Madonna-Entdecker Seymour Stein ist tot
4. April 2023Es sind Geschichten wie diese, die wie aus der Zeit gefallen klingen: Da liegt ein Musikproduzent mit Herzmuskelentzündung im Krankenhausbett, in Boxershorts und Unterhemd, eine Kanüle in der Nase und einen Tropf am Arm. Dieser Musikproduzent ist Seymour Stein. Sein Mitarbeiter hat Stein ungewöhnlichen Besuch mitgebracht ins Krankenhaus: Eine junge Sängerin. "Sie war ganz aufgetakelt in billigen Punk-Klamotten, die Art von Club-Kind, die auf einer Herzstation völlig fehl am Platz war", schrieb Musikmogul Seymour Stein später in seiner Autobiografie. Diese junge Sängerin war keine geringere als Madonna.
Und auch die die "Queen of Pop" erinnert sich an diesen schrägen Moment, der ihr Leben für immer verändern sollte. Anlässlich der Nachricht vom Tod Seymour Steins teilt sie ihren Teil der Geschichte auf Facebook: "Ich hatte meinen riesigen Ghettoblaster dabei und war bereit, meine Kassette für ihn abzuspielen. Er lächelte, als er mich sah und fragte mich, ob ich mit der Jungfrau Maria verwandt sei. Da wusste ich, dass wir uns verstehen würden", heißt es im Post.
Nachdem Madonna ihm ihren Song "Everybody" mehrmals vorgespielt hat, nimmt sie Stein noch am selben Tag bei seinem legendären Plattenlabel "Sire Records" unter Vertrag. 1982 war das. "Seymour hat mich nicht nur gehört, sondern auch mich und mein Potenzial gesehen. Dafür werde ich ihm auf ewig dankbar sein!", schreibt Madonna weiter.
Seymour Stein: Mitbegründer des New Wave
Der US-amerikanische Produzent konnte wie kein Zweiter jene Potentiale intuitiv sehen und vor allem hören, die kurz vor ihrem Durchbruch standen. Er mühte sich nicht um bereits bekannte Musikgrößen, sondern suchte junge, neue Talente. So entdeckte er nicht nur die Ramones, sondern hatte auch das "Who-is-who" der New Wave-Szene der 1970er unter Vertrag: Die Talking Heads, The Pretenders, The Smiths und The Cure. Er soll gar den Begriff "New Wave" maßgeblich geprägt haben, nachdem er die Kampagne "Don't Call it Punk" ("Nennt es nicht Punk") gestartet hatte, um den abfälligen Stempel der Punkmusik loszuwerden.
Auch die Talking Heads zeigten sich dankbar auf Facebook: "Er war unser Champion. Er kämpfte tapfer für uns und blieb uns bis zum Ende treu." Manche Leute wie Seymour könnten eben einen Rohdiamanten erkennen. "Er bot uns einen Plattenvertrag an, nachdem er uns nur ein einziges Mal im CBGB (New Yorker Punk-Club, Anm.d.Red.) gesehen hatte, und bevor wir uns überhaupt bereit fühlten."
Schellack in den Adern
Seymour Stein handelte schnell. Für die Unterschrift von Depeche Mode soll er eigens einen teuren Concorde-Flug von New York nach London genommen haben, um die Synth-Popper in einem Club spielen zu hören. Wenn man ihn fragte, wie er es geschafft hat, zu einem der einflussreichsten Musikmoguln aufzusteigen, war seine Antwort: "Gehör. Gehör ist sehr wichtig. Wenn Du keines hast, stell jemanden ein, der eines hat. Bei mir war das nie so, weil ich mir das nie leisten konnte. Ich musste das alles selbst machen. Ich bin sicherlich kein schlechter Geschäftsmann, aber meinen Erfolg verdanke ich meinen Ohren."
Der 1942 in New York geborene Stein hatte sich schon als Teenager für Musik interessiert und erste Jobs beim Billboard-Magazin und dann bei Musikagenturen bekommen. Als er 15 war, erlaubten ihm seine Eltern, den Sommer in Cincinnati zu verbringen, wo er bei dem Rhthym-and-Blues-Produzenten Syd Nathan Einblick ins Plattengeschäft bekam. "Er sagte meinem Vater, ich müsse ins Musikgeschäft. Ansonsten wäre ich zum Scheitern verurteilt, da ich Schellack in meinen Adern hätte."
Trauriger Tag für die Musikwelt
Seymour Stein hatte einen breiten Musikgeschmack. So nahm er 1987 den Rapper Ice-T unter Vertrag und später auch die Metal-Band Body Count. "Es ist ein trauriger Tag für mich und für die ganze Musikwelt", postet der US-Amerikaner Ice-T.
"Eine Legende stirbt nie", ergänzt Johnny Ramone, Gitarrist der Ramones, auf Facebook. Seymour Stein, der nun mit 80 Jahren an einem Krebsleiden gestorben ist, gab sich da bescheidener. Er, der 2005 in die Rock'n'Roll Hall of Fame aufgenommen worden war, glaube nicht, dass es in seiner Branche Genies gebe, wie er der britischen Tageszeitung The Guardian sagte. "Vielleicht gibt es ein paar. Ich gehöre nicht zu ihnen, das kann ich Ihnen versichern. Ich habe gute Ohren, ich arbeite hart und ich liebe, was ich tue. Machen Sie aus mir nicht mehr, als ich bin."