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Sierens China: Innovation an der Kette

Frank Sieren
6. Juni 2018

Sicher ist sicher: Auf dem Weg zur globalen Tech-Supermacht investiert China auch in Technik, die bisher noch Tücken hat. Das gilt auch für die Blockchain-Technologie, meint Frank Sieren.

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Symbolbild Blockchain
Bild: Imago/Reporters/Eureka

Das ging gründlich schief: Bei einer großen Konferenz zum Thema Blockchain im südchinesischen Hainan vergangene Woche wählten die Organisatoren ausgerechnet den Großen Vorsitzenden Mao Zedong als Maskottchen. Stilecht im Mao-Anzug und dem Dialekt von Maos Heimatprovinz Hunan erklärte ein Schauspieler die Vorzüge der neuen Technologie. Der Shitstorm war vorprogrammiert. Die Staatspresse nannte den Auftritt des Imitators "beschämend" und "respektlos". Die Instrumentalisierung eines politischen Führers für Werbezwecke ist, ob tot oder lebendig, in China gesetzlich untersagt.  Die Macher entschuldigten sich öffentlich für die "Unruhestiftung". Manche glauben nun sogar, dass der missglückte Werbe-Gag der Zukunft der Blockchain-Technologie in China nachhaltig geschadet habe.

Dabei hätte Mao die Technik vielleicht sogar gefallen, fördert sie doch zumindest theoretisch die Gleichheit der Massen wie kaum eine andere Erfindung. Vereinfacht erklärt ist Blockchain eine dezentrale Datenbank, bei der die Informationen nicht auf einem Server oder bei einem Unternehmen liegen, sondern über viele Computer weltweit verteilt und jederzeit für alle Teilnehmer einsehbar sind. Zentrale Verwalter für die riesigen, in Ketten aneinandergereihten Datenblöcke gibt es nicht, was die Datenbank fälschungs- und korruptionssicher macht. Praktisch gesehen findet die Regierung in Peking das dezentrale System gut, solange sie überblicken kann, was dort passiert.

Die bislang bekannteste Anwendung, die auf Blockchain-Technologie basiert, ist die Kryptowährung Bitcoin. Die ist in Peking vor allem deswegen in Misskredit geraten, weil sie ein Objekt von Zockern wurde und dazu genutzt werden konnte, heimlich Geld außer Landes zu schaffen. China hat strenge Kapitalverkehrskontrollen.

Ein virtuelles Kassenbuch für Daten

Doch das Potential der Blockchain-Technologie erschöpft sich nicht auf finanzielle Transaktionen. Auch die Verwaltung von Verträgen, Aktien, Urkunden, Urheberrechten, Lieferketten und sogar Wahlvorgängen könnte durch die Blockchain-Technologie effizienter und transparenter werden. Man kann sich die Blockchain als eine Art virtuelles Kassenbuch für Daten vorstellen: Sobald zwischen einem Absender und einem Empfänger eine Transaktion stattfindet, wird der neue Status quo eingetragen. Jede Transaktion wird von den Beteiligten der jeweiligen Daten-Kette autorisiert. Wenn Tom John Geld überweist, bestätigen hunderte von Zeugen, dass die Transaktion tatsächlich stattgefunden hat, ohne dass sie Tom oder John kennen müssen. Damit ist das System zwar ein wenig umständlich, aber sehr fälschungssicher. Blockchain-Experte Axel Apfelbache bringt das System folgendermaßen auf den Punkt: "Die Blockchain ist das Kondom des Internets – sie ermöglicht sichere Transaktionen zwischen einander Unbekannten ohne Einschaltung einer dritten Partei." Aber auch dieser Vergleich hinkt irgendwie: Damit ersetzt das Kondom die dritte Partei, was die Analogie zum Geschlechtsverkehr absurd macht. Und doch versteht man es so ein wenig besser. Nun kann man sich vorstellen, dass Banken, Kreditkartenfirmen oder Börsen als verlässlicher aber gebührenpflichtiger Vermittler überflüssig werden könnten, wenn es etwas wie die Blockchain gibt, die nichts kostet, aber genauso verlässlich ist.

Schweden Facebook Server Symbolbild Datenschutz
Bei der Nutzung von Blockchains fallen riesige Datenmengen anBild: picture-alliance/dpa/S. Lindholm

Die Blockchain könnte eines Tages deshalb auch Handelsplattformen ebenso ersetzen wie Grundbuchämter, Handelsregister und Notare. Manche vermuten sogar, dass Firmen wie Uber oder Airbnb verschwinden, weil Ferienwohnungen oder Autofahrten einfach direkt zwischen Anbieter und Kunde vermittelt werden. Aber ob all das so kommt, wissen wir nicht. Gerade für ein extrem bevölkerungsreiches Land wie China ist die Technik dennoch besonders interessant. Ohne großen IT- und Personalaufwand und ohne große Kosten könnten dort größere Datenmengen dezentral und sicher verwaltet werden. Dabei möchte die chinesische Regierung natürlich über alles den Überblick behalten. Bis das alles reibungslos funktioniert, müssen die Entwickler allerdings noch einige Nachteile in den Griff kriegen. Die Berechtigungen, um auf die Daten zuzugreifen, sind zum Beispiel schwer zu verwalten. Auch werden die Informationsketten immer länger, was zwar Transparenz schafft und damit etwa Korruption bekämpft, aber auch den Umgang mit den riesigen Informationspaketen nicht einfacher macht.

Aufbruchstimmung im "Blockchain Valley"

In Peking sieht man jedoch wieder einmal die Stärken eher als die Schwächen. Die Technik habe das Potential, "Durchbrüche" zu erzielen, erklärte Chinas Staatspräsident Xi Jinping am 28. Mai in einer Rede vor der Chinesischen Akademie der Wissenschaften. Die Blockchain-Technologie wurde bereits vor drei Jahren in den 13. Fünf-Jahres-Plan der Regierung aufgenommen, der die Entwicklungspläne für das Land von 2016 bis 2020 festlegt. Das chinesische IT-Ministerium hat die Blockchain sprichwörtlich auf dem Zettel. Nur noch Australien agiert in dem Bereich ähnlich vorausschauend wie China.

Im März dieses Jahres wurde bekannt, dass in China ein "internationales Blockchain Investment-Entwicklungszentrum" entstehen soll, um zukünftige Industriestandards zu setzen. Im gleichen Monat sickerte durch, dass die staatliche Bank Of China ein Patent eingereicht hat, das das Speicherplatz-Problem der immer weiter anwachsenden Daten-Ketten lösen kann, ohne dabei deren Rückverfolgbarkeit und Unveränderbarkeit zu gefährden. In der ostchinesischen Stadt Hangzhou widmet sich seit April ein ganzer Industrie-Park der Blockchain-Technologie. Gefördert wird er mit einem Innovationsfonds im Wert von 1,3 Milliarden Euro, wobei 30 Prozent der Mittel von der Lokalregierung kommen. Spezial-Fachkräfte der noch jungen Branche werden mit großzügigen Miet-und Forschungszuschüssen in die "Blockchain Valley" genannte Tech-Nische gelockt. In den letzten zwei Jahren hat China insgesamt rund 400 Patente mit Blockchain-Bezug angesammelt - mehr als jedes andere Land der Welt. Die USA mit 110 und Australien mit 40 angemeldeten Blockchain-Patenten lagen weit dahinter.

Frank Sieren *PROVISORISCH*
DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Mächtige chinesische Unternehmen investieren in die Technik, vom Versandhandelsriesen JD.com über den PC-Hersteller Lenovo bis hin zum Suchmaschinenbetreiber Baidu. Der von Alibaba-Gründer Jack Ma, Tencent-Chef Pony Ma und dem Ping An Insurance-Vorsitzenden Ma Mingzhe gegründete Online-Versicherungsgigant ZhongAn arbeitet seit kurzem mit mehr als 100 Krankenhäusern zusammen, um die Blockchain-Technologie für die sichere Verarbeitung von Patientendaten nutzbar zu machen. Chen Wei, Tech-Chef bei ZhongAn, sagt, Blockchain könne eine "enorme Rolle" bei der Veränderung der Versicherungsbranche in China spielen.

Die Bank of China kündigte jüngst sogar ein Blockchain-Entwicklungshilfeprojekt an. Sie will die Armut in der Himalaya-Provinz Tibet bekämpfen, in dem sie die Verteilung der Mittel aus Infrastrukturtöpfen mit Blockchain effizienter macht. In einer einstündigen Sondersendung zum Thema Blockchain, die der staatliche chinesischen Fernsehsender CCTV diese Woche ausstrahlte, sagte Zhang Shoucheng, Physikprofessor an der Stanford University und Gründer des Venture-Capital-Unternehmens Danhua Capital, dass die Welt mit Blockchain in eine "neue Ära" eintrete.

Gefahr und Chance

Dennoch ist es noch unsicher, wo die Reise wirklich hingeht, wo sich die Technologie am schnellsten etabliert und wo die Investoren am ehesten Geld in die Hand nehmen werden. Noch versandet das Meiste. Laut einer Analyse der Chinesischen Akademie für Informations- und Kommunikationstechnologie (CAICT) beträgt die durchschnittliche Lebensdauer neuer Blockchain-Projekte derzeit nur rund 15 Monate.

Viel Hype um nichts, also? "Die Entwicklung der Blockchain-Technologie könnte für China ein wichtiger Schritt sein, um im globalen technologischen Wettbewerb mitzuhalten", sagt Yu Kequn, Direktor des Nationalen Zentrums für Informationstechnologie-Sicherheit. Könnte, wohlgemerkt. Anders als in Europa ist man in China eher bereit, sich durch den Nebel zu tasten und das Risiko von Sackgassen und Rückschlägen hinzunehmen. Das ist tief in der Kultur verankert: Im Chinesischen setzt sich das Wort für Krise aus den Begriffen Gefahr und Chance zusammen.

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.