Silvesterübergriffe in zwölf Bundesländern
23. Januar 2016Sexual- und Diebstahlsdelikte wie in Köln hat es nach Medienberichten in insgesamt zwölf Bundesländern gegeben. Das wären weitaus mehr Straftaten dieser Art in der Silvesternacht als bisher bekannt. Der Rechercheverbund aus NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" beruft sich auf einen vertraulichen Lagebericht des Bundeskriminalamtes (BKA), den die Innenministerkonferenz nach den Übergriffen in Auftrag gegeben habe. In Köln hatten Männer, die nach Opferbeschreibungen aus dem nordafrikanischen oder arabischen Raum stammen sollen, massenhaft Frauen bestohlen und sexuell belästigt.
Laut Lagebericht gebe es keine Erkenntnisse zu organisierter Kriminalität, so der Rechercheverbund. In den meisten Fällen hätten sich die Täter wohl nicht verabredet. Der BKA-Bericht erfasse Delikte, die im öffentlichen Raum aus Gruppen heraus begangen und bei denen die Opfer auch beraubt oder bestohlen wurden. Das Tatmuster ist inzwischen als "Antanzdiebstahl" bekannt.
Ein BKA-Sprecher bestätigte auf Anfrage: "Es gab in dieser Nacht in mehreren Bundesländern in unterschiedlicher Form und sehr unterschiedlicher Anzahl ähnliche Delikte." Details nannte er jedoch nicht.
Zahlen noch im Fluss
Nach den Zahlen, die dem Rechercheverbund vorliegen, wurden in nordrhein-westfälischen Städten, vor allem Köln, Düsseldorf und Bielefeld, insgesamt 1076 Straftaten dieses Typs angezeigt. Darunter fielen 692 Körperverletzungs- und Eigentumsdelikte sowie 384 sexuelle Übergriffe, wobei 116 Taten "in Kombination mit Eigentumsdelikten" begangen worden seien.
In Hamburg wurden dem Medienbericht zufolge bis zum Stichtag 13. Januar 195 Fälle gemeldet, der Großteil davon reine Sexualdelikte. Mit deutlichem Abstand folgten Hessen (31 Fälle), Bayern (27), Baden-Württemberg (25), Bremen (11) und Berlin (6). Auch in Niedersachsen, Brandenburg, Sachsen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland habe es einzelne Fälle gegeben. Die Ermittlungen seien allerdings nicht abgeschlossen, so dass sich die Zahlen noch ändern könnten.
Bei fast allen Opfern handelt es sich demnach um Frauen - und bei den Tätern meist um junge Männer im Alter zwischen 17 und 30 Jahren. In Aussagen der Opfer sei häufig von einem "südländischen" oder "arabischen" Erscheinungsbild die Rede. Eine konkrete Eingrenzung der Herkunft von Tatverdächtigen ist aber in vielen Fällen offensichtlich schwierig, sofern diese nicht ermittelt wurden. Eine pauschale Zuordnung zum nordafrikanischen Raum, wie sie nach den Übergriffen von Köln in der Öffentlichkeit teilweise erfolgte, wird in dem Bericht insgesamt nicht bestätigt.
Gesichter-Memory auf dem Bildschirm
Die Kölner Polizei hatte am Freitag mitgeteilt, sie habe spezialisierte Ermittler der britischen Polizeibehörde Scotland Yard - sogenannte "Super Recognizer" - zur Unterstützung angefordert. Die Experten, die herausragende Merkfähigkeiten besäßen, seien auf das Wiedererkennen von Gesichtern in größeren Menschenmengen spezialisiert.
Sie helfen bereits seit Montag ihren Kölner Kollegen bei der Auswertung von Videoaufnahmen aus der Silvesternacht. Die deutsche Polizei ist des Lobes voll: Dank ihrer besonderen Begabung seien die britischen Ermittler deutlich besser als automatisierte Gesichtserkennungsprogramme.
jj/wl (afp, tagesschau.de)