Langhoffs postmigrantisches Theater
2. März 2011Sie trägt gerne Hüte. Modelle von der Art, die kleine Angestellte in den 1970-er Jahren auf dem Kopf hatten. Unter der zurückgeschobenen Krempe quellen dann ihre langen dunklen Haare hervor und umrahmen das Gesicht, in dem große Augen leuchten, die immer in Bewegung sind. Shermin Langhoff ist 41 Jahre alt und von zierlicher Gestalt, aber ausgestattet mit einer geradezu unverschämten Kraft, Energie und Begeisterungsfähigkeit. Ihre bislang größte und sicher auch erfolgreichste Idee war vor gut zwei Jahren die Gründung des Ballhauses Naunynstraße. Mitten im von zumeist türkischen Einwanderern geprägten Berliner Stadtteil Kreuzberg hat sie seitdem eine Spielstätte etabliert, die in Deutschland einzigartig ist - bietet sie Künstlern der zweiten und dritten Migrantengeneration doch einen Raum, in dem sie ihre Geschichten erzählen können. Und dabei jene multikulturelle städtische Gesellschaft reflektieren, die man etwa in Kreuzberg antrifft.
Eine Bereicherung der Kulturszene
Shermin Langhoff kam als Kind einer Gastarbeiterin aus der Türkei nach Deutschland. Aufgewachsen ist sie in Nürnberg, machte eine Ausbildung zur Verlagskauffrau und bereicherte bald die Kulturszene der Stadt - mit deutsch-türkischen Filmtagen und deutschen und deutschtürkischen Künstlern aus dem ganzen Land, die bis heute Freunde und Teil ihres weitmaschigen Netzwerks sind. Sie lernte, Filme zu produzieren, heiratete den Regisseur Lukas Langhoff und wurde von Matthias Lilienthal ans Berliner Theater Hebbel am Ufer geholt, "um irgendwas mit Türken zu kuratieren". Für die Bühne entdeckt wurden dabei dann unter anderem die Autoren Feridun Zaimoglu, Nurkan Erpulat und Fatih Akin sowie eine ganze Reihe begabter junger deutsch-türkischer Schauspieler und Schauspielerinnen der zweiten und dritten Generation.
Langhoffs Projekte hatten Erfolg. Die Geschichten, die sie erzählen ließ, kamen an, auf der Bühne überzeugten junge, bislang unbekannte Darsteller und Darstellerinnen. Und ein neues Publikum fand den Weg ins Theater. Was Shermin Langhoff nicht wirklich überrascht hat, denn "wenn ich Identifikationsmomente habe, dann taugt das für den politischen Raum Theater. Dann zieht das auch neue Publika an."
Kreuzberger Unikat
So schien es denn naheliegend, postmigrantisches Theater nicht nur im Rahmen von Festivals, sondern dauerhaft zu zeigen. Und es weiter zu entwickeln. Die Politik hat das Vorhaben unterstützt, und das Ballhaus in der Naunystraße erwies sich schon bald als idealer Standort. Natürlich gelingt nicht alles, was hier seit nunmehr gut zwei Jahren inszeniert wird. Aber vieles überzeugt. Nicht zuletzt wegen der identitätsstiftenden Geschichten, die unsere vielschichtige multikulturelle Gegenwart aus ungewohnten Perspektiven wahrnehmen. Wo sonst, fragt Shermin Langhoff, gäbe es denn die Möglichkeit, "dass in einem Team ein junger Regisseur aus Israel mit Schauspielern aus Palästina, Libyen, der Türkei und dem Iran zusammen arbeitet und durchaus globale politische Kämpfe und Auseinandersetzungen mitdenkt?"
In Berlin leben Menschen aus über 150 Nationen. Im Ballhaus treffen sie aufeinander. Und im Publikum sitzen sie oft einträchtig zusammen, Alte wie Junge. Seit mehr als zwei Jahren geht das so. Nun wurde Shermin Langhoff aufs Schönste ermutigt, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Nicht nur, weil das im Ballhaus entwickelte Stück "Verrücktes Blut" in der Inszenierung von Nurkan Erpulat für das Theatertreffen nominiert wurde. Sondern vor allem, weil die Alfred Toepfer Stiftung die Intendantin des Hauses mit dem Kairos-Preis, einem der höchstdotierten Kulturpreise in Europa, ausgezeichnet hat. Mit der Begründung, dass Shermin Langhoff eine Mentorin für Kultur ist, die den Theaterbetrieb bereichert sowie junge Talente entdeckt, fördert und begleitet.
Autorin: Silke Bartlick
Redaktion: Claudia Unseld