Das lange Leid nach Ebola
7. November 2015"Ist in deinem Dorf jemand an Ebola gestorben? Hast du Kontakt zu einem Kranken gehabt?" Fragen, die zum Alltag geworden sind in Sierra Leone. Zur Routine gehören, wenn jemand ein Krankenhaus betreten möchte. Die Mitarbeiter füllen dafür einen Fragenkatalog aus und messen Fieber. Ziel war es in den vergangenen Monaten schließlich, so früh wie möglich zu erkennen, wenn sich jemand mit Ebola infiziert hat.
Die Seuche hat in Sierra Leone mit seinen rund sechs Millionen Einwohnern besonders schlimm gewütet. Es gab mehr als 14.000 Verdachtsfälle, 3589 Menschen starben offiziell. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Seit 42 Tagen ist nun endlich keine Neuinfektion aufgetreten, die Weltgesundheitsorganisation stuft Sierra Leone deshalb am Samstag offiziell als "Ebola-frei" ein. Nach Liberia das zweite der drei Länder Westafrikas mit den meisten Ebola-Fällen. In benachbarten Guinea treten immer noch neue Infektionen auf.
Gesundheitssystem strukturell stärken
Bei Patrick E. Turay, dem medizinischen Leiter des Holy Spirit Hospitals in der Provinzhauptstadt Makeni, hält sich die Freude über den Status Ebola-frei allerdings in Grenzen: "Wir haben noch immer nicht die richtigen Prioritäten gesetzt. Wir müssen das Gesundheitssystem grundsätzlich überarbeiten und verbessern." Schon die nächste Infektionserkrankung könne wieder verheerende Folgen haben.
Dabei steht das Holy Spirit Hospital, ein privates katholisches Krankenhaus, noch gut da. Turay führt durch die Räume, die sauber und gut eingerichtet sind. Sicherheitsmaßnahmen werden eingehalten. In anderen Krankenhäusern und Gesundheitsstationen sind Mitarbeiter hingegen wieder nachlässig geworden, längst schon messen sie nicht immer Fieber bei Besuchern.
Genau deshalb beharrt Krankenhauschef Turay auf seiner Forderung: Sierra Leone muss endlich aus der Ebola-Krise lernen. Ganz oben auf seiner Wunschliste steht mehr ausgebildetes Personal: "Wenn man in die USA fährt, findet man mehr Ärzte aus Sierra Leone als hier im ganzen Land", seufzt er. Jemanden für die Provinz zu gewinnen, sei so gut wie unmöglich.
Kein Grab zum Trauern
Dabei hat das Land seit 2014 schmerzhaft erfahren müssen, wie wichtig gerade in ländlichen Regionen ein gutes Gesundheitssystem wäre. Zu den Leidtragenden gehört Momoh Sesay, ein großgewachsener, junger Mann mit ernstem Blick. Wenn er über die Ebola-Epidemie spricht, versucht der 23-Jährige so nüchtern wie möglich zu klingen. "Meine Mutter bekam zuerst Kopfschmerzen. Dann musste sie sich übergeben. Wir sind mit ihr ins Krankenhaus gegangen. Sie wurde zwar behandelt, doch überlebt hat sie nicht."
Ein Freund, der ebenfalls im Krankenhaus war und überlebte, hat es Momoh Sesay am Telefon erzählt. Telefonieren war die einzige Möglichkeit, um einen Kontakt zur Außenwelt zu halten. Denn Momohs Heimatdorf Manoh war besonders schlimm betroffen und stand unter Quarantäne. Weder er noch seine vier Geschwister konnten sich von der Mutter verabschieden oder sie gar ein letztes Mal in den Arm nehmen. Auch ein Grab gibt es nicht.
Unter die Trauer mischen sich Zukunftsängste. Die Kinder sind zu Vollwaisen geworden und haben kein Einkommen. Momoh Sesay: "Manchmal bekommen Überlebende Unterstützung. Ein Onkel und eine Tante haben überlebt." Jetzt würden sie ab und zu helfen. Aber durch die Seuche wachsen viele tausend Kinder ohne ihre Eltern auf.
Auf die Frage, ob Momoh Sesay nun das offizielle Ebola-Ende feiern wird, schweigt er und schluckt. Er ringt mit den Tränen.
Ebola-Countdown in Sierra Leone
Trotzdem hat es in Sierra Leone einen Ebola-Countdown gegeben. Bei allen Problemen sei auch das wichtig, findet Gisela Schneider. Sie betreut im Auftrag von Brot für die Welt und der Diakonie Katastrophenhilfe Gesundheitsprojekte in Sierra Leone und Liberia. "Nach anderthalb Jahren einer schrecklichen Epidemie ist das ganz sicherlich ein Grund zum Feiern. Die Menschen sind durch unglaubliches Leid gegangen, haben aber auch sehr viel geleistet", sagt die Ärztin.
Allerdings fordert auch Gisela Schneider, endlich ein robustes Gesundheitssystem zu schaffen. "Es ist keinesfalls so, dass aufgrund der Maßnahmen des vergangenen Jahres plötzlich ein starkes System da ist." Deshalb warnt sie davor, so weiterzumachen wie zuvor.
Zukunftspläne zum Überleben
Durch den Tod der Mutter wird das Leben für Momoh Sesay nie wieder so wie früher werden. Von einem Tag auf den nächsten trug er die Verantwortung für seine vier Brüder und Schwestern. Er ist oft traurig, weiß gleichzeitig aber auch: Er wird mehr denn je für seine Familie kämpfen. Ein erster Schritt dafür sei eine gute Ausbildung: "Ich wünsche mir, dass mir jemand beibringt, wie man mit einem Computer umgeht. Dann möchte ich das College besuchen und am liebsten Buchhaltung studieren."
Hinweis: Die Autorin reiste auf Einladung der Organisation Brot für die Welt.