Sierens China: Geplanter Wohlstand
19. Januar 2015Zwar kann auch Peking nicht die Zukunft vorhersagen, aber der Fünf-Jahres-Plan tut China gut. Er gibt dem Boom einen Rahmen. Einen solchen Plan baut man allerdings nicht in nur einer Sitzung zusammen. Deshalb ließ Chinas Ministerpräsident Li Keqiang die Debatte darüber früh beginnen. Bereits im vergangenen Herbst hat er den Startschuss für den 13. Fünf-Jahres-Plan gegeben, der jedoch erst im Frühjahr 2016 in Kraft tritt. Der Aufwand lohnt sich. Denn anders als ein Koalitionsvertrag einer demokratisch gewählten Regierung, der voller Finten und taktischer Winkelzüge gegenüber den Wählern steckt, hat eher Peking den Spielraum, tatsächlich langfristig zu planen, was passieren soll. Und das trifft dann in der Regel auch ein. Dabei geht es mehr um Logistik als um Ideologie.
Die ersten Konturen des neuen Plans zeichnen sich bereits ab. Die Umwelt soll besser geschützt werden, und erneuerbare Energien sowie Atomkraft sollen noch einmal einen ordentlichen Schub bekommen. Ihr Anteil am Energiemix soll verfünffacht werden. Sie soll nach und nach die dreckige Kohle ablösen. Dafür muss China das Investitionstempo noch erhöhen. Und das, obwohl Peking im vergangenen Jahr 89,5 Milliarden US-Dollar in saubere Energie investierte. Das sind fast dreißig Prozent dessen, was weltweit in den Bereich investiert worden ist. Schon jetzt ist auch klar, dass noch viel mehr Unternehmen privatisiert werden sollen. Vor allem im bislang noch vorwiegend staatlichen Bankensektor sollen viel mehr private Institute entstehen. Die erste Online-Bank ist zum Jahresanfang in Betrieb genommen worden. Und vier weitere Lizenzen sind schon erteilt.
Pro-Kopf-Einkommen soll kräftig steigen
Auch die Demografie zwingt China zum Handeln. Die Geburtenkontrolle soll weiter gelockert werden. Dennoch wird Peking nicht verhindern können, dass die Bevölkerung Chinas immer rasanter älter wird. Deshalb muss sie sich nun darüber Gedanken machen, wie sie die soziale Absicherung verbessert. Der mit Abstand wichtigste Punkt des neuen Fünf-Jahres-Plans ist jedoch die Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens der Bevölkerung. Bis spätestens 2020, das ist schon in fünf Jahren, soll China dem Klub der Wohlstandsländer angehören. Die Volksrepublik wäre damit das 77. Land, das die Kriterien dafür erfüllt: ein durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen von mehr als 12.000 US-Dollar pro Jahr.
Derzeit verdienen Chinesen durchschnittlich rund 6.800 US-Dollar jährlich. Das Jahreseinkommen soll also knapp verdoppelt werden. Das ist atemberaubend, wenn man bedenkt, welche Summen bei 1,3 Milliarden Menschen dafür erwirtschaftet werden müssen. Es wäre jedoch nicht das erste Mal, das Peking sich große Ziele gesetzt hat und sie dennoch erreicht. Doch mit jedem Jahr wird der Weg steiler. Sollte das gelingen, hätte China das Pro-Kopf-Einkommen innerhalb von zehn Jahren verdreifacht. Denn 2010, zu Beginn des jetzigen Fünf-Jahres-Plans, betrug das jährliche Einkommen noch gute 4000 US-Dollar.
Herausforderung Inflation
Wichtig dabei ist allerdings: Will Peking tatsächlich eine moderate Wohlstandsgesellschaft schaffen, muss die Regierung dafür sorgen, dass die Menschen von ihrem steigenden Einkommen am Ende einen guten Teil auch behalten können. Denn bislang steigen im selben Tempo mit den Löhnen auch die Kosten für Lebensmittel und vor allem für Wohnungen. Genug Wachstum gibt es nur, wenn die Menschen mehr konsumieren. Das geht jedoch nur, wenn sie auch weniger Geld für einen medizinischen Notfall zurücklegen müssen. Viel zu oft kommt es noch vor, dass eine Operation das Vermögen einer Familie verschlingt.
Eine spannende Frage wird derweil sein, was ein höheres Pro-Kopf-Einkommen für Chinas Rolle in der Welt bedeutet. Schon jetzt ist das Reich der Mitte kaufkraftbereinigt die weltweit größte Volkswirtschaft und auch in der globalen Politik eines der Schwergewichte. Wie mächtig wird China da erst sein, wenn es das heutige Pro-Kopf-Einkommen der USA erreicht hat? Das liegt derzeit bei 53.000 US-Dollar pro Jahr. Zwei bis drei vielleicht vier weitere Fünf-Jahrespläne wird es also noch brauchen, bis China in einer Liga mit den Großen spielen könnte. Das ist nicht sehr lange - wenn die Umwelt mitspielt.
DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.