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Modernisierung oder Aufrüstung?

Frank Sieren2. Juni 2015

Zum ersten Mal veröffentlicht China ein Weißbuch über seine Militärstrategie. Darin stellt China ein amerikanisches Monopol in Frage, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Chinesische Soldaten der Ehrengarde in Peking (Foto:
Bild: imago/UPI Photo

Dass Peking nicht nur moderne Eisenbahnnetze, Flughäfen und Telekommunikation für unverzichtbar hält, sondern auch ein modernes Militär, kann niemanden verwundern. In China laufen neue Panzer, Schiffe und Raketen denn auch unter dem Stichwort "Modernisierung", im Westen hingegen unter "Aufrüstung".

Beides ist nicht falsch. Aufrüstung ist allerdings emotional viel aufgeladener. Wer aufrüstet, will Krieg, so die Unterstellung. Im Falle Chinas jedenfalls sieht es derzeit nicht danach aus. Allerdings bedeutet ein modernes Militär aufzubauen schon, sich in die Lage zu versetzen, auch anzugreifen.

Vergangene Woche hat die chinesische Führung deutlicher werden lassen, was sie vorhat. Zum ersten Mal erschien ein Weißbuch über die Militärstrategie des Landes. Künftig soll von "Verteidigung" auf "aktive Verteidigung" umgeschaltet werden.

Konkret bedeutet dies, dass besonders die Marine ausgebaut wird. Bisher wurde nur die eigene Küste bewacht. Von nun an geht es um den "Schutz der offenen Meere". "Vor wem?", fragt man sich gleich. Die Antwort, die allerdings nicht in dem Weißbuch steht, lautet: Schutz vor allen, die chinesische Schiffe behindern könnten.

China verwundert über Reaktion im Westen

Im Staatsblatt Global Times wundert man sich unterdessen über die Reaktionen im Westen. Es sei doch nur folgerichtig, dass eine aufstrebende Macht wie China mehr strategischen Spielraum brauche und dabei auch auf Worst-Case-Szenarien vorbereitet sein müsse. Das Vorwort des Weißbuches deckt sich mit dieser Einschätzung: Chinas Prosperität sei maßgeblich an die friedliche Entwicklung der Welt geknüpft.

China selbst werde keine militärische Expansion suchen, sondern defensiv bleiben. Das ist ein freundlicher Hinweis an die USA, die in den letzten Jahrzehnten immer wieder mit ihren Truppen in fremde Länder einmarschiert sind – aus welchen guten oder schlechten Gründen auch immer.

Chinesisches Kriegsschiff bei einem Manöver (Foto: Zhang Lei/Color China Photo/AP Images)
Bild: picture-alliance/AP Images/Color China Photo/Z. Lei

Der Ausbau der Inseln gilt in Peking deshalb als defensiv. Die Regierungen in Hanoi und Manila empfinden das chinesische Vorgehen allerdings – ebenfalls aus guten Gründen – als expansiv und protestieren. China, Brunei, Malaysia, die Philippinen, Taiwan und Vietnam streiten sich um die Inseln in ihren Gewässern.

Außer Brunei haben zwar alle inzwischen auf Inseln und Felsen Stützpunkte oder zumindest Befestigungen gebaut, niemand jedoch hat so viel gebaut wie die Chinesen in den vergangenen 18 Monaten. Expansiv oder defensiv ist also eine Frage der Perspektive.

Proteste der Nachbarstaaten überzeugender als die der USA

Eines ist allerdings klar: Die Sorgen und Proteste der Anrainerstaaten, überwiegend Opfer der Kolonialzeit, sind überzeugender als die politische Empörung der USA. Die Amerikaner haben vor rund 120 Jahren auch nicht gezögert, Hawaii zu annektieren, das nicht gerade vor der Haustür der USA liegt. Hawaii überzeugte ebenfalls wegen seiner strategischen Vorteile. 1959 erst wurde Hawaii der fünfzigste Bundesstaat der USA.

Bis heute fordert die polynesische Bevölkerung Unabhängigkeit. Selbst die neuen Militärbegriffe im Weißbuch der Chinesen haben westliche Vorbilder. Sie erinnern an defensiv genannte NATO-Strategien in den sechziger und siebziger Jahren. Damals hieß das Stichwort nicht "aktive Verteidigung", sondern "Vorneverteidigung".

Damals wie heute lautet die Botschaft: "Wenn Du mir dumm kommst, gibt's eins auf die Mütze." Nur mittlerweile bestimmt eben nicht mehr nur einer, was dumm ist. Niemand kann China verbieten, sich militärisch in internationalen Gewässern so aufzustellen wie die Amerikaner, die mit ihrem Schiffen überall in der Welt kreuzen. Und der Westen kann sich schon jetzt darauf einstellen, dass andere Länder den Chinesen ebenfalls erlauben werden, Truppen dort zu stationieren.

So wie es Südkorea oder Japan den USA in Asien erlaubt haben. Damit steigt die Kriegsgefahr nicht automatisch. Im Gegenteil: je ausgeglichener die Machtverhältnisse, desto stabiler die Machtbalance. Das war eine zentrale Doktrin des Westens. Insofern ist es schwierig, China nun zu verbieten, diese Machtbalance herzustellen.

China bedroht vor allem Dominanz der USA

China hat noch nirgends außerhalb seiner Landesgrenzen Kriegsschiffe oder Soldaten fest stationiert. Die Amerikaner hingegen haben Militärbasen auf der ganzen Welt. Bedroht ist also zunächst einmal ein Monopol und nicht so sehr der Frieden. Der Monopolist USA ist verständlicherweise darüber verärgert, dass 25 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sein Monopol nun angezweifelt wird.

Vor dem Hintergrund des schwelenden Inselstreits im Südchinesischen Meer sei das Weißbuch eine "klare Provokation", heißt es aus Washington. Mit ihren Abhörmaschinen fliegen die Amerikaner in diesen Tagen besonders nahe an den umstrittenen Spratley-Inseln vorbei, deren Fläche China künstlich erweitert und für sich beansprucht. Eine CNN-Crew durfte sogar an Bord filmen, wie das chinesische Militär die Maschine über Funk entschieden auffordert zu verschwinden.

Und als US-Verteidigungsminister Ashton Carter in den vergangen Tagen unter anderem Hawaii und am Wochenende eine Sicherheitskonferenz in Singapur besuchte, sagte er, die USA würden erst aufhören, weitere Schiffe und Flugzeuge in die Region zu schicken, wenn China auf den Inseln nicht mehr weiterbaut.

Davon dass die Amerikaner China daran hindern wollen, sprach er allerdings nicht. Und das erwartet unter den asiatischen Nachbarn auch niemand. Denn deren größter Absatzmarkt und damit die wirtschaftliche Prosperität stünden dann auf dem Spiel. Peking wiederum weiß, dass es den USA in einem Konflikt unterlegen wäre. Washington hat anderseits nicht mehr den finanziellen Spielraum für militärische Abenteuer.

Und die Wähler haben längst den Spaß daran verloren, dass die US-Armee in fernen Ländern nach ihrem Gutdünken für Ordnung sorgt. Der Westen wird also weiter protestieren. Aber mehr auch nicht. Und China wird weiter seine Armee modernisieren und die Inseln im Südchinesischen Meer ausbauen.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.