Seltene Erden, großer Ärger
14. Mai 2014Wenn Russland seine Gasförderung, Afrika seine Diamantenernte und die OPEC-Staaten ihre Ölförderung drosseln, dann ist das erst einmal so. Die Welt ärgert sich, die Preise steigen und gut ist. Bei den seltenen Erden ist das anders. Vor allem, weil sie aus China kommen. Die Welthandelsorganisation (WTO) hat vor kurzem ein Urteil verkündet, dem zufolge China die Ausfuhr dieser Erden nicht drosseln dürfe. Die Kläger, keine Überraschung, sind die USA, die EU und Japan. Dem Westen geht einmal mehr die Muffe, weil es um Rohstoffe geht, die die Industrienationen für die Herstellung ihrer High-Tech Produkte wie Flachbildschirme, Windkraftanlagen oder Elektroautos brauchen. Und die WTO-Regeln sehen eben vor, dass Rohstoffe, sobald sie gefördert wurden, dem internationalen Markt zur Verfügung stehen. Die Preise sollen sich nach Angebot und Nachfrage bilden. Und damit sind die Industrienationen als die größten Kunden im Spiel. Gleichzeitig verlangt die WTO aber auch einen nachhaltigen Rohstoffabbau. Und das passt wiederum den Chinesen ins Konzept: Man fördere weniger, um die Umwelt zu schonen. Aber damit kamen sie bei der WTO nicht durch. Die Chinesen haben Revision angekündigt und dazu auch allen Grund.
Das Verrückte ist jedoch, dass der Streit inzwischen seinen ursprünglichen Grund verloren hat. Begonnen hat der Streit vor einigen Jahren, als die seltenen Erden drastisch knapper wurden. Doch mittlerweile hat sich das Thema von selbst erledigt. Die Industrie hat nach Alternativen gesucht und sie gefunden. Mit neuen Verfahren lassen sich mehr Metalle aus alten Geräten recyceln. Und die Industrie hat gelernt, viel weniger der begehrten Rohstoffe zu verbauen. Nun gibt es zu viele seltene Erden. Die Preise sind im freien Fall. Das Preisniveau liegt mittlerweile gerade einmal noch bei einem Bruchteil des Preises von vor drei Jahren: Die Metalle sind inzwischen 70 und 95 Prozent weniger wert. Die Aufregung des Westens war also völlig überzogen.
Selten waren die seltenen Erden, die eigentlich Metalle sind, sowieso nie. Laut Schätzungen sollen die derzeitigen Reserven für rund 285 Jahre reichen. Die noch vorhandenen Ressourcen sogar länger als 3400 Jahre. Das Problem aus Sicht des Westens ist nur: Der größte Teil der Metalle lagert in China, was das Reich der Mitte zu einem Monopolisten macht. Das Land verfügt mit 92 Prozent über den größten Teil der weltweiten Vorkommen. Chinesische Metalle, wäre also der passendere Name.
Das WTO-Urteil ist also Ergebnis einer Bürokratenmaschinerie, die sich offensichtlich nicht mehr stoppen ließ. Und nun kann es zu einem politischen Eigentor für den Westen werden. Sollte die WTO noch weitere Urteile dieser Art fällen, wird Peking der WTO immer weniger vertrauen. Und dieses Misstrauen herrscht in vielen Schwellenländern. Indien etwa streitet mit den Handelshütern über Agrarsubventionen, in Brasilien gibt es Ärger wegen vermeintlicher Schutzzölle. Wie bei den seltenen Erden reguliert sich in diesem Fall auch Nachfrage und Angebot. So entsteht eine verstärkte Nachfrage nach Handelsorganisationen. Und deshalb gründen die "emerging markets" einfach ihre eigenen Netzwerke, in denen der Westen außen vor ist. Freihandelszonen entstehen über Kontinente hinweg. Aber auch neue Institutionen, wie eine BRICS-Bank. Das Gegenstück zur Weltbank, das von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika kontrolliert wird, ist schon im Aufbau. Und sie spielt nach ihren Regeln und nicht nach denen des Westens.
DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.