Separatisten in Donezk
18. April 2014Die Szene zeigt ein beinahe tägliches Ritual. Kurz vor Mittag düsen zwei Kampfjets der ukrainischen Luftwaffe einmal über der Stadtmitte von Donezk. Sie überfliegen auch das Hochhaus der Gebietsverwaltung, das seit Anfang April von prorussischen Aktivisten besetzt ist. Dort hat sich nichts verändert. Nur der Wind ist stärker geworden und lässt die russischen Fahnen laut flattern.
Das Gebäude ist weiterhin umringt von Barrikaden aus Autoreifen und Bauschrott. Auf dem Vorplatz stehen ein paar hundert Menschen, meist ältere Frauen und Männer, und wärmen sich in der Aprilsonne. Aus den Lautsprechern tönen mal sowjetische Schlager aus den 80ern Jahren, mal patriotische Kriegslieder. Die selbst ernannte "Donezker Volksrepublik" macht an diesem Freitag (18.04.2014) keine Anstalten für ein baldiges Verschwinden.
Spott für Genfer Erklärung
Dabei müssten die Aktivisten das besetzte Haus verlassen und ihre Waffen abgeben. Die Erklärung, die am Donnerstag in Genf beschlossen wurde, sieht außerdem eine Entwaffnung aller illegalen Verbände vor. Vertreter der Ukraine, Russlands, der EU und der USA einigten sich auf Schritte, die zu einer Entspannung der Lage in der Ukraine führen sollen.
Separatistenanführer in Donezk machten am Freitag klar, dass sie nicht viel von der Genfer Erklärung halten. Sie stellten mehrere Forderungen, darunter den Abzug der ukrainischen Armee und den Rücktritt der Kiewer Regierung. Ein Vertreter der Separatisten, ein Mann mit Vollbart wie ein russischer orthodoxer Priester, bestritt auf einer Pressekonferenz, Waffen zu besitzen: "Wir sind friedliche Protestler". Er kann aber offenbar nicht für alle Separatisten in der Ostukraine sprechen, denn in anderen Orten des Kohlereviers Donbas haben bewaffnete und maskierte Aktivisten Verwaltungen und Polizeiwachen besetzt.
Viele Aktivisten haben nur Spott für die Genfer Pläne übrig. "Wir bleiben bis zum Sieg", sagt eine Frau um die fünfzig, die als Moderatorin auf der Bühne die Menge anheizt. "Wir wollen ein Referendum über einen Anschluss an Russland, so wie die Krim", sagt sie. "Ich bete zu Gott, dass wir dieses Referendum bereits Anfang Mai durchführen können". Dass es dafür weder eine rechtliche Grundlage, noch eine Zustimmung der Kiewer Regierung gibt, stört die Frau offenbar nicht. "Das wird schon", sagt sie und zwinkert mit dem Auge.
Gespaltene Stimmung
Allerdings wollen offenbar nicht alle Protestler, dass die Ostukraine Teil Russlands wird. Manche sprechen sich für mehr Autonomie innerhalb der Ukraine aus. Ein ähnliches Bild geben auch zahlreich handgeschriebene Poster ab, mit denen die Wände zugeklebt sind. "Wir sind für ein Donezk in einer föderalen Ukraine", steht auf einem Plakat. Ein anderes fordert "eine Rückkehr nach Russland".
Darüber, wie es weiter gehen soll, haben die wenigsten Menschen auf Donezker Straßen eine klare Vorstellung. "Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem die Situation sehr schnell in jede Richtung umschlagen kann", sagt Wolodymyr Kipen, Soziologiedozent an der Donezker Universität. Rund zwei Drittel der Menschen in der Millionenstadt Donezk seien dafür, dass die Region Teil der Ukraine bleibt. Das sei das Ergebnis einer Umfrage, die sein Institut vor kurzem durchgeführt habe. Ein Viertel habe sich aber für einen Anschluss an Russland ausgesprochen.
Potenzial für Bürgerkrieg
Besonders besorgniserregend seien aber andere Zahlen, sagt Kipen. "Rund 20 Prozent haben uns gesagt, sie würden russische Truppen in Donezk begrüßen", so der Soziologe. Genauso viele, also jeder Fünfte, würden Russen im Falle eines Einmarschs mit allen Mitteln bekämpfen. "Die Stimmung ist sehr stark polarisiert", sagt Kipen. Das berge Potenzial für einen Bürgerkrieg.
Man kann davon ausgehen, dass die ukrainische Regierung diese Zahlen kennt. Vielleicht schickt sie deshalb keine Truppen nach Donezk, um die besetzten Gebäude mit Gewalt zu räumen. Einmal am Tag zwei Kampfjets am Himmel ist offenbar das einzige Zeichen der Stärke, zu dem Kiew momentan bereit ist.