Shell soll Ursache von Öllecks verschleiert haben
7. November 2013Der See ist tot, vom Uferrand her stinkt eine schmierig-schwarze Mischung aus Erde und Öl - weite Teile in Nigerias Ölfördergebiet im Niger-Delta sind verseucht. Auslaufendes klebriges Rohöl und freigesetzte Gase haben große Teile der Region in kaum bewohnbares Ödland verwandelt. Vor zwei Jahren machte eine Studie des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) das Ausmaß deutlich: Mindestens ein Vierteljahrhundert werde die Region des Ogonilands brauchen, um sich von den Umweltschäden zu erholen, rund 740 Millionen Euro seien nötig - für den Anfang, so die Studie.
"Seit mein Ackerland vor acht Jahren von auslaufendem Öl verseucht wurde, habe ich die Landwirtschaft aufgegeben", erzählt Eunice Blacky aus dem Dorf Oruma der Deutschen Welle. Sie macht den britisch-niederländischen Ölkonzern Shell verantwortlich - den größten Rohölförderer der Region. "Shell ist gekommen und hat alles kaputtgemacht. Aber die weigern sich, für den Schaden aufzukommen."
Dabei wäre das Milliarden schwere Unternehmen eigentlich dazu verpflichtet, denn an seinen Pipelines gibt es Lecks, aus denen große Mengen Erdöl unkontrolliert in die Umwelt fließen. Über 600 solcher Lecks dokumentierten nigerianische Behörden allein in in diesem Jahr - ein Viertel davon befinde sich an Ölleitungen von Shell, heißt es. Längst sind Landwirtschaft und Fischerei in großen Teilen des Niger-Deltas nicht mehr möglich - die ländliche Bevölkerung hat ihre wichtigste Lebensgrundlage verloren.
Shell weist Anschuldigungen zurück
Doch der Ölgigant Shell windet sich und weist die Vorwürfe zurück. Der größte Teil der Schäden sei auf Diebstahl der Anwohner zurückzuführen: Sie würden die Pipelines illegal anzapfen, um Öl für eigene Zwecke abzuführen.
Solche Fälle gibt es zwar. Doch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) wirft Shell in einem Bericht, den sie am Donnerstag (07.11.2013) veröffentlicht hat, Verschleierungstaktik vor: Maßgeblich für die meisten Lecks seien Abnutzung und schlechte Wartung, heißt es dort. "Wir sehen zwar auch, dass Sabotage und Diebstahl ein großes Problem sind und das Austreten von Öl zur Folge haben können", sagt die für globale Angelegenheiten zuständige Amnesty-Direktorin, Audrey Gaughran. "Trotzdem werden hier Probleme miteinander vermengt: Der Diebstahl von Öl führt nicht zwangsläufig zu einem Leck." Indem Shell und andere Konzerne den Diebstahl als Ursache hochspielten, werde das größere Problem unter den Teppich gekehrt: Nämlich, dass der Konzern seine Pipelines nicht sachgerecht instand halte und somit maßgeblich Schuld an der Umweltverschmutzung trage.
Den Beweis dafür liefert Amnesty International gleich mit: Heimlich filmte ein Anwohner der Region eine Pipeline, an der ein Leck aufgetreten war. Zunächst soll Shell das Leck mit technischem Versagen begründet haben - um es nachträglich offenbar auf Diebstahl zurückzuführen. Darüber hinaus werde die Dokumentation der Schäden systematisch manipuliert, sagt Amnesty-Direktorin Gaughran. So spiele Shell die Menge des austretenden Öls konsequent herunter. Das alles geschehe auf Kosten der Bevölkerung, die so um eine angemessene Entschädigung betrogen werde.
Shell reagierte promt auf den Bericht: Es handle sich hierbei um unbestätigte Anschuldigungen, die der Konzern entschieden zurückweise.
David gegen Goliath
Dass Shell bislang nicht für die Schaden für Mensch und Umwelt zur Rechenschaft gezogen wurde, hängt auch mit der großen Bedeutung des Öls für Nigeria zusammen: Die Öl-Exporte machen rund vier Fünftel der staatlichen Einnahmen aus. Aber die staatlichen Kontrollinstanzen arbeiteten nicht unabhängig, sagt Audrey Gaughran der Deutschen Welle: "Die Untersuchungen der Lecks werden von den Ölunternehmen geleitet. Die staatlichen Kontrolleure sind auf die Konzerne angewiesen, um zum Ort des Geschehens zu kommen und um technische Informationen zu erhalten."
Der nigerianische Menschenrechtler Kentebe Ediaridor spricht von einem Versagen der nigerianischen Regierung. "Sie tut nicht genug. Es fehlt das Interesse an den Problemen der nigerianischen Bevölkerung und an der Umweltverschmutzung." Immerhin hat es in diesem Jahr ein wenig Bewegung gegeben: Die niederländische Nichtregierungsorganisation "Milieudefensie" hatte gemeinsam mit fünf Nigerianern, die ihre Lebensgrundlage aufgrund der Verschmutzung verloren haben, gegen Shell geklagt. Beim Prozess im Januar wurde der Konzern in einem Fall zu Schadensersatzzahlungen verpflichtet. In den anderen Fällen erklärte sich das Bezirksgericht in Den Haag für nicht zuständig, darüber müsse die nigerianische Justiz urteilen.