Wer sind die Nibelungen?
4. August 2020Eine Männerfreundschaft führt in der Nibelungensage zu einem unheilvollen Bündnis und letztendlich zum Untergang eines ganzen Volkes. So ist es nun mal mit den Männern.
Die Frauen kommen aber auch nicht gerade gut weg: Eine stolze Königin beleidigt ihre ebenso stolze Schwägerin dermaßen, dass diese den Plan zur Ermordung des Ehemannes ihrer Rivalin schmiedet. Kriemhild heißt die Frau, und ihr Mann: Siegfried.
Am Ende überlebt nur Kriemhilds zweiter Mann, König Etzel (Attila). Das Nibelungenlied endet mit den mittelhochdeutschen Worten: "hie hât daz maer ein ende: daz ist der Nibelunge nôt." (Hier hat die Mär ein Ende: Das ist der Untergang der Nibelungen).
Heldenepos aus uralter Zeit
Drohendes Unheil zieht sich wie ein roter Faden durch die ganze Geschichte: Ein junger Recke tötet einen Drachen, badet im Blut des erschlagenen Tieres und wird dadurch unverwundbar - fast. Der vermeintliche Ort, wo das geschah, der Drachenfels, liegt nur wenige Kilometer rheinaufwärts von der DW im Siebengebirge. Sein Profil erinnert aus der Ferne betrachtet an den zackenförmigen Rücken eines liegenden Ungeheuers.
Das germanische Heldenepos eines unbekannten Autors mit seinen 2400 Strophen datiert aus den Jahren 1200 bis 1205. Man weiß das ziemlich genau, denn der Text enthält zeittypische Hinweise. Und auch wenn die Handlung größtenteils am Rhein stattfindet, deuten präzise Ortsbezüge auf eine Entstehung im Donauraum hin, zwischen Passau, Wien und Gran in Ungarn.
Vom Nibelungenlied gibt es allerdings verschiedene Textfassungen nebst weiteren Gedichten und Prosaerzählungen, die im ganzen altgermanischen Kulturraum verbreitet sind. Sie unterscheiden sich ziemlich stark in den Details , denn die Erzählung fußt auf historischen Ereignissen, die keinesfalls im 13., sondern schon im 5. Jahrhundert stattfanden und 800 Jahre lang rein mündlich überliefert wurden. Selbst zur Zeit der Geschehnisse, von denen erzählt wird - der Untergang des ersten Reichs deutscher Stämme am Rhein, der Burgunder, im Jahr 436 - waren Figuren wie Siegfried und der Drache schon altbekannt.
Nibelungen überall
In Deutschland trifft man immer wieder auf Spuren des Heldenepos. In Hessen kann man in die "Nibelungenbahn" einsteigen; sie verbindet einige Ortschaften miteinander, die in der Sage vorkommen. In Worms am Rhein, wo der größte Teil der Geschichte spielt, finden seit 2003 alljährlich die "Nibelungen-Festspiele" statt. Sie wurde allerdings in der aktuellen Saison abgesagt - pandemiebedingt. Und sogar fernab von deutschen Landen liegt irgendwo auf der Antarktis ein eisfreies "Nibelungen Valley" .
Auch sprachlich haben die Nibelungen sich verewigt. Unter "Nibelungen-Treue" verstand man während der Enstehungsgeschichte der Sage das uneingeschränkte Einstehen eines Herren für seinen Vasallen: So lieferten Kriemhields Brüder ihr nicht den Mörder ihres Mannes, Hagen von Tronje, aus. Sie wollten lieber sterben, als einen ihrer Männer herauszugeben, heißt es im Nibelungenlied. Doch spätestens seit dem Dritten Reich ist der von den Nazis vereinnahmte Begriff ideologisch belastet, assoziiert man damit doch ein Volk, das bedingungslos seinem Führer folgt, selbst oder gerade bei drohender Katastrophe.
Die Nibelungen-Sage wurde mehrfach verfilmt, schon 1924 brachte Regisseur Fritz Lang das Epos als Stummfilm auf die Leinwand - spätestens jetzt, nach dem Erfolg von "Game of Thrones", wäre die Welt bereit für eine weitere Verfilmung, meint der deutsche Filmproduzent Nico Hofmann.
Am bekanntesten aber ist "Der Ring des Nibelungen", den Komponist und Textdichter Richard Wagner schuf: Sein "Ring" umfasst nicht weniger als die ganze Weltgeschichte, von der Entstehung bis zum Untergang. 2020 war eine Neuinszenierung des Vieropern-Zyklus bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth geplant. Dann machte sich eine mächtigere Kraft als der Zauberring breit: wieder dieses Coronavirus, das zur Absage der Festspiele führte.
Ganz schön verwirrend, diese Nibelungen…
Wagner hielt sich übrigens nicht so sehr an das deutsche Nibelungenlied, sondern an die isländische Variante, die "Liederedda", ebenfalls im 13. Jahrhundert datiert. Die Wikinger hatten die Geschichte bei der Besiedlung Islands im 8. Jahrhundert mitgebracht.
In der isländischen Erzählung sind die Nibelungen Zwerge, die in einem unterirdischen Reich Gold schürfen und so den größten Schatz der Welt anhäufen. Der Name "Nibelung" hat übrigens mit "Nebel" zu tun, was darauf hindeutet, dass das besagte Volk in einer nebeligen Gegend angesiedelt oder irgendwie selbst nebelhaft oder mysteriös war.
Im mittelhochdeutschen Versepos geht es dagegen nicht um ein Zwergenvolk, sondern um die Königssöhne Schilbung und Nibelung - und einen Erbstreit. Die Söhne können sich nicht darüber einigen, wer was bekommt, und bitten Siegfried darum, die Aufgabe zu übernehmen. Dieser ist nun der lachende Dritte: Nach einem Disput tötet er die Brüder und ihre Gefolgsleute - und ist nun, als Besitzer ihres Schatzes, selbst "Nibelung" geworden. Später heiratet er Kriemhild am Hof in Worms, und als nach seinem Tod der Schatz an ihr Volk übergeht, werden sie zu "Nibelungen".
Ganz schön verwirrend. Man bedenke aber, dass bei einer mündlichen Erzählung auch heutzutage in kürzester Zeit unterschiedliche Versionen und Missverständnisse entstehen können. Die Nibelungensage wurde dagegen ganze acht Jahrhunderte lang mündlich überliefert. Kein Wunder, dass die Story in verschiedenen Varianten auftaucht und dass heidnische und christliche Inhalte, Götter und höfische Gesellschaft in Parallelversionen vertreten oder miteinander verquickt sind.
Der glorreiche Held
Was für ein Mann ist denn jetzt dieser Siegfried, der glorreiche Held? Zumindest in Wagners Version ist er nicht allzu klug. Er braucht es aber auch nicht zu sein, denn er ist furchtlos und stark, und er besitzt ein besonderes Schwert. Damit erlegt er den Lindwurm und merkt dann, dass das Drachenblut seine Haut unverletzbar macht.
Wer regelmäßig unter der Dusche steht, weiß, dass es eine Stelle gibt, an die man mit den Händen nicht gut drankommt: zwischen den Schulterblättern. Auch das Drachenblut gelangt bei Siegfried nicht dorthin - mit fatalen Folgen.
In einer Version der Erzählung fällt ein Lindenblatt auf die entsprechende Körperstelle und verhindert die Benetzung mit Drachenblut. Auf welche Weise auch immer diese deutsche Variante der "Achillesverse" entstanden ist: Siegfrieds liebende Ehefrau Kriemhild näht arglos ein Hemd für ihren Göttergatten, das an just dieser Stelle am Rücken mit einem Kreuz geschmückt ist. Dort kann der Übeltäter Hagen, ins Geheimnis eingeweiht, präzise zuschlagen. Siegfried wird rücklings ermordet.
Das hat man davon, wenn man einem Freund aushilft
Aber warum in aller Welt sollte man diese Lichtgestalt ermorden wollen? Da spielt die stolze Brunhilde aus dem Norden eine Rolle. Denn um die schöne Kriemhild ehelichen zu dürfen, hat Siegfried sich verpflichtet, ihrem Bruder Gunther bei der Brautwerbung auszuhelfen: Dieser hat sich nämlich in den Kopf gesetzt, Brunhilde zu seiner Frau zu machen.
Der Haken dabei: Sie ist nicht nur schön, sondern auch stark und will sich nur einem Mann hingeben, der sie im Kampf besiegen kann. Dafür reicht Gunthers Stärke nicht. Siegfried steht ihm nun zur Seite: Dank einer Tarnkappe unsichtbar, besiegt er Brunhilde im Kampf. (Die Tarnkappe war Teil des Nibelungenschatzes.)
Damit nicht genug: Gunther muss danach die Ehe vollziehen. Nicht ganz einfach: Auch damit ist Brunhilde nicht einverstanden. Sie wehrt den frischgebackenen Ehemann ab und hängt ihn mit ihrem Gürtel an der Wand auf. Ganz schön peinlich für Gunther: Selbst beim Ehevollzug muss Siegfried wieder aushelfen. Wieder unsichtbar, überwältigt er Brunhilde im Bett und entwendet ihr Gürtel und Ring. Auch an dieser Stelle gibt es verschiedene Versionen, auf die wir nicht näher einzugehen brauchen.
Typisch deutsch?
Die sehr persönlichen Gegenstände, Gürtel und Ring, landen im Besitz von Siegfrieds Gattin Kriemhild, und sie führt sie der stolzen Brunhilde in aller Öffentlichkeit vor. Derart erniedrigt, entscheidet Brunhilde: Siegfried muss sterben. Sie schmiedet einen Plan mit Hagen, und er vollzieht die Tat.
Danach verfällt Kriemhild in Trauer und schwört Rache. Diese bekommt sie auch, 26 Jahre später, am Hof ihres zweiten Gatten Etzels (Attilas) - auch wenn sie selbst im Gemetzel stirbt.
Für die Erzählung weiterer Verwicklungen reicht der Platz hier nicht. Fest steht: Das Nibelungenlied ist nichts für zarte Gemüter. Und im Übrigen auch nicht besonders frauenfreundlich. Ist es aber besonders deutsch? Nicht unbedingt: Auch in Homers "Ilias" und so manchem Shakespeare-Stück gibt es am Ende mehr Leichen als Überlebende.