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Showdown in Caracas

Das Interview führte Steffen Leidel29. November 2003

Die Opposition in Venezuela hat einen neuen Anlauf genommen, um Präsident Hugo Chávez aus dem Amt zu drängen. Michael Lingenthal von der Konrad-Adenauer-Stiftung spricht über einen Machtkampf mit ungewissem Ausgang.

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Versprechungen nicht erfüllt: <br>Hugo ChávezBild: AP

DW-WORLD: Die Opposition in Venezuela hat am Freitag (28.11) mit einer Unterschriftenaktion begonnen, mit der sie ein Referendum zur vorzeitigen Beendigung des Mandats von Präsident Chávez durchsetzen will. Das für Anfang 2004 vorgesehene Referendum kann nur stattfinden, wenn die Opposition mindestens 2,5 Millionen gültige Unterschriften zusammenbekommt. Wie schwer wird ihr das fallen?

Michael Lingenthal
Michael Lingenthal, Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Caracas, Venezuela.

Michael Lingenthal: Ich glaube, dass sie die 2,5 Millionen Unterschriften übertreffen werden. Die Mehrheit der Bevölkerung steht nicht mehr auf der Seite von Chávez, auch wenn der mit einem festen Wählerstamm von rund 30 Prozent immer rechnen kann. Die Opposition muss, wenn es zu einem Abberufungsreferendum kommt, einig bleiben, etwas, das sie in den letzten Wochen sehr mühsam erreicht hat.

Hat sie Chancen sich beim Referendum durchsetzen?

Wenn alles glatt geht und die sehr komplizierten Regeln für die Durchführung des Referendums eingehalten werden, könnte es Ende März stattfinden. Man darf nicht vergessen, dass es für die Opposition mehrere Hürden gibt. Eine davon ist, dass sie bei der Volksabstimmung mindestens die rund 3,8 Millionen Stimmen erreichen oder übertreffen muss, die Chávez bei seiner Wahl im Jahr 2000 bekommen hat. Eine zusätzliche, nicht in der Verfassung vorgegebene, Hürde hat das Oberste Gericht errichtet. Zusätzlich zum Minimum von 3,8 Millionen Stimmen gegen Chávez, muss die Opposition bei Referendum auch noch mehr Stimmen gegen Chávez sammeln, als seine Anhänger zur Verteidigung ihres Präsidenten für ihn abgeben werden. Chávez befindet sich im permanenten Wahlkampf und hofft - wie 1998 und 2000 - im Amt zu bleiben. Das würde die demokratische Opposition schwächen. Extreme Oppositionskräfte, die offen die Intervention des Militärs gegen Chávez fordern, könnten so die Oberhand gewinnen.

Wem wäre es denn am liebsten wenn Chávez weg wäre?

Demonstration in Caracas Venezuela
Anti-Chavistas nehmen zuBild: AP
Das ist eine breite Mehrheit durch alle Schichten der Bevölkerung. Es ist nicht so, dass nur Reiche und die Mittelklasse gegen Chávez stehen. Auch innerhalb seiner alten Domäne der marginalen Schichten gibt es heute relative Mehrheiten gegen ihn.

Es gab bereits mehrere Versuche Chávez aus dem Amt zu drängen wie beispielsweise durch Generalstreiks. Bislang waren diese Versuche aber erfolglos. Wie schafft es Chávez, sich so fest an der Macht zu halten?

Er ist weiter im Amt, weil er sich einer Opposition gegenüber sieht, die in vielen Fragen bisher uneinig war. Er hat auch einen psychologischen, kommunikativen Vorteil. Selbst das, was er auf eine sehr radikale Weise sagt über die "Bolivarianische Revolution" (Simon Bolivar war lateinamerikanischer Freiheitskämpfer, der die spanischen Kolonialherren Anfang des 19.Jahrhunderts vertrieb. Anmerkung der Red.), die er druchsetzen will, klingt glaubwürdig. Der Opposition dagegen fehlt es heute gerade gegenüber den marginalen Schichten an Glaubwürdigkeit in Botschaft und Botschaftern. Erst in den letzten Wochen ist es zu einer sehr mühsamen Einigung gekommen. Sie hat vier Jahre verloren, eine Zeit, in der sie sich darüber aufgeregt hat, dass sie nicht mehr an der Macht ist.

Nehmen wir einmal an, das Referendum findet 2004 statt und geht gegen Chávez aus. Würde er diese Entscheidung akzeptieren?

Das glaubt hier keiner. Chávez hätte noch mehrere Möglichkeiten die Machtübergabe hinauszuzögern. So schreibt die Verfassung vor, dass - egal aus welchen Gründen der Präsident abgewählt wird - die letzten zwei Jahre des Präsidentenmandats der Vizepräsident zu Ende bringt. Sollte sich also die Opposition im Referendum gegen Chávez durchsetzen, dann wäre sie aber politisch um den Sieg gebracht, weil dann der Vizepräsident die Legislaturperiode zu Ende bringen würde.

Besteht die Gefahr, dass dieser Machtkampf eskaliert und das Land an den Rand eines Bürgerkriegs abdriftet?

Demonstrationen in Venezuela
Gewaltsame Demonstrationen in CaracasBild: AP
Wir haben schon heute ein sehr hohes Gewaltniveau, was die "normale Kriminalität" angeht. Zusätzlich war die Stimmung in den letzten Wochen und Monaten extrem aufgeheizt. Im Januar könnte es besonders kritisch werden, wenn die Unterschriftenaktion ausgewertet ist. Es wird eine Seite geben, die verloren haben wird. Dann werden die Karten neu gemischt und es wird richtig gefährlich. Das Problem des Konflikts in Venezuela ist, das es keine Institutionen mehr gibt, die eine Brückenfunktion übernehmen. Chávez hat auch die Beziehung zur Kirche im Land und zum Vatikan zerstört. Er hat vom Nuntius angefangen bis zur katholischen Bischofskonferenz alle beschimpft.

Wie hat sich Chávez in den vergangenen Wochen verhalten? Hat er Versprechungen gemacht, um die Bevölkerung auf seien Seite zu bekommen?

Er hämmert dem Volk ein: Ihr stimmt und unterschreibt nicht gegen Chávez, ihr unterschreibt gegen die sozialen Projekte, die Chávez begonnen hat. In einem Punkt hat er natürlich Recht. Mit den sozialen Projekten in den Armutsvierteln muss etwas passieren und die Opposition hat den Fehler gemacht, dass sie jedes Projekt von Chávez kritisiert hat, selbst aber ein Konzept schuldig geblieben ist. Auf der anderen Seite verschärft Chávez den Druck auf die Opposition und die privaten Medien und nutzt dazu auch den öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, der inzwischen fast ein reiner Regierungspropagandasender geworden ist.

Trotz der schlechte Lage, in der sich Venezuela befindet, genießt Chávez gerade unter jungen Menschen immer noch eine gewisse Vorbildfunktion.

Demonstration für Hugo Chavez in Venezuela
Chavez hat feste AnhängerschaftBild: AP
Chávez sucht nicht die Zustimmung der politischen Eliten. Sie waren ihm lediglich hilfreich um ins Amt zu kommen, aber danach hat er auf sie verzichtet. Chávez sucht das Bündnis, wie er immer sagt, mit dem Volk direkt, mit den indianischen Bewegungen, die in Lateinamerika an Bedeutung zu nehmen.

Würde es Venezuela besser gehen, wenn Chávez von der Macht verdrängt würde?

Ob mit oder ohne Chávez, das Land braucht einen gemeinsamen neuen Aufbruch, damit die Gewalt nicht weiter eskaliert, die wir jetzt schon haben. Venezuela braucht eine Regierung, die tatsächlich ein Konzept für die Modernisierung des Landes, für die Beendigung der Ölabhängigkeit hätte und die vor allen Dingen zu einem neuen Konsens einer friedlichen Verständigung kommt, die alle einschließt.

Michael Lingenthal ist Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Caracas