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Wann setzt Japan auf nachhaltigen Fischfang?

Abigail Beall
23. August 2019

Fisch und Meeresfrüchte sind aus der japanischen Küche nicht wegzudenken. Weil die Bestände bedroht sind, könnten auch ahnungslose Touristen, die Nippons Küche ausprobieren, der Artenvielfalt im Meer schaden.

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Tourismus in Japan nach Fukushima Speisekarte
Bild: picture-alliance/ZB/P. Jähnel

Thunfisch-Auktionen sind ein Highlight für Touristen in Tokio. Vor dem bekanntesten Fischmarkt der Stadt bilden sich schon ab fünf Uhr morgens lange Schlangen mit Besuchern, die einen Blick auf die Auktionen erhaschen wollen. Die sind so beliebt, dass der seit 1935 bestehende Tsukiji-Fischmarkt aus dem Stadtzentrum in den Vorort Toyosu verlegt wurde. So hofft man, die Menschenmassen besser lenken zu können.

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In Toyosu können die Zuschauer die Versteigerungen von frischem und gefrorenem Thunfisch von einer speziell dafür errichteten Plattform aus verfolgen. Denn  Thunfisch, der schon mal bis zu 650 Kilogramm schwer werden kann, ist der unumstrittene Star der Veranstaltung. Dieses Jahr ging in Toyosu ein riesiger  Blauflossenthunfisch für umgerechnet 2,77 Millionen Euro über die Theke. Der Deal sprengte alle vorherigen Rekorde.

Während in Japan der Gourmet-Tourismus rund um Fisch und Meeresfrüchte boomt, schrumpfen die globalen Bestände. Vor allem der Blauflossenthunfisch ist stark überfischt. Alle drei Arten, die es weltweit gibt, sind vom Aussterben bedroht.

Global Ideas Tsukiji Fischmarkt in Tokio
Das Geschäft mit dem Blauflossenthunfisch in Japan ist riesig, doch die Bestände weltweit schrumpfen dramatisch.Bild: Getty Images/AFP/K. Nogi

Weil sowohl Rio de Janeiro als auch London als Gastgeber der vergangenen Olympischen Sommerspiele auf nachhaltige Lebensmittel gesetzt haben, steht jetzt Japan unter Druck nachzuziehen und die Besucher aus aller Welt, die für die Spiele 2020 erwartet werden, mit Produkten aus nachhaltiger Fischerei zu versorgen.

"Wir wollen Fisch und Meeresfrüchte aus nachhaltigem Fang salonfähig machen", so Wakao Hanaoka, der Gründer der in Tokio ansässigen Beratungsstelle Seafood Legacy. "Wir wollen die Olympischen Spiele 2020 als eine Art Katalysator nutzen, um diese Bewegung in Japan zu beschleunigen."

Momentan ist das alles andere als leicht.

Kein Thunfisch auf der Speisekarte

Die Menschen in Japan gehören zu den größten Konsumenten von Fisch und Meeresfrüchten weltweit. Sie sollen laut Euromonitor im Jahre 2016 um die 33 Kilogramm pro Kopf verspeist haben. Zum Vergleich: Italiener haben im gleichen Jahr mit 16 Kilogramm pro Kopf weniger als die Hälfte gegessen.

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Um den Touristen aus aller Welt während der Olympischen Spiele zertifizierten, nachhaltigen Fisch auftischen zu können - wie es zum Beispiel das international anerkannte Siegel MSC des Marine Stewardship Council oder das ASC-Siegel des Aquaculture Stewardship Council ermöglichen - müsste Japan verstärkt auf Importe setzen. Derzeit gibt es in Japan ein einziges Restaurant, das ausschließlich MSC-zertifizierten Fisch serviert.

Japan Blauflossenthunfisch Fischerei
Kritiker betrachten das japanische Zertifizierungssystem zur Nachhaltigkeit als unzureichend.Bild: Abigail Beall

Die Köche vom Restaurant Blue, das 2017 eröffnet wurde, nutzen lediglich zwei regionale Produkte, die ein MSC/ASC-Siegel haben. Alle anderen Produkte müssen Sie aus dem Ausland beziehen. Einen bestimmten Fisch suchen die Gäste vergeblich auf der Speisekarte, so Kota Shibai, der sowohl für die Seafood Legacy als auch für das Tokioter Restaurant arbeitet.

"Viele Kunden fragen mich, warum es bei uns im Restaurant Blue keinen Thunfisch gibt. Für mich eine gute Gelegenheit, meinen Gästen etwas über die Situation der japanischen Fischindustrie zu erzählen", so Shibai. "Momentan ist der Fang japanischen Thunfischs alles andere als nachhaltig."

Bluewashing für Japans Fischindustrie

Für viele Konsumenten ist das neu. Hanaoka von der Organisation Seafood Legacy betont, dass der Schutz der Fischbestände nur dann gelingen kann, wenn das Problem stärker ins Bewusstsein rückt. "Viele Japaner wollen ja gar nicht die Ozeane leer essen, sie wissen einfach nicht, dass die Bestände so gering sind", so Hanaoka.

Kritiker bemängeln jedoch, dass selbst diejenigen, die es bereits besser wissen und die mit ihrem Konsum ganz bewusst die Zukunft der japanischen Küche sicherstellen wollen, oft auf irreführende Zertifikate stoßen.

In Japan gibt es eigene Zertifizierungsstandards. Die Industrie hat 2007 das MEL-Zertifikat eingeführt, 2014 folgte das AEL-Zertifikat. Beiden wurde von der Fischerei mehr Beachtung geschenkt als den internationalen Zertifikaten.

Das liegt daran, dass diese Kriterien leichter einzuhalten sind. Der Juraprofessor Isao Sakaguchi hält wenig von den japanischen Standards: "Theoretisch lässt sich mit diesen Standards jeder x-beliebige Fischereibetrieb, der auf offener See fängt, wie auch jede Aquakultur-Farm mit einem 'blauen' Zertifikat ausstatten." Blau stehe dabei für nachhaltigen Meeresschutz, so der auf Fischerei spezialisierte Wissenschaftler von der Gakushuin Universität in Tokio.

So wurde beispielsweise ein Betrieb, der sich auf pazifischen Blauflossenthunfisch spezialisiert hat, 2015 nach dem MEL-Standard zertifiziert. Und das zu einer Zeit, als die Bestände des Blauflossenthunfisches auf einem historisch niedrigen Niveau lagen. Sakaguchi ist überzeugt davon, dass dieser Betrieb nach den internationalen MSC-Standards niemals zertifiziert worden wäre. Er nennt dieses Vorgehen Bluewashing, Blaufärberei.

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Unterschiedliche Signale der Regierung

Laut Richtlinien des Olympischen Organisationskomitees in Tokio, das "nachhaltige Fischprodukte" in den Olympischen und Paralympischen Dörfern sowie den anderen Austragungsorten der Spiele in Tokio servieren lassen will, reichen die japanischen MEL- und AEL-Standards zur Erfüllung der Nachhaltigkeitskriterien aus.

Hanaoka und seine Organisation Seafood Legacy versuchen unterdessen Wege aufzuzeigen, wie die Organisatoren Fisch und Meeresfrüchte beziehen können, die höheren Standards genügen. Deshalb reiste Hanaoka im letzten Jahr nach London. Er wollte herausfinden, wie die Stadt es schaffte, dass die Besucher die für Großbritannien so traditionellen Fish and Chips während der Spiele im Jahr 2012 ohne schlechtes Gewissen genießen konnten.

Er fand heraus, dass das Angebot einfach auf zwei bestimmte Fischsorten beschränkt worden war. Für das beliebteste Take-Away-Essen der Briten mag das keinen Unterschied machen. Auf Japan lässt sich das Modell jedoch nicht übertragen. Bei Sushi zum Beispiel können zehn bis 20 verschiedene Fischarten auf einem Teller landen. Die Besucher werden sicher diese Vielfalt kosten wollen.

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Japan Blauflossenthunfisch Fischerei
Im Restaurant Blue werden oft Gespräche rund um das Thema nachhaltige Meeresfrüchte mit den Kunden geführt.Bild: Abigail Beall

"Das meiste hier wird importiert. Wenn also Besucher aus anderen Ländern zu uns kommen, bekommen sie mit ihrem Sushi einen Mix aus importierten Produkten und bedrohten Arten serviert. Das ist doch nichts, worauf wir Japaner als Nation stolz sein können", so Hanaoka.

Die japanische Regierung hat angedeutet, dass sie den Ernst der Lage verstanden hat. Im Dezember vergangenen Jahres hat sie eine Reform der Fischereigesetze verabschiedet. Es war die größte seit 70 Jahren. Sie sieht mehr Obergrenzen für bestimmte Arten vor, sowie Pläne, wie sich überfischte Arten erholen können.

"Die Regierung ist langsam, aber sie fängt gerade an, ihre Gesetzgebung zu verschärfen", so Hanaoka. "Schritt für Schritt wird die Situation etwas besser."

Doch Japans Engagement beim Meeresschutz steht seit dem Ende des 33-jährigen Moratoriums für den Walfang im Juli 2018 wenig glaubhaft da.

Um garantiert keine bedrohten Arten zu verspeisen, müssen Touristen in Tokio und Sportfans aus aller Welt ihre Mahlzeiten sorgfältig auswählen. Es mag sein, dass viele japanische Fischereiprodukte von den Speisekarten verschwinden werden. Wer trotzdem Meeresfrüchte genießen will, der findet in der üppigen Auslage des Toyosu-Fischmarkts auch Seeigel und pazifischen Flugkalmar. Beide sollen sehr schmackhaft und unter ökologischen Gesichtspunkten unbedenklich sein.