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Sind die Börsen reif für Künstliche Intelligenz?

Kristie Pladson
15. Juni 2023

Die Befürchtung ist weit verbreitet, von künstlicher Intelligenz (KI) generierte Bilder könnten den Aktienhandel aus dem Takt bringen. Aber andere Experten erwarten, Algorithmen könnten den Markt eher stabilisieren.

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Symbolbild I Künstliche Intelligenz an der Börse
Künstliche Intelligenz an der Börse - Smartphones vor der Kurstafel im HandelssaalBild: Omar Marques/SOPA/ZUMA/picture alliance

An einem Montagmorgen im Mai sackten die US-Börsen ganz plötzlich ab: Ein Foto einer Explosion in der Nähe des US-Verteidigungsministeriums wurde über soziale Medien verbreitet und hatte seinen Weg auch auf die Webseiten populärer Investoren gefunden.

War es wirklich ein Angriff? Das jedenfalls schienen die Investoren zu glauben. Bei Beginn internationaler Konflikte tendieren Börsen dazu, schwächer zu reagieren. In diesem Fall sank der S&P-Index um 0,3 Prozent und gleichzeitig legte der Kurs des als "sicherer Hafen" angesehenen Goldes zu. 0,3 Prozent klingt nach nicht viel, doch angesichts des Gesamtvolumens des Marktes bedeutet dieses Drittelprozent, dass in Windeseile rund 500 Milliarden US-Dollar bewegt wurden.

Das war noch mal gutgegangen

Doch innerhalb kurzer Zeit hatte sich der Markt wieder normalisiert. Das Foto, das den Kursrutsch verursacht hatte, war eine Fälschung - laut Experten durch KI generiert.

Aber dieser kurze Blitzeinschlag, den die Panik der Investoren ausgelöst hatte, warf die Frage auf, was denn KI für die Märkte bedeutet. Denn Bildfälschungen werden immer realistischer und sind immer leichter herzustellen.

KI: Alle Macht den Maschinen?

Automatisierter Handel: Opfer von KI?

An Sorgen, wie gefährlich die KI sein könne, mangelt es nicht. Desinformationen, sogenannte Deep Fakes bis hin zur Sorge vor der Abschaffung der Menschheit sind nur einige der Ängste, die in der Debatte um die neue Technologie auftauchen. Im Mai sagte der Chef der US-Börsenaufsicht (SEC), Gary Gensler, die Technologie könne ein "systemisches Risiko" sein und sogar eine Finanzkrise auslösen. Nicht nur er sorge sich vor allem wegen der sogenannten generativen KI. Diese Technologie, dazu gehört auch ChatGPT, kann komplexe Texte, Töne und Bilder produzieren, wie eben auch das von der Explosion beim Pentagon.

In den Vereinigten Staaten und in Europa wird zurzeit an Regeln gearbeitet, die neuen Techniken einzuhegen. Die "Fake-Bilder" sind, solange noch kein Weg gefunden ist, sie schnell und sicher als solche zu identifizieren, eine große Gefahr, weil sie immer realistischer wirken und immer leichter zu produzieren sind. So werden sie eine immer größere Bedrohung für Finanzmärkte.

Das liege daran, sagt Adam Kobeissi, Chefredakteur des Industrie-Informationsdienstes Kobeissi Letter, dass diese Märkte immer sensibler auf solche "Breaking News" reagierten. Der Associated Press sagte er: "Eine Menge dieser Reaktionen gibt es wegen des Hochfrequenzhandels, der mit Algorithmen arbeitet. Vereinfacht gesagt: Diese Algorithmen suchen nach Schlagzeilen, verarbeiten sie und füttern damit die Daten für den Handel, der innerhalb von Millisekunden reagiert."

Handel mit Algorithmen ist eine Spielart des automatisierten Handels, bei dem Computer mit Programmen arbeiten, die bekannte Muster erkennen und auf dieser Basis Kauf- und Verkaufsentscheidungen treffen. "Das ist ungefähr so, als wenn Sie jedes mal, wenn auch nur eine Schlagzeile erscheint, sofort den Abzug betätigen und schießen würden."

USA Nasdaq
Eine illuminierte Laufschrift an einer US-amerikanische Straßenkreuzung informiert über NASDAQ-KurseBild: STRF/STAR MAX/IPx/picture alliance

Bekannte Verhaltensmuster verstärkt

Nir Vulkan, Wirtschaftsprofessor der Universität Oxford, sagt dagegen, das sei gar kein neues Phänomen. Die Märkte hätten schon immer auf Gerüchte und auch auf Falschinformationen reagiert, sich aber üblicherweise selbst korrigiert, nachdem der Pulverdampf sich verzogen habe. Zur DW sagte er: "Mit dem Internet und allen seinen Kommunikationsmöglichkeiten passiert das eben schneller und heftiger. Aber eine Korrektur erfolgt dennoch."

Anders als Kobeissi ist er nicht überzeugt, dass der algorithmische Computerhandel der Hauptgrund für die Volatilität als Folge von Falschinformationen ist. Der Hauptgrund sei vielmehr der computergestützte Niedrigfrequenzhandel.

Während der Hochfrequenzhandel Folgen nur für Sekunden hätte, würden sich die Positionen im langsameren Niedrigfrequenzhandel deutlich länger halten, mitunter sogar für Wochen. Und eben dieser Handel werde von Hedgefonds favorisiert. Im Hochfrequenzbetrieb finden sich die Gewinnaussichten in sehr kurzfristigen Entwicklungen. Dort aber haben die Hedgefonds relativ wenig Geld investiert - sehr viel weniger als im Niedrigfrequenzhandel. "Das große Geld liegt fast ausschließlich gerade dort", so Vulkan.

Widerstandsfähige Algorithmen?

Die Algorithmen, die seines Wissens nach von den meisten Hedgefonds genutzt werden, würden nicht in Panik verfallen, wenn sie Kurzzeitreaktionen, wie sie etwa das gefälschte Pentagon-Bild hervorgerufen hatte, registrieren. Würden sich am Ende des Tages die Reaktionen wieder beruhigen, wären diese Algorithmen davon ungerührt geblieben. "Fantastisch! Könnte man sagen. Diese Algorithmen reagieren ja besser auf kurzfristige Falschmeldungen als sogar Menschen!"

Aus solchen Kurzzeit-Reaktionen Gewinn zu erzielen wäre sehr schwer, so Vulkan. Es sei denn sie wüssten, was vor sich geht oder sie hätten das alles selbst inszeniert. Und das wäre bereits illegal.

Wenn aber solche gefälschten Bilder häufiger aufträten, würden es nicht kurzfristig mehr Volatilität am Markt geben? "Ich weiß nicht, ob das ein algorithmisches Problem wäre", so Vulkan. "Das ist eher eine Frage von allgemeiner Robustheit gegenüber Falschnachrichten."

Tech-Papiere als Risikofaktor

Zurzeit scheint es so, als seien die Finanzmärkte gar nicht so sehr durch Händler, egal ob Mensch oder Maschine, gefährdet. Viele denken, es gebe generell zu viel Vertrauen in die Technologie selbst. Das stetig steigende Interesse an KI-Anwendungen hat in den vergangenen Monaten viele Investoren in die Tech-Märkte gezogen. Zu viele, beklagen Experten.

"Die KI-Revolution ist schon ziemlich real und bedeutend", sagte Julian Emanuel, Investmentberater bei Evercore ISI's im Mai zum Sender CNBC. "Aber solche Entwicklungen ereignen sich in Wellen. Und manchmal gibt es ein bisschen zu viel Enthusiasmus und die Aktienkurse fallen wieder."

Planer bei JPMorgan unter der Führung von Dubravko Lakos-Bujas warnten bereits im April in einer Nachricht an Investoren, dass der gegenwärtige Run in diesem Segment dazu führe, dass "die Kosten einer möglichen Rezession lange noch nicht eingepreist ist."

Beide Experten sorgen sich, dass diese Kursgewinne zu sehr auf Tech-Firmen wie Microsoft, Alphabet, Amazon, Apple, Meta and Nvidia konzentriert seien. Gegenwärtig konzentrieren diese sechs Tech-Giganten etwa die Hälfte der Werte der Technologie-Börse NASDAQ auf sich. Wenn das allgemeine Interesse an KI oder sogar an Tech-Papieren generell schwindet, wie sich das bereits andeutete, als die Zentralbanken die Zinsen anzuheben begannen, könnte das das Ende der gegenwärtigen Börsen-Hausse sein.

Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert.