Sicherheit für Pilger in Mekka
1. Juli 2015Die Luft in dem Tunnel wurde rasch dünner, bald reichte sie kaum mehr zum Atmen. Die Lüftungsanlage war ausgefallen, der Sauerstoff blieb aus. Zudem wurde es immer heißer, die mit über 44 Grad Celsius ohnehin schon glühende Luft wurde vollends unerträglich. Weg also, nichts wie weg. Die ersten Personen kollabierten, die anderen rannten über sie hinweg. Tausende Füße, die über die gestürzten Körper ins Freie drängten, ungestüm und ohne Rücksicht, in Todesangst. Über jeden der am Boden Liegenden "trampelten zahllose Füße", berichtete ein Augenzeuge. Am Ende waren rund 1.400 Menschen tot.
Das Unglück vor 25 Jahren ist eines der schwersten in der Geschichte des Hadsch, der muslimischen Pilgerfahrt. An seinem Anfang stand ein technischer Defekt, der Ausfall der Lüftungsanlage eben. Der hätte längst nicht so dramatische Folgen haben müssen, wäre die Menschen anders geleitet worden. 1990 aber war die Sicherheitstechnik noch nicht so weit entwickelt: Die Pilger konnten den Tunnel, der die Zeltstadt Mina mit dem Zentrum der heiligen Stätten in Mekka verbindet, in beide Richtungen passieren. Über ihn konnten sie die zentralen Kultstätten rund um die Kaaba nicht nur betreten, sondern auch wieder verlassen. Damit war er viel anfälliger für eine Massenpanik als Wege, auf denen die Passanten sich nur in eine einzige Richtung bewegen können.
Logistische Herausforderung
Rund drei Millionen Menschen reisen Jahr für Jahr nach Mekka. Die Pilgerreise ist eine der sogenannten fünf Säulen des Islam und für jeden Muslim, der sie sich leisten kann, obligatorisch. Lange Zeit hatte die Verwaltung der Heiligtümer große Schwierigkeiten, mit den Menschenmassen fertig zu werden. Immer wieder gab es Unfällen. 1994 starben bei einer Massenpanik rund 270 Menschen, vier Jahre später knapp 120. Die jüngste Katastrophe ereignete sich im Jahr 2006. Damals kamen mehrere Busse gleichzeitig an den Zugang zur Dschamarat-Brücke. Dort vollziehen die Pilger über mehrere Tage rituelle Teufelssteinigungen. An diesem Tag kamen bei dem Gerangel um die besten Plätze 346 Menschen zu Tode. Indirekt spielte auch hier wieder der Umstand eine Rolle, dass die Menschen auf der Brücke sich in mehrere Richtungen bewegten.
Das Unglück von 2006 war das letzte dieser Art. Denn unmittelbar nach dem Hadsch ließen die saudischen Behörden die Brücke abreißen und durch eine neue ersetzen. Diese haben sie in den folgenden Jahren regelmäßig um eine Etage erhöht. Heute hat sie fünf Ebenen, auf die sich der Strom der Pilger verteilen kann - eine gewaltige Entlastung, die das Risiko einer Massenpanik erheblich reduziert.
Einbahn-Wege
An der Konzeption und Ausführung des Baus beteiligt war die im deutschen Aachen ansässige IVV GmbH, ein international tätiges Ingenieurplanungsunternehmen. Um die Pilgerwege an den heiligen Stätten sicherer zu machen, setzte es vor allem auf eine Grundregel: Die Pilgerströme dürfen sich weder kreuzen noch sich auf demselben Weg in zwei Richtungen bewegen. So wurde "ein System riesiger Einbahnstraßen für Fußgänger" entwickelt, berichtet die IVV auf ihrer Webseite.
Das wichtigste Konzept war aber der Abriss und Neubau der Dschamarat-Brücke. Das alte Modell war eine besondere Gefahrenquelle. Tausende von Menschen warfen gleichzeitig Steine vom Berg Arafat auf die in der Mitte des Areals stehenden Säulen, die den Teufel symbolisieren. Im dichten Gedränge und der Hektik konnte leicht Panik aufkommen. Die durch die Luft zischenden Kieselsteine, von denen einige ihr Ziel verfehlten, bildeten ein zusätzliches Risiko. Seit dem Ausbau auf fünf Stufen ist erheblicher Druck aus dem System genommen.
Die Kapazität der Brückenetagen ist gewaltig: Bis zu einer halben Millionen Menschen können sich auf ihnen in einer Stunde bewegen. Keinen einzigen Unfall wegen Überfüllung habe es seit 2006 mehr gegeben, erklärte ein saudischer Planungsverantwortlicher.
"Nach dem Hadsch ist vor dem Hadsch"
Und so rüstet sich Saudi-Arabien für die Pilgerfahrten der kommenden Jahre und Jahrzehnte. Die werden, so erwarten die Planer, Jahr für Jahr mehr Menschen anziehen. Neue Pilgerwege, Rettungsstraßen, Zäune und Umleitungen sollen die Aufnahmekapazitäten der heiligen Stätten erhöhen und sie zugleich sicherer machen. Rund sechs Millionen Pilger sollen sich im Jahr 2040 gleichzeitig in Mekka aufhalten können. Entsprechend beschäftigt sind auch die Ingenieure. Ein Ingenieur der IVV erklärt die nie endende Arbeit für die Sicherheit der Pilger: "Nach dem Hadsch ist vor dem Hadsch."