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Seltene Gerechtigkeit für junge Afghanin

Waslat Hasrat-Nazimi9. Mai 2012

Eine Afghanin hat ihren Ehemann und dessen Eltern wegen häuslicher Gewalt verklagt und Recht bekommen. Ein ungewöhnliches Urteil, das vielen Frauen Hoffnung geben kann.

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Sahar Gul im Krankenhausbett (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Sechs Monate war sie in ihren eigenen vier Wänden eingesperrt. Die 15-jährige Sahar Gul wurde von ihrem Bruder zwangsverheiratet. Als sie sich anschließend weigerte, sich zu prostituieren, wurde sie von ihrem Ehemann, ihren Schwiegereltern und deren Familienangehörigen misshandelt. Sie hatte Brandnarben, Wunden und ausgerissene Fingernägel, als die Polizei der nordafghanischen Provinz Baghlan Sahar Gul im Dezember vergangenen Jahres befreite. Der Fall sorgte international für Schlagzeilen. Ihre Peiniger wurden jetzt von einem Gericht in Kabul zu zehn Jahren Haft verurteilt.

Anzeigen von Frauen sind ungewöhnlich

Dass Sahar Gul vor Gericht Recht erhalten hat, ist nicht selbstverständlich in Afghanistan. Das Justizsystem ist korrupt, die Gerichte werden in der Regel von konservativen Geistlichen kontrolliert. Diese Kräfte, sagt Hassina Nekzad, Vorsitzende einer Frauengruppe im Westen Afghanistans, sähen es nicht gerne, dass eine Frau vor Gericht zieht. Allgemein herrscht das Vorurteil, dass Frauen, die öffentlich über ihre familiäre Situation sprechen, die Familie entehren. Nach Ansicht der Konservativen müsse eine gute Frau schweigen und auch Gewaltanwendung ertragen, sagt Hassina Nekzad.

Deshalb ist es eine Seltenheit, dass eine Frau überhaupt vor Gericht zieht, um jemanden anzuklagen. Viele fürchten sich vor Ächtung durch die Familie und die Gesellschaft. Nekzad kritisiert die ungerechte Behandlung von Frauen, die Opfer einer Gewalttat werden. "Wir sehen oft, dass Frauen ins Gefängnis kommen, obwohl ein Mann das Verbrechen begangen hat", sagt sie. "Das zeigt, dass unsere Gerichte immer noch glauben, dass der Mann das bessere Geschlecht ist und die Frau keine Hilfe verdient. Solange dieses Denken in der Justiz besteht, glaube ich nicht an eine Veränderung."

Kleiner Schritt für Frauenrechte

Auch Asien-Expertin Verena Harpe von Amnesty International Deutschland bestätigt, dass Frauen nach einer Vergewaltigung eingesperrt würden und die Täter auf freiem Fuß blieben. Deshalb sieht sie das Urteil als einen weiteren Schritt für die Frauenrechte. "Die Verurteilung kann da zumindest ein kleiner Beitrag sein, das weitverbreitete und begründete Misstrauen der Frauen in Afghanistan gegenüber den Gerichten abzubauen. Das wird aber ein schwieriger Prozess sein."

Eine, die für ein gerechteres Justizsystem kämpft, ist die erste weibliche Staatsanwältin in Afghanistan, Maria Bashir aus Herat. Auch sie ist froh, dass überhaupt ein Urteil gegen die Verwandten Sahar Guls gesprochen wurde. Zehn Jahre Haft hält sie aber für zu wenig. "Angesichts der Verbrechen, die gegen sie begangen wurden, sind zehn Jahre meiner Meinung nach nicht gerechtfertigt", empört sie sich. "Darüber hinaus will es das Gesetz, dass Frauen, die noch minderjährig sind, besonders geschützt werden und die Strafe höher ausfällt."

Viele Sahar Guls in Afghanistan

Es sei jedoch kein Einzelfall, dass junge Frauen auf diese Weise gequält und unterdrückt werden, so Bashir. Die meisten Fälle seien gar nicht vor Gericht verhandelt worden. Das bestätigt auch Monika Hauser von der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale, die selbst viel Zeit in Afghanistan verbringt: "Wir müssen uns vor Augen halten, dass es in diesem Land gerade in den Provinzen viele Sahar Guls gibt. Deshalb ist es wichtig, dass Gesetze endlich umgesetzt werden und die internationale Gemeinschaft nicht nachlässt, Druck auf die Regierung von Hamid Karsai auszuüben."

Maria Bashir, Afghanistans erste Staatsanwältin, in ihrem Büro. (Foto: AEP) Bashir wurde vor einiger Zeit ausgezeichnet. Es wurde am 30.04.2011 aufgenommen. DW/Hoshang Hashimi
Maria Bashir, Afghanistans erste StaatsanwältinBild: DW

Viele Experten fürchten jedoch, dass das Urteil nach kurzer Zeit wieder kassiert werden könnte. Korruption und Vetternwirtschaft haben dafür schon oft gesorgt. Sahar Guls Ehemann und sein Bruder sind derzeit noch auf der Flucht. Das Gericht sprach sie in Abwesenheit schuldig. Sahar Gul saß im Gerichtssaal, als das Strafmaß verkündet wurde. Sie wollte, dass ihre Verwandten hart bestraft werden. Mit Hilfe der afghanischen Frauenorganisation "Women for Afghan Women" wird sie in Berufung gehen, um auf eine höhere Strafe zu dringen.