Sind Flüchtlinge krimineller als Deutsche?
13. April 2017Vor knapp zwei Wochen hat ein Mann eine 23-jährige Frau in Bonn vergewaltigt, die mit ihrem Freund an einem Fluss zeltete. Der mutmaßliche Täter: ein Asylbewerber aus Ghana.
Solche Vorfälle, zusammen mit den massenhaften sexuellen Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht 2015 in Köln, sorgen in der Folge regelmäßig für einen medialen Aufschrei und lassen viele Menschen vermuten, dass die zunehmende Anzahl von Flüchtlingen in Deutschland einen Anstieg der Kriminalität zur Folge hat. Aber stimmt das wirklich?
Straftaten von Flüchtlingen nehmen zu
Schon der Blick auf die Definition macht eine klare Antwort nicht einfach: In seinem jüngsten Bericht über Kriminalität und Zuwanderung spricht das Bundeskriminalamt (BKA) von Zuwanderern und beschreibt sie als Asylbewerber; geschützte Personen; Personen, die Asyl erhalten haben; Personen, die Teil eines Flüchtlingskontingents sind oder Opfer von Bürgerkriegen sowie unerlaubte Personen.
Laut BKA wurden im vergangenen Jahr fast 300.000 Fälle registriert, in denen mindestens ein Zuwanderer wegen des Verdachts, eine Straftat begangen zu haben, verhaftet wurde. Obwohl 2016 insgesamt weniger Straftaten begangen wurden, stieg die Zahl der von Zuwanderern begangenen Straftaten deutlich an.
Dennoch sei es schwierig einen direkten Zusammenhang zwischen den Flüchtlingen und der Zunahme von Kriminalfällen herzustellen, sagt der Kriminologe und ehemalige Justizminister von Niedersachsen, Christian Pfeiffer. Das Verhalten der Flüchtlinge hänge oft von ihren Chancen ab, bleiben zu dürfen. Das mache manche Gruppen besonders anfällig für Straftaten.
"Da sind beispielsweise die Nordafrikaner, die schon bald nach ihrer Ankunft in Deutschland merken, dass sie keine Chance haben, hier zu bleiben", sagt Pfeiffer. "Sie sind oft frustriert und wütend und verhalten sich, wie wir es in der Silvesternacht in Köln miterlebt haben." Diese Menschen stünden häufig unter starkem Druck, in Deutschland zu bleiben und Geld zu verdienen - entweder durch illegale Arbeit oder durch Straftaten, fügt er hinzu.
Der wahre Grund für den Anstieg
Laut Pfeiffer zeigen Studien, dass Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien weniger Straftaten begehen, da sie ihre Chancen auf einen legalen Aufenthaltsstatus nicht gefährden wollen. Ein abgelehnter Asylantrag bedeutet eben auch, dass sie keinen Zugang zu Sprach- oder Integrationskursen mehr haben. "Daher entsteht eine Art Klassengesellschaft unter den Flüchtlingen - die einen haben gute Aussichten und die anderen nicht", erklärt Pfeiffer.
Allerdings seien selbst die, die gute Chancen haben zu bleiben, häufiger in kriminelle Aktivitäten involviert, wenn sie etwa gezwungen sind, mit vielen Menschen übergangsweise in Massenunterkünften zu leben, manchmal sogar mit Menschen aus einer anderen Konfliktgruppe in ihrem Heimatland, fügt Pfeiffer hinzu.
Eine Gesellschaftsstudie aus dem Jahr 2010 ergab, dass fast 70 Prozent der Bevölkerung in Deutschland über 30 Jahre alt war. Der Großteil der Flüchtlinge aber, die 2015 nach Deutschland kamen, ist zwischen 14 und 30 Jahre alt - liegt also deutlich unter dem Durchschnitt. Laut Pfeiffer ist dies grundsätzlich das übliche Alter, in dem Straftaten begangen werden. "Eine kleine Gruppe ist in jedem Teil der Welt extrem gefährlich: junge Männer zwischen 14 und 30 Jahren. Sie begehen rund 70 Prozent der Straftaten."
Alters- und Geschlechterstrukturen
Außerdem seien rund 37 Prozent aller Flüchtlinge junge Männer, so Pfeiffer. Das sorge für die höhere Kriminalitätsrate unter Einwanderern. "Das erklärt, warum unter 100 Deutschen die Kriminalitätsrate niedriger ist als unter 100 Flüchtlingen. Die Menschen hier sind älter und der Anteil von Frauen ist größer", erklärt er. In dieser Tatsache liege auch der Grund, dass mehr sexuelle Übergriffe gemeldet werden.
Auch die Hamburger Polizei hat für das Jahr 2016 eine Statistik erstellt. Demnach wurden in jenem Jahr 35.497 Tatverdächtige (47,4 Prozent aller Tatverdächtigen) ermittelt, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besaßen. Zu berücksichtigen sei allerdings, dass in dieser Zahl auch Delikte enthalten sind, die ihrer Art nach nur in Ausnahmefällen von Deutschen begangen werden können. Dazu zählen etwa Straftaten gegen das Aufenthaltsgesetz, das Asylgesetz und das Freizügigkeitsgesetz. Bereinigt um diese Zahlen, liegt der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen bei 43 Prozent.
Wie kompliziert die Annäherung an solche Zahlen ist, gibt auch die Polizei zu bedenken. Sie schreibt: "Die Kriminalitätsbelastung der Deutschen und Nichtdeutschen ist aufgrund der unterschiedlichen strukturellen Zusammensetzung (Alters-, Geschlechts - und Sozialstruktur) nicht vergleichbar. Die sich in Deutschland aufhaltenden Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft sind im Vergleich zur deutschen Bevölkerung jünger, häufiger männlichen Geschlechtes und gehören zu einem größeren Anteil unteren Einkommensschichten an. Dies alles erhöht die Wahrscheinlichkeit, als Tatverdächtige bei der Polizei auffällig zu werden."
Ausländer und Einheimische
Besteht die Gefahr, dass die Verbindung zwischen Flüchtlingen und Kriminalität zu einem "racial profiling" führt, also der Fahndung aufgrund von ethnischen Kriterien wie Aussehen oder Name? Darüber wurde Anfang des Jahres diskutiert, als die Kölner Polizei von Hunderten Migranten aus Nordafrika berichtete, die sich am Hauptbahnhof aggressiv verhalten hatten. Die Polizei hatte deshalb fast alle kontrolliert und einen Teil auch von der restlichen Menge separiert. Ein Jahr zuvor in der Silvesternacht 2015 waren am selben Ort Hunderte Frauen mutmaßlich von nordafrikanischen Migranten sexuell belästigt und ausgeraubt worden.
Für Pfeiffer ist aber klar, dass kein "racial profiling" stattfinde. Dies sei nicht die Intention: "Die Polizei muss mit diesen Verdächtigen umgehen und natürlich die Tatsache registrieren, dass sie zu diesen Gruppen von Menschen gehören, die in einer ernsthaften Krisensituation sind."
Laut dem Kriminologen Pfeiffer sprechen die Fakten für sich. "Flüchtlinge sind keine schlechteren Menschen, aber sie sind in der sozialen Struktur anders platziert. Polizeistatistiken zeigen nur, was andere Menschen melden, sehr wenig kommt von den eigenen Beobachtungen der Polizei", sagt Pfeiffer. Man müsse beachten, dass die Beschwerden über Ausländer generell häufiger seien, als Beschwerden über die eigenen Landsleute. "Wenn Max von Moritz angegriffen wird, liegen die Chance, dass dies im Polizeibericht auftaucht bei 19 Prozent", sagt Pfeiffer. Würde Max jedoch von Mehmet angegriffen, läge die Wahrscheinlichkeit bei 29 Prozent.