Förderung für alle
5. September 2011Als nach dem Erdbeben Anfang 2010 in Haiti die Nothilfe anlief, wollten viele Organisationen frühere Fehler vermeiden. Um sicher zu stellen, dass Hilfen tatsächlich den Familie zugute kommen, entschlossen sich internationale Organisationen, Nahrungsmittel und andere Hilfsgüter nur an Frauen auszugeben. Man hatte die Erfahrung gemacht, dass Männer die Hilfsgüter häufiger einfach weiterverkaufen. Doch die neue Strategie brachte eine neue Gruppe von Benachteiligten hervor: schwule Männer.
Sie seien nicht nur von den Hilfslieferungen ausgeschlossen, erzählt Ise Bosch, Vorsitzende der Stiftung Dreilinden. Wenn sie doch versuchten, sich anzustellen, seien sie extrem angefeindet worden. "Es gab so Zauberei-Ideen: Ihr habt das Erdbeben über das Land gebracht. Das wurde eine gewalttätige Situation für die Schwulen, die versucht haben, auch Lebensmittel zu bekommen, weil sie so sichtbar waren in dieser Menge."
"Sanktionen sind kontraproduktiv"
Ans Licht gebracht hat diese Vorfälle der Bericht einer amerikanischen Schwulen- und Lesbenorganisation. Wie viele ähnliche Beispiele es weltweit gibt, lässt sich nur schwer schätzen. Die Dreilinden-Stiftung, die die Rechte sexueller Minderheiten fördert, hat nun gemeinsam mit dem Berliner Institut für Menschenrechte untersucht, inwieweit Deutschland in seiner Entwicklungszusammenarbeit die Rechte von sexuellen Minderheiten berücksichtigt. Für die meisten staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen sei das Thema ziemlich neu, sagt Lucy Chebout, Mitautorin der Studie. Es ist die zweite Untersuchung zu diesem Thema. Die erste erschien 2009. "Damals waren die staatlichen Entwicklungs-Organisationen überhaupt nicht repräsentiert – sprich mit Null Euro Förderung vermerkt", stellt sie fest. "Heute sind das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und das Auswärtige Amt zwei der drei größten Förderer."
In der deutschen Öffentlichkeit fanden diese Fragen zum ersten Mal Beachtung, als der heutige Außenminister Guido Westerwelle im Wahlkampf 2009 forderte, Staaten, die auf Homosexualität die Todesstrafe verhängen, die Entwicklungshilfe zu streichen. Auf solche Forderungen wollen sich die Autoren und die Auftraggeber der Studie allerdings nicht einlassen.
"Die Diskriminierung sexueller Minderheiten ist in den Ländern, mit denen Deutschland entwicklungspolitisch zusammenarbeitet, häufig gesellschaftlich tief verankert", sagt Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte. "Sanktionen können dazu führen, dass diese Menschen als Sündenböcke verstanden werden: Sie sind dann schuld daran, dass Entwicklungszusammenarbeit eingestellt wird. Und dann ist die Sanktion kontraproduktiv."
Keine Kooperation mit christlichen Fundamentalisten
Stattdessen solle die Entwicklungszusammenarbeit Gruppen und Organisationen vor Ort fördern – auch wenn diese aus Furcht vor Diskriminierung oft nicht öffentlich auftreten. Gerade in den Ländern, wo die Diskriminierung am stärksten verankert ist, fehle der Entwicklungszusammenarbeit noch oft der Mut, wirklich nach Kooperationspartnern zu suchen, sagt Lucy Chebout. So kämen sexuelle Minderheiten in Nordafrika in der deutschen Menschenrechtsförderung gar nicht vor. "Das bedeute aber nicht, dass es dort keine Aktivisten gibt", sagt sie. "Sie sind bloß von den deutschen Organisationen noch nicht gesehen und gehört worden."
Und noch ein Anliegen formuliert die Studie: Unter den nicht-staatlichen Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit haben einige einen christlich-fundamentalistischen Hintergrund. Sie setzen sich nicht gegen, sondern für die Diskriminierung sexueller Minderheiten ein. Mit solchen Organisationen dürfe die staatliche Entwicklungszusammenarbeit nicht mehr kooperieren.
Autor: Mathias Bölinger
Redaktion: Andrea Lueg