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Fluch im Netz

Silke Wünsch27. Juni 2012

Ein Schüler fragt freundlich an, ob man zu günstigen Konditionen eine Hüpfburg für die Abiturfeier mieten könne. Die Antwort der Firma löst einen Sturm der Entrüstung im Netz aus: das Phänomen Shitstorm.

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Gewitterhimmel mit Wolken und Blitz (AP Photo/Ted S. Warren)
Symbol Shitstorm Blitze GewitterBild: AP

"Sehr geehrtes Mietpark-Team! Wir suchen für unseren Abi-Scherz eine Hüpfburg. (...) Da wir nicht viel Budget haben, möchten wir es so günstig wie möglich halten. Könnten Sie uns da vielleicht ein Angebot machen? Mit besten Grüßen, Maik Luu."

Als der Abiturient Maik Luu auf diese E-Mail die Antwort bekommt, glaubt er zunächst sich verlesen zu haben. Der Mitarbeiter der Firma rät den Schülern, vom "Luxusdenken etwas abzurücken", wenn sie kein Geld hätten, und fügt hinzu: "Sollten Sie bei uns irgendwo ein Schild gesehen haben, 'Geschenkeladen', dann lassen Sie es mich bitte wissen."

Vorsichtig versucht Maik Luu daraufhin, dem unfreundlichen Geschäftsmann in einer weiteren E-Mail noch einmal darzulegen, dass man keinesfalls die Absicht hatte zu schnorren, sondern lediglich um ein günstiges Angebot gebeten habe. Und dann legt der Andere erst richtig los: Er prophezeit den Schülern, dass sie es nie zu etwas bringen würden, dass 70 Prozent der Abiturienten sowieso bei Unterstützungszahlungen wie Hartz IV landen und nie in der gleichen "Liga spielen" würden wie diejenigen, die Geld verdienen.

Der Abiturient Maik Luu
Abiturient Maik Luu hat einen Notendurchschnitt von 1,3Bild: picture alliance/dpa

Medien und Internet helfen kräftig mit

Eine Lokalzeitung wird aufmerksam, druckt den E-Mail-Verkehr im Wortlaut und kommentiert das Ganze mit "Unfassbar".

Obwohl Maik Luu kein Freund von Hetze im Netz ist, entschließt er sich, die Sache zu veröffentlichen. Am 18. Juni 2012 postet er den Zeitungsausschnitt in seinem Facebook-Profil. Innerhalb von wenigen Tagen wird das Ganze fast 10.000 Mal geteilt. Auf Maiks Facebook-Chronik hagelt es Kommentare, Glückwünsche. Aus allen Teilen Deutschlands kommen die Reaktionen, auch aus anderen Ländern, sogar in den USA gibt es Anteilnahme. Man bietet den Schülern sogar einen Mietzuschuss von 50 Dollar an. Zeitungen fragen an, es wird berichtet. Das betroffene Unternehmen sperrt Hals über Kopf sein Online-Gästebuch. Der oben zitierte Mitarbeiter der Firma nimmt sein Facebook-Foto von seiner Seite, ebenso das seiner Frau. Trotzdem sind die Internetuser nicht ruhig zu stellen: Namen und Fotos werden gegoogelt, gefunden und veröffentlicht. Die Geschichte landet in der Boulevardpresse, im Fernsehen, auch in überregionalen Zeitungen.

Kinder springen in einer Hüpfburg
Aufblasbarer Spaß: Hüpfburgen sind bei Kinderfesten Standard - jetzt auch bei Abi-Gags...Bild: picture-alliance/dpa

Auch wenn Maik von der Resonanz überwältigt wird, versucht er dennoch, den Ball einigermaßen flach zu halten und allzu aufschäumende Kommentatoren zu beruhigen. So schreibt ein "Fan": "Maik du bist berühmt! Mach den Laden platt, LET'S BURN IT DOWN!" Maik daraufhin: "Ruhig, Brauner. Abfackeln und Insolvenz muss nicht (sein). Aber unsere Aussage steht und das zählt."

Außer der medialen Aufmerksamkeit hat die Aktion den Schülern noch etwas gebracht: Ein im gleichen Ort ansässiges Unternehmen hat den Schülern die gewünschte Hüpfburg kostenfrei zur Verfügung gestellt.

Eine unaufhaltsame Welle

Man mag von diesen Kampagnen, die in der Regel ihren Anfang im Netz nehmen, halten was man will - ein gewisses Maß an Schadenfreude gegenüber der unfreundlichen Verleihfirma verspürt fast jeder, der den E-Mail-Verkehr gelesen hat. Sicherlich wird die Firma nicht pleite gehen, dazu ist sie regional zu groß. Und sicherlich wird der Mitarbeiter in Zukunft seine Wortwahl im Kundenverkehr etwas besser überdenken. Hier kann ein solcher "Shitstorm", ein Sturm der Entrüstung, eher einen erziehenden Charakter haben. Manchmal kann er auch großen Schaden anrichten.

Der Fall der türkischen Journalistin Mely Kiyak ist schon ernster. Sie hat eine abfällige Bemerkung über den umstrittenen deutschen Autor Thilo Sarrazin gemacht, die politisch nicht korrekt ist. Als sie sich dafür entschuldigt, ist es bereits zu spät. Die rechte Blogger-Szene, die die Journalistin schon länger auf dem Kieker hat, verbreitet übelste rassistische Hasstiraden in einschlägigen Blogs. Auch hier springen die Medien auf. Doch nicht zu Kiyaks Rettung. Die Boulevardzeitung "Bild" zündelt weiter und fordert in dicken Lettern, Kiyak solle sich bei Sarrazin entschuldigen. Die Publizistin Cora Stephan unterstellt Kiyak in ihrem Blog gar einen "Vernichtungswillen". Währenddessen wird Kiyak von den meisten Kollegen unterstützt, die "Frankfurter Rundschau", für die Kiyak regelmäßig bissige Kolumnen schreibt, steht hinter ihr.

Es trifft Prominente und Unternehmen

Ariane Friedrich, Hochspringerin und Polizistin, hat sich im April 2012 auf ihrer Facebook-Seite gegen einen Mann gewehrt, der sie mit Mails sexuell belästigt hat. Sie veröffentlichte seinen Namen und Wohnort. Dieser Schuss ging nach hinten los. Denn sowohl dieser Name als auch dieser Ort kommen in Deutschland sehr oft vor, so dass Friedrich viele Männer zu Unrecht in Verruf gebracht hat. Aus dem Versuch, ihre eigene Privatsphäre zu verteidigen, wurde "Selbstjustiz" - so der Vorwurf. Sie bekam die volle Breitseite aus dem Netz ab. So massiv, dass ihre sportliche Karriere gefährdet war. Jetzt hat sich Ariane Friedrich im Trainingslager vergraben, lässt niemanden an sich ran, um sich in Ruhe auf die Olympischen Spiele vorbereiten zu können.

Leichtathletin Ariane Friedrich liegt auf der Tartanbahn (Foto: dpa)
Hochspringerin Ariane Friedrich muss sich entspannenBild: picture-alliance/dpa

Auslöser sind unterschiedlich

Die ersten Shitstorms kamen 2005 auf. Oft trifft es Unternehmen oder bekannte Persönlichkeiten, die sich im Netz präsentieren. Eins der ersten Opfer war der Computerhersteller "Dell". Ein Kunde beschwerte sich über Service und Support, Tausende stiegen ein. Auch der Lebensmittelkonzern Nestlé, das Mobilfunkunternehmen O2 und die Firma Schlecker mussten schon einen Shitstorm über sich ergehen lassen.

Die Ursachen können unterschiedlich sein - entweder hat man sich wirklich schlecht benommen, hat einen Fehler gemacht oder ist an Peinlichkeit kaum noch zu überbieten - dann ist man meist selbst schuld. Manchmal ist ein Shitstorm aber auch die Folge eines gezielten Cybermobbings. Immerhin ist das Phänomen so bekannt geworden, dass Sprachwissenschaftler das Wort zum "Anglizismus des Jahres 2011" gewählt haben.

Man muss es aushalten, bis es von selber aufhört

In allen Fällen raten Verbraucherschützer und Unternehmensberater Folgendes: Flucht nach vorne. Kein Betroffener ist gut beraten, wenn er sich dem Niveau des Shitstorms anpasst und ebenso heftig zurückschlägt. Also: offensiv sein, das Netz beobachten, angemessen reagieren, das Ganze mit Humor tragen und Fehler eingestehen.

Ein ebenso wirksamer Rat ist auch: Stillhalten, das Ganze ein paar Tage über sich ergehen lassen. Dann ebbt das Interesse schnell ab. So geschehen beim deutschen Fußballnationalspieler Mesut Özil. Seine türkische Abstammung nehmen ihm einige offenbar übel. So hieß es auf einem Twitterkanal, Özil sei kein Deutscher, und man solle alle Spieler mit ausländischem Namen aus dem Nationalkader werfen. Während Özils Familie Anzeige gegen Unbekannt erstattet hat, verhält sich Mesut Özil ruhig und lässt den Sturm über sich hinwegfegen.

Der deutsche Blogger Sascha Lobo auf der Blogger-Konferenz RE: PUBLICA 2011 (Berlin), Foto: DW/José Antonio Gayarre
Sascha Lobo hat schon an die 40 Shitstorms "überlebt"Bild: DW

Shitstorm als Denkanstoß

Ob Hetze oder Erziehungsmaßnahme: Aus dem Netz wegzudenken ist der Entrüstungssturm nicht mehr. Er gehört zur Netzwelt dazu wie Blogs, Soziale Netzwerke, Twitter und Google. Er ist eine weitere moderne Form der Meinungsäußerung im Internet geworden.

Der bekannte deutsche Blogger Sascha Lobo hält den Shitstorm für ein "Hyperkorrektiv" mit großer Wirkung: "Die Angst vor Shitstorms kann helfen, gesellschaftliche Akteure ihr eigenes Handeln überdenken zu lassen", sagte er schon 2010 auf der Bloggerkonferenz "re:publica".

So hat auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erkannt, dass zur politischen Auseinandersetzung offensichtlich nun auch der eine oder andere Shitstorm gehöre. So sagte die Ministerin unlängst in einem Interview mit dem Magazin "Der Spiegel" achselzuckend: "Man muss das nicht mögen, aber das ist halt so."