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Sinkende Preise - ein schleichendes Gift?

Rolf Wenkel9. Januar 2014

Die EZB hat wie erwartet die Leitzinsen unverändert gelassen. Will sie am Ende gar einer möglichen Deflation vorbeugen? Fachleute sind geteilter Meinung.

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EZB-Turm Frankfurt (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Im Jahr 2014 könnten die beiden größten Zentralbanken der Welt, die amerikanische Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank EZB, vor einem ganz üblen Dilemma stehen, glaubt Stephen King, der Chefvolkswirt der HBSC-Bank. Denn sie stünden beide vor einer fast unlösbaren Entscheidung: "Sollen sie langsam das Ende der lockeren Geldpolitik einläuten, weil sich die Realwirtschaft allmählich erholt, oder sollen sie die Politik des billigen Geldes beibehalten, weil am Horizont die Gefahr der Deflation auftaucht?"

Deflation heißt, die meisten Waren und Dienstleistungen werden tendenziell billiger und nicht teurer. Das verwundert zunächst. Denn zur Eindämmung der globalen Finanzkrise haben die Zentralbanken diesseits und jenseits des Atlantiks jahrelang eine ultralockere Geldpolitik betrieben, die Märkte mit Liquidität überschwemmt. In der Theorie müsste diese Geldschwemme zu Preisblasen, Spekulation und Inflation führen. Doch davon ist weit und breit nichts zu sehen.

Inflation spaltet Europa

Die Preise fallen

Im Gegenteil: Im Dezember kosteten Waren und Dienstleistungen in Europa nur 0,8 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Das liegt weit unterhalb der Marke von "knapp unter zwei Prozent", die sich die EZB selbst als Inflationsziel und wohl auch als Puffer gegen Deflation gesetzt hat. Noch bedenklicher: Die Erzeugerpreise sind seit Monaten auf dem Rückzug, liegen schon jetzt 1,2 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Und in Lettland, Griechenland und Zypern sinken die Preise sogar auf breiter Front - alles Vorboten einer möglichen Deflation.

Doch warum wird die Deflation fast mehr gefürchtet als die Inflation? Sinkende Preise lassen doch die Herzen der Verbraucher höher schlagen, wozu also die Aufregung? Tatsächlich befürchten Ökonomen in einer Deflation eine gefährliche Abwärtsspirale: Erst halten sich die Menschen mit Käufen und Investitionen zurück, weil sie sinkende Preise erwarten. Die Unternehmen fahren daraufhin ihre Produktion zurück, und das führt zu sinkenden Unternehmensgewinnen, was wiederum zu Lohnkürzungen und Entlassungen führt. Und mit schrumpfenden Einkommen und steigender Arbeitslosigkeit sinkt die Gesamtnachfrage weiter - ein sich selbst verstärkender Prozess, der nur eine Richtung kennt: nach unten.

Faule Ausreden?

Zentralbanken haben ein probates Mittel, um eine Inflation einzudämmen, sie machen einfach das Geld teurer. Aber geldpolitische Instrumente, um eine Deflation zu vermeiden, sind nicht bekannt. Man kann eben nicht mehr als die Leitzinsen auf Null oder nahe Null setzen. Trotzdem ist für Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, die Gefahr einer Deflation stark übertrieben. "Ich finde der Begriff Deflation wird ungeheuer missbraucht als moralische Rechtfertigung für eine Geldpolitik, die eigentlich viel zu locker ist", so Krämer.

Jörg Krämer (Foto: Commerzbank AG)
Jörg Krämer: "Alles nur ein Vorwand"Bild: Commerzbank AG

"Eine echte Deflation hat es nur einmal gegeben, in den 1930er Jahren in den USA", sagt Krämer. "Selbst die Deflation in Japan war kein verlorenes Jahrzehnt, wie immer behauptet wird." Mit Beginn der 1990 Jahre endete das japanische Wirtschaftswunder, die Preise begannen zu sinken.

Trotzdem sei in den letzten zehn Jahren die japanische Wirtschaftsleistung pro Kopf gerechnet gewachsen - und zwar im gleichen Maße wie in den USA, so Krämer zur DW. Dass in manchen Ländern Südeuropas das Preisniveau momentan nach unten tendiert, sei eine natürliche Korrektur nach dem Boom, der dort vor der Schuldenkrise geherrscht habe. Und fallende Preise seien in diesen Ländern sogar erwünscht, weil sie damit ihre Wettbewerbsfähigkeit wieder herstellen könnten.

Probleme übertünchen

Für den Chefvolkswirt der Commerzbank steht fest: "Investmentbanker und Zentralbanker mißbrauchen die vermeintlichen Deflationsgefahren, um weiterhin ihre unverantwortlich expansive Geldpolitik betreiben zu können." Gerade für ein Land wie Italien, das sich nicht reformieren wolle oder könne, sei das eine willkommene Gelegenheit, die Probleme nicht aus eigener Kraft lösen zu müssen, sondern auf die EZB abzuwälzen. "Und die übertüncht die Probleme dann mit einer lockeren Geldpolitik und rechtfertigt das als Maßnahme gegen Deflation". Und das, so Krämer zur DW, sei ungefähr so sinnvoll wie der Versuch, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben.