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Shirin Neshat - Kunst im Exil

Andrea Kasiske
7. Juni 2018

Der Film "Auf der Suche nach Oum Kulthum" von Shirin Neshat, Feministin und erfolgreichste iranische Foto- und Filmkünstlerin, startet in deutschen Kinos. Ein persönlicher Blick auf die legendäre ägyptische Sängerin.

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Shirin Neshat, iranische Fotokünstlerin | Looking for Oum Kulthum 2017
Bild: Shirin Neshat/Razor Film Production

"Ich habe mich sieben Jahre mit dem Film beschäftigt, langsam ist es genug mit Oum Kulthum!" Die zierliche, elegante Frau mit dem charakteristischen schwarzen Unterlidstrich wirkt etwas erschöpft nach den vielen Presseterminen in Berlin. Eine Woche lang ist die iranische Regisseurin und Fotokünstlerin Shirin Neshat unterwegs in Europa, um ihren neuen Film "Looking for Oum Kulthum" vorzustellen. Letztes Jahr feierte er auf den Filmfestspielen in Venedig Premiere. Im Juni 2018 kommt er unter dem Titel "Suche nach Oum Kulthum" in die deutschen Kinos.

Ihr Film ist eine Annäherung an die legendäre ägyptische Sängerin, die Anfang des letzten Jahrhunderts geboren wurde und sich über alle Beschränkungen als Frau hinwegsetzte. Damit wurde sie zu einer Ikone in der arabischen Welt. In der Geschichte will eine iranische Regisseurin den Menschen die Frau hinter dem Mythos zeigen und gerät darüber in eine handfeste Krise. Ärger am Set, Sorge um den verschwundenen Sohn, Oum Kulthum verliert in diesem Film, anders als die "echte", beim Auftritt ihre Stimme. Regisseurin Shirin Neshat wollte damit kein Biopic drehen, sondern inszeniert einen Film im Film.

"Wir sind keine klassischen Mütter, aber wir haben es hingekriegt"

Dieser "andere Blick" auf den Star, mit historischem Archivmaterial und großartigen Gesangseinlagen montiert, kam in Ägypten erstaunlich gut an. Am Mythos der Sängerin Oum Kulthum kratzt er nicht wirklich, vielleicht auch, weil die "wirkliche Regisseurin", Shirin Neshat, vor allem ihre eigenen Fragen verhandelt. "Wenn Frauen in einer Männerwelt Karriere machen, was opfern sie dafür? Wie ging Oum Kulthum mit den Erwartungen an sie als Star um? Aber auch als eine Frau, die nicht dem traditionellen Bild von Weiblichkeit entspricht, die keine klassische Familie hatte."

Letztlich seien das Fragen, die weit über Oum Kulthum und Ägypten hinausgingen, meint die Regisseurin. "Das beschäftigt alle Frauen, die wie ich, Kunst, Karriere und Kind unter einen Hut bringen müssen. Klar, wir sind keine klassischen Mütter, wir sind vor allem Künstlerinnen, aber wir haben es hingekriegt", sagt Shirin Neshat bestimmt und lächelt dabei charmant.

Filmstill "Looking for Oum Kulthum"
Eine Szene aus "Looking for Oum Kulthum" über die legendäre ägyptische SängerinBild: Shirin Neshat/Razor Film/Coop99

Dass sie hinkriegt, was sie sich vornimmt, hat sie früh bewiesen. Bereits als Kind will sie Künstlerin werden. Im Iran der 1960er und 70er Jahre ein Unding. Ihr Vater, ein liberal gesinnter Arzt, ist nicht begeistert, doch er ermöglicht ihr ein Kunst-Studium in den USA. 1975 verlässt sie Teheran, vier Jahre später bricht die islamische Revolution aus. Shirin Neshat kann nicht mehr zurück in den Iran. Diese Zeit beschreibt sie als die "traumatischste" ihres Lebens. "Ich war wurzellos, fühlte mich fremd in der amerikanischen Kultur." Aber dieses Trauma wird zum Motor ihrer Kunst.

Shirin Neshat, iranische Fotokünstlerin | Rapture Series 1999
Frauen wie schwarze Vögel: Videostill der iranischen Fotokünstlerin Shirin Neshat (1999)Bild: Shirin Neshat/Gladstone Gallery New York and Brussels

Immer wieder geht es damals in ihren Fotoarbeiten und Videos um Exil, Heimat und Frauen, vor allem im Iran. In den 1990ern, nach einem ersten Besuch ihres total veränderten Heimatlandes, entsteht die großformatige SW-Fotoserie "Women of Allah". Iranische Frauen, tief verschleiert mit schwarzem Tschador, blicken selbstbewusst in die Kamera, halten ein Gewehr vors Gesicht oder zielen auf den Betrachter.

Manchmal ist es die Künstlerin selbst, die man in fotografischen Ausschnitten sieht. Ihr Gesicht oder ihre Beine hat sie mit Texten des persischen Dichters Rumi und von zeitgenössischen iranischen Dichterinnen kalligrafisch übermalt. Eindringlich, poetisch, durch und durch irritierend für den westlichen Blick. Diese Fotos verhelfen Shirin Neshat zu ihrem internationaler Durchbruch.

Shrin Neshat vor einem Foto mit tätowierten Beinen
Fotokünstlerin Shirin Neshat bei ihrer Ausstellung in Madrid, 2013Bild: picture-alliance/dpa

Hochpolitisch: Aufbruch der Frauen im Iran

"Meine Arbeiten sind keine direkten Antworten auf eine politische Krise", sagt Shirin Neshat. Konkrete Zeitbezüge lehnt die Künstlerin ab. Sonst wäre die Kunst "politische Rhetorik" und das sei nicht ihr Stil, fügt sie hinzu. Tatsächlich wirken die Männer und Frauen in ihren frühen SW-Videoinstallationen, z.B. "Rapture", wie aus der Zeit gefallen. Während sich die Ersteren auf einem Kastell einkapseln, laufen die Frauen mit wehendem Tschador zum Meer, starten per Boot ins Ungewisse.

Es sind immer wieder Frauen, die in den Videos von Shirin Neshat auf- und aus Konventionen ausbrechen. Auch in ihrem ersten Spielfilm "Women without men"  (2009) erzählt sie von vier höchst unterschiedlichen Frauen, die sich mutig befreien: von der Bevormundung durch den Ehemann, den Bruder und der Bordellmutter. Es ist Neshats einziger Film, der eindeutig im Iran spielt - 1953 zur Zeit des von der CIA unterstützten Militärputsches. Ein großer Erfolg für sie als Regisseurin: Sie wird auf den Filmfestspielen in Venedig mit dem "Silbernen Löwen" für die "Beste Regie" ausgezeichnet.

Frau im schwarzen Shador, in mitten von weißgekleideten Demonstranten (aus: "Women Without Men"/ 2009
Preisgekrönt: der Film "Women Without Men"Bild: Shirin Neshat/Coop99

Aufbruch zu neuen Herausforderungen

"Ich werde oft gefragt, ob ich eine feministische Künstlerin bin", erzählt sie lachend. Sie würde sich zwar nicht so bezeichnen, aber sie könne damit gut leben, meint sie. Frauen würden sie einfach mehr interessieren, egal aus welcher Kultur sie kämen.

Eine Frauenfigur stand auch im Zentrum ihrer bislang größten künstlerischen Herausforderung. 2017 inszenierte sie für die Salzburger Festspiele die Verdi-Oper "Aida" mit Starsopranistin Anna Netrebko in der Hauptrolle und Großmeister Riccardo Muti als Dirigent. "Als mir Markus Hinterhäuser, der künstlerische Leiter von Salzburg, das anbot, bin ich fast umgefallen", erzählt sie, und man glaubt ihr den Schock.

Ausgerechnet sie, die nie klassische Musik höre und nie in Opern gehe: "Ich dachte, er macht einen Witz." Doch nach einem "Crashkurs" zu Aida gefiel ihr die Musik außerordentlich. Und die Iranerin fand auch ihren eigenen künstlerischen Zugang. Aida, eine Fremde in Ägypten, deren Liebe weder Klerus noch König zulassen. "Es war genau das, was ich sonst auch in meinen Werken bearbeite: Frauen unter dem Druck von politischer Tyrannei und religiösem Fanatismus."

Stills DW-Beitrag Markus Hinterhäuser und Shirin Neshat
Shirin Neshat inszenierte 2017 bei den Salzburger Festspielen "Aida" (hier mit Intendant Markus Hinterhäuser)Bild: DW

Kein Blick mehr zurück

Ihre Traumata, das Exil und ihr verlorenes Heimatland Iran hat Shirin Neshat mittlerweile hinter sich gelassen. Daran habe sie sich lang genug abgearbeitet, sagt sie, es sei jetzt Schluss mit Nostalgie und Erinnerung. Inzwischen tauchen auch Männer in ihren Fotos auf, wie in der Serie "Home of My Eyes" (2015) über Menschen im Vielvölkerstaat Aserbaidschan.

Letztes Jahr bekam die mittlerweile 61-Jährige in Tokio den renommierten Preis "Praemium Imperiale" für ihr Lebenswerk. Doch die zarte Frau mit der unbändigen Energie arbeitet schon wieder an einem neuen Film. Er handelt von einer Exil-Iranerin in den USA, dem Land, in dem sie seit über 40 Jahren in New York lebt und das ihr seit der Regierung Trump wieder fremd geworden ist. Bestimmt hat auch dieser Film mit ihr zu tun, aber die Blickrichtung wird neu sein.

Foto: Frauen im Shador schieben ein Boot ins Meer
Starke Fotos von Shirin Neshat: "Rapture Series" (Videostill/1999)Bild: Shirin Neshat/Courtesy Gladstone Gallery