Serbiens offen homosexuelle Regierungschefin
15. Juni 2017"Ich habe dem Präsidenten Vučić gesagt, dass der neue Regierungschef ein gastlicher Hausherr sein solle, ein Familienmensch, der Kinder hat", sagte jüngst Dragan Marković, Chef einer kleinen Partei, die mit der mächtigen Fortschrittspartei des neuen Präsidenten Aleksandar Vučić koaliert. Die versammelten Journalisten mussten lachen, denn allen war sofort klar, worauf der ultrakonservative Politiker zielt. Nun wird aber Marković, der einst stolz behauptete, dass es in seinem Heimatstadt "keinen einzigen Homosexuellen" gebe, zutiefst enttäuscht sein.
Über Wochen hinweg hielt der alleinherrschende Vučić nach seinem Erdrutschsieg bei den Präsidentschaftswahlen die Öffentlichkeit, seine eigene Partei und die Koalitionspartner in Atem. Medien spekulierten, wen Vučić wohl als seinen Nachfolger in den Premiersessel setzen werde? Am Donnerstagabend war es soweit: Vučić kündigte an, dass es erstmals in der serbischen Geschichte eine Frau an der Regierungsspitze geben werde: die offen lesbische Ana Brnabić.
Die bisherige Ministerin für öffentliche Verwaltung und Kommunales hat einen beindruckenden Lebenslauf: Nach ihrem Marketingstudium an der Northwood Universität im US-Bundesstaat Michigan und an der Hull-Universität in England arbeitete Brnabić in etlichen Projekten der EU und der amerikanischen Behörde USAID in Serbien. Danach wurde sie Direktorin der US-Firma Continental Wind Serbia (CWS), die ihr Geld mit der Entwicklung von Windparks macht. Neben Englisch spricht sie fließend Russisch. Dazu ist Brnabić parteilos, also eine "unabhängige Expertin", was bei den mit der Politik verdrossenen Serben als eine Qualität für sich gilt.
"Ein großer Schritt"
Doch es sind nicht die Qualifikationen, die Brnabić seit letztem August zum Dauerthema machen. Damals wurde die 41-Jährige das erste Regierungsmitglied, das offen homosexuell ist. Und das in einem Land, in dem das Wort der mächtigen orthodoxen Kirche viel zählt und in dem es noch vor wenigen Jahren anlässlich der Gay-Parade regelmäßig zu Krawallen zwischen Polizei und "patriotischen" Rowdys kam. Präsident Vučić - lange selbst ein großserbischer Nationalist, der erst 2008 seine Vorliebe für die EU und für Reformen entdeckte - erhielt allerseits Lob für seinen "Mut", eine Lesbe zur Ministerin zu berufen.
"Ich habe ihm (Vučić) gesagt, dass ich meine sexuelle Orientierung weder hervorheben noch verheimlichen möchte. Er stimmte dem zu", sagte Brnabić der DW im Februar. "Ich denke, das ist ein großer Schritt für die serbische Gesellschaft. Ich bin absolut dagegen, dass jemand ein Amt bekommt, nur weil er einer Minderheit angehört. Aber wenn man kompetent ist, dann soll man wegen seiner Orientierung, Zugehörigkeit oder Meinung nicht diskriminiert werden", so Brnabić.
Vučić hat weiter das Sagen
Die zusammengeschrumpfte Opposition und wenige kritische Medien bezichtigen Vučić, den Staat als seinen Privatbesitz zu regieren. Die Jobs im öffentlichen Dienst und üppige Aufträge werden nur treuen Anhänger zugeteilt, die Wirtschaft ist ruiniert und die freie Presse wurde durch Abzug der Anzeigen mundtot gemacht. Einer der Skandale hatte auch mit der künftigen Premierministerin Brnabić zu tun - und da zeigte sie sich gegenüber Vučić sehr hilfsbereit.
Ende 2015 beschwerte sich eine ehemalige Mitarbeiterin der Firma CWS wegen Korruption in Serbien. In einem Telefonat, dessen Inhalt den Medien zugespielt wurde, beschuldigte sie den Direktor der staatlichen Firma "Stromnetze Serbiens", Nikola Petrović, zwei Millionen Euro in bar von CWS verlangt zu haben, um deren Windpark an das Stromnetz anzuschließen. Pikant dabei: Petrović ist enger Freund und Trauzeuge des Machthabers Vučić. Doch Ana Brnabić, zu dieser Zeit die Direktorin von CWS, bestritt die Vorwürfe auf einer Pressekonferenz zusammen mit Petrović. Nur wenige Monate später war sie schon Ministerin, was nicht wenige als Belohnung für die Rückendeckung deuteten, die sie den Regierenden geleistet hatte.
Als Solistin in der Regierung ist sie jedenfalls nicht aufgefallen - eher als eine der vielen, die ununterbrochen Vučić als großen Reformer loben. Auch harte Sparmaßnahmen, die beispielweise die ohnehin miserablen Renten auf durchschnittlich 190 Euro drückten. "Das nenne ich Verantwortung: Den Menschen mutig sagen, was machbar ist und was nicht", sagte Brnabić darüber. Ja, sie ist jung und cool, aber mehr unterscheidet sie von den anderen Vučić-Gefolgsleuten nicht, sagen Beobachter.
"Der Staatspräsident hat fast keine exekutiven Befugnisse. Aber Vučić wird den Eindruck nicht entstehen lassen, dass er nicht mehr der Mächtigste im Lande ist", meint etwa Vladimir Milutinović. Der Belgrader Philosoph und Kolumnist erinnert daran, dass die Fortschrittspartei eine breite Mehrheit im Parlament hat und damit Parteichef Vučić im Alleingang über Regierungsposten entscheidet. "Jede Person, die den Posten des Regierungschefs in dieser Situation annimmt, muss Vučić gehorchen", sagte Milutinović der DW.
Weiter Richtung EU
Mehrmals wiederholte Brnabić, dass die nächste Regierung weitermachen solle wie bisherige. Dies bedeutet auch einen Spagat zwischen der EU, mit der das Balkanland seit Ende 2015 über einen Beitritt verhandelt, und den traditionell guten Beziehungen zu Russland. "Wir verstehen die EU als ernsthaften Partner, und nicht als Goldgrube, die wir uns schnappen sollen um höhere Gehälter, Renten, bessere Arbeitsplätze und weniger Arbeitslosigkeit zu erzielen. Das kommt nicht von der EU, das soll von uns kommen", sagte die designierte Premierministern Ana Brnabić im DW-Interview. "Wir wissen, dass die EU sich gerade mit eigenen Problemen beschäftigt, und es sind nicht wenige. Aber das beeinträchtigt nicht die Entschlossenheit Serbiens, den EU-Weg weiter zu gehen."
Oppositionell gesinnte Serben sehen in der Ernennung Brnabić' keinen Meilenstein. Ihre sexuelle Orientierung spiele für die Entwicklung im Land keine Rolle. Anderseits haben im treuen und eher konservativen Parteivolk von Vučić sicherlich viele die Auswahl einer Homosexuellen für so einen prominenten Posten nur mit Zähneknirschen angenommen. Aber die restlose Freude gibt es wenigstens in Kroatien. Die Medien im verhassten Nachbarstaat wollen herausgefunden haben, dass Brnabić eigentlich Kroatin ist, deren Vorfahren seit 1673 auf der Adriainsel Krk lebten, wo die Politikerin auch heute ein Ferienhaus hat. Ein kroatisches Portal jubelte jüngst: "Sie ist reich, homosexuell und dazu noch Kroatin."