
Ganz einfach - weil wir es nicht gewohnt sind. Urlaub heißt: abschalten, loslassen, sich mal um nichts kümmern. Das ist natürlich schwer vereinbar mit dem, was man machen müsste und könnte. Aber Gewohnheiten lassen sich ändern. Nicht von heute auf morgen, sondern nach und nach. Und vielleicht muss irgendwann die Politik nachhelfen - mit Kampagnen, Aufklärung und, falls es nicht anders geht, durch Beschränkungen oder Vorschriften.
Wenn ein Flug von Berlin nach Paris nur halb so viel kostet wie die Bahnfahrt - liegt die Verantwortung wirklich noch beim Reisenden? Müsste nicht die Politik schon jetzt mehr steuern?
Tatsache ist, dass Fliegen momentan sogar subventioniert wird. Der Flieger muss für die Strecke keine Mehrwertsteuer zahlen, die Bahn aber den vollen Mehrwertsteuersatz. Wir haben hier also Wettbewerbsprobleme. Es gibt bisher kein weltweites CO2-Abkommen für die Transportbranche. Fliegen wird künstlich billig gehalten. Für Umweltschäden müssen andere aufkommen und das ist natürlich ungerecht.
Kann man sich durch CO2-Kompensationszahlungen ein reines Gewissen kaufen?
Die freiwillige Kompensation ist eine Art Übergangslösung. Die Probleme liegen woanders - eben darin, dass das Fliegen künstlich billig gemacht wird und auch nicht im Pariser Klimaabkommen enthalten ist. Aber es ist immer noch besser, wenn die Menschen freiwillig kompensieren, als gar nichts zu tun. Aber einen Flug zu vermeiden hat immer Vorrang.
Was passiert mit dem Geld, das ich als Kompensation zahle?
Es fließt in Klimaschutzprojekte, in der Regel in Entwicklungsländern. Das kann eine Biogasanlage in Honduras sein, Solarkocher in Indien oder Aufforstungsprojekte - da passiert eine ganze Menge. Das Ganze sollte natürlich kein Freibrief dafür sein, endlos zu fliegen.
Werden Billigairlines irgendwann verschwinden, weil sie zu umweltschädlich agieren? Können dann nur noch Reiche die Welt durch Fernreisen kennen lernen?
Tourismus ist ja schon jetzt eine sehr elitäre Angelegenheit. Es gibt viele Reiseziele, die sich der Normalbürger nicht leisten kann. Das ist also nichts Neues. Wir müssen aber lernen, für die Schäden, die wir anrichten, aufzukommen. Und akzeptieren, dass Reisen teurer werden, wenn die Umweltschäden ein- und Subventionen rausgerechnet werden. Wahrscheinlich werden wir in Zukunft weniger fliegen. Das ist aber nicht schlimm. Wir werden dann länger vor Ort bleiben, können uns besser erholen und die Gastländer besser kennenlernen. Auf das Shoppingwochenende in London oder die Techno-Nacht in Reykjavik wird man dann allerdings verzichten müssen.
Der Tourismus boomt weltweit. Die Branche hat ein positives Image, schafft Arbeitsplätze in Entwicklungs- und Schwellenländern. Sie glauben dennoch, Tourismus bringt nicht nur Gutes?
Ja, weil es in der Regel ein Massentourismus ist. Da muss man sich auch die Arbeitsbedingungen vor Ort ansehen. Es handelt sich meistens um saisonale Jobs, schlecht bezahlt, mit vielen Überstunden. Und es fehlt oft der Plan B. Viele Länder setzen einseitig auf Tourismus, was Abhängigkeiten schafft. Man sieht das aktuell an Tunesien, Ägypten und der Türkei. Wenn die Touristen aufgrund der Sicherheitslage ausbleiben, werden Hotels geschlossen. Und auf einmal stehen zehntausende Menschen ohne Alternative auf der Straße.
Was kann ich tun, um meine nächste Reise fair und nachhaltig zu gestalten?
Sie sollten sich vorher gut über das Land informieren und generell auf Schnäppchenreisen verzichten. Denn Schnäppchen bedeutet, dass irgendjemand dafür bezahlt: die Umwelt oder andere Menschen. Unternehmen Sie möglichst nicht jedes Jahr eine Fernreise, fliegen Sie nur ab und zu und nehmen Sie dann nur wenig Gepäck mit. So wird weniger Treibstoff verbraucht, auch das schont das Klima. Lassen Sie Kreuzfahrten möglichst sein.
Sehr umweltfreundlich ist eine Radtour ab der eigenen Haustür. Lassen Sie den privaten PKW zugunsten von Bahn oder Reisebus stehen. Handeln Sie im Urlaub respektvoll und ökologisch: einen Beutel zum Markt mitnehmen, statt Plastiktüten nutzen, Akkus statt Batterien nehmen, nicht ständig die Klimaanlage laufen lassen - das sind viele kleine Dinge, die aber einen Unterschied machen. Geben Sie nach der Reise dem Veranstalter ein Feedback, wie nachhaltig das Ganze war. Und besprechen Sie das Thema mit vielen Leuten, damit es stärker wahrgenommen wird.
Sie sind selbst gerade in Costa Rica unterwegs. Wie reisen Sie?
Ich bin mit dem Flugzeug nach Panama geflogen, das ließ sich nicht anders machen. Ich bleibe aber drei Monate und reise hier nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Und der Flug wird natürlich - wie es sich gehört - kompensiert.
Das Interview führte Christina Deicke
Frank Herrmann ist Betriebswirt, arbeitete viele Jahre als Reiseleiter in Mittel- und Südamerika, realisiert Entwicklungsprojekte, schreibt Reiseführer für den Stefan Loose-Verlag und hält Vorträge und Seminare zu nachhaltigen Themen. Sein Buch "FAIRreisen - Ein Handbuch für alle, die umweltbewusst unterwegs sein wollen" wurde auf der diesjährigen Reisemesse ITB mit dem ITB BuchAward 2017 in der Kategorie Fachbuch ausgezeichnet.