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Politik

Sierens China: Mit aller Härte

Frank Sieren
11. Oktober 2017

In den letzten fünf Jahren hat China 1,3 Millionen korrupte Amtsträger verhaftet. Der Kampf gegen die Korruption wird auch in Xi Jinpings zweiter Amtszeit eine Stütze seiner Machtpolitik sein, meint Frank Sieren.

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Bild: picture alliance/landov/C. Yehua

Die Behörden sind ihm dicht auf den Fersen. Yu Haiyan bekommt es mit der Angst zu tun. Damit niemand herausfindet, dass er im Laufe seiner Beamtenkarriere Bestechungsgelder in Höhe von umgerechnet 1,5 Millionen Euro eingestrichen hat, tränkt er sein Geschäftshandy in Essig und wirft es in den Gelben Fluss. Auch Luxus-Uhren und andere Gefälligkeitsgeschenke lässt der Vize-Gouverneur der Provinz Gansu im lehmigen Wasser verschwinden. Umsonst. Seiner Strafe kann Yu nicht entgehen. Heute sitzt er im Gefängnis. Und erzählt dort vor grauer Gitterkulisse seine Geschichte für die fünfteilige Dokumentar-Serie "Das scharfe Schwert der Inspektion", die vergangenen Monat mit großem Erfolg auf Chinas Staatssender CCTV ausgestrahlt wurde.

Korruption als TV-Doku

Die von der Zentralen Kommission für Disziplinarinspektion (CCDI), Chinas staatlichem Anti-Korruptionsorgan mitproduzierte Sendung ist nur eines von mehreren TV-Formaten, die das einst unter den Teppich gekehrte Thema Korruption in einer Mischung aus investigativem Journalismus und Propaganda in Prime-Time-Stoff verwandeln. Ob als Fernseh-Tribunal oder Action-Thriller, die Botschaft ist immer die gleiche: Ja, China hat ein Problem mit Korruption. Aber die Regierung unter Xi Jinping lässt nichts unversucht, um es ein für alle Mal zu beseitigen.

Schon zu seiner Zeit als Mitglied der Parteiführung in der Provinz Zhejiang hatte Xi Jinping dem Kampf gegen die Korruption oberste Priorität eingeräumt. Er wolle die "Fliegen" ebenso dingfest machen wie die "Tiger" verkündete er nach seiner Einführung als Staats- und Parteichef, eine poetische Umschreibung dafür, dass niedrige Beamte und Spitzenfunktionäre unter ihm unterschiedslos zur Rechenschaft gezogen würden. Wenige Tage vor dem 19. Parteitag der Kommunistischen Partei am 18. Oktober 2017 hat die Regierung nun erneut Bilanz gezogen: Seit Xis Amtsantritt vor fünf Jahren sind mehr als 1,3 Millionen Personen wegen Korruption belangt worden, darunter Politbüro-Mitglieder, Vizearmeechefs, Provinzgouverneure und Wirtschaftsbosse.

Fahndung auch im Ausland

Sogar bis ins Ausland wurde gefahndet. Über 2566 mutmaßliche Korruptionskiminelle wurden seit 2014 aus 70 Ländern nach China ausgeliefert – zum Teil mit Hilfe der internationalen Polizeibehörde Interpol, der seit November 2016 der Chinese Meng Hongwei als Präsident vorsteht. Zuletzt gerieten sogar ranghöchste Korruptionswächter in den Fokus der Ermittler. Mo Jiancheng der seit Dezember 2015 die Aufsichtsbehörde beim Finanzministerium leitete und Xiang Junbo, Chef der Versicherungsaufsicht, wurden wegen "schwerer Disziplinarverstöße" von ihren Ämtern enthoben und aus der Partei ausgeschlossen. Stoff genug also, um die Erfolgsgeschichte des chinesischen Korruptionskampfes auf Jahre hinaus in neue Krimi-Drehbücher zu verpacken.

Der gefürchtete Ober-Sheriff in Chinas Jagd auf die gierige Elite ist Xi Jinpings enger Vertrauter Wang Qishan. Der 69-Jährige ist ständiges Mitglied des Politbüros. Seit 2012 leitet er die Zentrale Disziplinarkommission. Vor seinem politischen Aufstieg war Wang in der Finanzbranche tätig, unter anderem als Direktor der China Construction Bank, einer der vier systemrelevanten Großbanken Chinas. Anfang der 80er-Jahre half Wang dabei, die wirtschaftliche Öffnung des Landes mit Reformen auf den Weg zu bringen. Dass China die Wirtschaftskrisen von 1997/98 und 2008/09 gut überstand, geht ebenfalls mit auf sein Konto. Heute gilt der weltgewandte Politiker, der zwischen 2003 und 2007 Peking als Bürgermeister regierte, als einer der mächtigsten Männer Chinas, wenn nicht sogar der zweitmächtigste Mann hinter Xi Jinping. 

Frank Sieren *PROVISORISCH*
DW-China-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

"Rote Gesichter und Schweißausbrüche" würden während seiner Amtszeit als Korruptionskontrolleur die Norm werden, hatte er gewarnt. Und sein Versprechen gehalten. Viele sagen, seine Methoden seien so wirksam, dass sie die Wirtschaft geschwächt und die Lokalpolitik vielerorts zum Erlahmen gebracht hätten. Selbst unbescholtene Amtsträger würden lieber stillhalten als Entscheidungen fällen, solange Wang am Ruder ist. Daraufhin hat Xi auf Anregung von Wang eine neue Spielregel eingeführt: Wer nichts tut wird auch bestraft.

Feinde hat sich Xi Jinping mit seiner Antikorruptionskampagne zuhauf gemacht. Denn, ob die Delinquenten wirklich korrupt sind oder nur politisch unbequem, oder wie so oft beides, weiß nur ein kleiner Kreis.

Macht korrumpiert

Im Juli dieses Jahres wurde etwa Sun Zhengcai, ehemaliger Parteisekretär der Großstadt Chongqing, wegen Korruptionsverdacht entmachtet. Er war zuvor als möglicher Nachfolger von Xi Jinping gehandelt worden. In Chongqing ersetzt ihn nun Xis alter Vertrauter Chen Min'er. Auch Xis Familie selbst ist in Sachen Korruption möglicherweise nicht ganz unbescholten. Vor drei Jahren enthüllten Offshore-Leaks, dass sein Schwager Konten in karibischen Steueroasen hatte. Die chinesische Regierung reagierte auf die sogenannten "Panama Papers" mit Zensur.

So oder so weiß Xi, Chinas starker Mann, wie sehr Macht korrumpiert. Und er weiß, dass jeder Korruptionsskandal und jeder dreiste Fall von Vetternwirtschaft die Glaubwürdigkeit und den Alleinvertretungsanspruch seiner Partei und damit auch die Macht ihrer Führer untergräbt. Eine neue Überwachungsbehörde soll die Korruptionsbekämpfung ab März 2018 daher noch effektiver machen. Die sogenannte "Nationale Kommission für Überwachung" bündelt die bislang zersplitterten Kontrollämter und soll so auch dazu beitragen, dass die Kontrolleure in Zukunft selbst besser kontrolliert werden. Die Ermittler stehen dabei jedoch nach wie vor unter direkter Kontrolle der Regierung. Transparenz und rechtsstaatliche Institutionen in Form unabhängiger Anwälte und Richter wird es auch in Xis zweiter Amtszeit nicht in der Art geben, wie wir sie im Westen kennen. Transparenz, davon ist Xi überzeugt, bremst nur die Durchschlagskraft der Kampagne.

Unser Kolumnist, der Bestseller-Autor Frank Sieren („Geldmacht China"), gilt als einer der führenden deutschen China Spezialisten. Er lebt seit über 20 Jahren in Peking.