Warum setzen Bauern in Sizilien auf tropische Früchte?
21. Dezember 2018Seit dem Jahr 2001 wachsen in einem Weinberg an den Hängen des Ätna Mangos und Avocados. Angebaut hat sie Andrea Passanisi, die Anbaufläche gehört zum Weingut seiner Familie. Er war damals erst 17 Jahre alt, ein Verrückter, so nannten ihn die Nachbarn. Schließlich waren sie an den Anblick von Oliven und Orangen gewöhnt. Alles andere hatte, ihrer Meinung nach, dort nichts zu suchen.
"Aber ich wollte ein neues Kapitel der sizilianischen Geschichte schreiben", sagt Passanisi. "Es sollte von Anpassung erzählen und einer Vision für die Zukunft."
Also entfernte Passanisi alte Pflanzen und pflanzte neue. Er gründete das Unternehmen Sicilia Avocado, mit dem er auf ökologischen, nachhaltigen Anbau setzt. Seine Avocados, Maracujas und Australische Fingerlimetten kann man jetzt, 17 Jahren nachdem die ersten Pflanzen in den Hängen wuchsen, in ganz Europa und sogar in China kaufen.
Der ehemalige Jurastudent Passanisi gehört damit zu einer neuen Generation sizilianischer Landwirte, die einerseits im Einklang mit der Natur produzieren, aber ihren Anbau auch an die Gegebenheiten des Klimawandels anpassen. Weil die Temperaturen steigen, bietet Sizilien nun ideale Bedingungen für exotischere Pflanzen, aber auch Tiere.
Jenseits der klassischen Kulturpflanzen
Deshalb leben seit dem Jahr 2013 auch ein paar Dromedare auf der Gjmala Farm in Trecastagni, einem Dorf am Vulkan. Die Tiere sollen hier Milch produzieren.
"Die höheren Temperaturen haben definitiv einen Einfluss auf die Anpassungs- und die Widerstandsfähigkeit der Tiere hier in Sizilien", sagt der Züchter Santo Fragalà, ein Tierarzt. "Wir können hier ihren ursprünglichen Lebensraum ziemlich gut nachbilden."
Die Konsumenten, sagt er aber, hätten sich noch nicht an exotische Unternehmen wie seins gewöhnt. Aber das ändere sich. Sowohl bei Kunden als auch Unternehmern setze sich langsam die Erkenntnis durch, dass Klimaanpassung auch einige Chancen biete.
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Das zahlt sich auch für Landwirte wie Alberto Continella aus, der eine Art Mentor für Passanisis unternehmerische Bemühungen ist.
Sein Vater gründete schon in den 1960er-Jahren ein Avocado-Exportunternehmen, also in einer Zeit, als diese Art Nutzpflanzen in Sizilien noch weitgehend unbekannt waren. Heute ist sein tropischer Garten der größte der Insel und die grüne, üppige Heimat von 50 Jahre alten Avocado-Bäumen.
Sein Wissen aus mehr als zwei Jahrzehnten Avocadozucht gibt Continella gern weiter.
"Die Landwirte in Sizilien sind normalerweise sehr individualistisch und vermeiden es, mit anderen im gleichen Berufszweig zusammenzuarbeiten, weil sie Konkurrenz fürchten", sagt er. "Wir stehen für das Gegenteil davon. Wir wollen anderen Landwirten, die in den Anbau von Tropenfrüchten einsteigen wollen, das nötige Wissen vermitteln, damit sie nicht auf die Nase fallen."
Die passende Kulturpflanze zur Klimazone
Zuerst einmal braucht man dazu eine ausreichende Menge Wasser. Sowohl Continella als auch Passanisi glauben, dass sich die neuen Exotenzüchter die teils sehr hohen Wasserkosten teilen könnten, wenn sie zusammenarbeiten. Außerdem könnten sie vielleicht so auch dafür sorgen, die veraltete Bewässerungsinfrastruktur der Insel zu erneuern, die zur Zeit vor allem Wasser verschwendet, anstatt es sinnvoll zu verteilen.
Je besser die Landwirte verstehen, das Mikroklima und die Bodeneigenschaften zu nutzen, desto besser könnten sie ihre Pflanzen genau dort anbauen, wo ihre Bedürfnisse erfüllt werden.
Die Gegend der kleinen Stadt Giarre zum Beispiel - gelegen zwischen Ätna und Mittelmeer - bietet Wasser genug, um eine Ernte der tropischen Früchte zu gewährleisten.
"Der Boden ist durch die Asche des Ätna fruchtbarer als anderswo und das Wasser, das aus dieser besonderen Erde sprudelt, ist klarer. Beides macht jede geerntete Frucht hier zu etwas besonderem. Das ist der ideale Ort für ihren Anbau", so Passanisi.
Zurück zu den Wurzeln
Zwar möchte der Unternehmer "diese neue Philosophie und den unternehmerischen Geist" voranbringen und junge Menschen dazu animieren, alten Anbaugebieten neues Leben einzuhauchen. Er warnt aber gleichzeitig davor, auf den Zug der Tropensorten aufzuspringen.
Denn viele Möchtegern-Landwirte habe der Klimawandel aufgescheucht, sagt er. Sie "dachten, sie würden so ihre wirtschaftlichen Probleme lösen." Meistens verfügten sie jedoch nicht über das praktische Wissen und hatten keine Anleitung, um solche Pläne umzusetzen. Sie wussten wenig über das Klima oder wie sie ihre Ernte daran anpassen sollen.
Carlo Aranzulla ist einer dieser Wagemutigen. Der 25-jährige ist am Tag Landwirt. Nachts arbeitet er als Röntgenarzt in der Notaufnahme. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, das ungenutzte Land seiner Großmutter in Ostsizilien wieder urbar zu machen, um dort Bio-Orangen und -Fingerlimetten anzubauen.
In seiner Generation gebe es gerade einen großen Trend dahingehend, sich eine Existenz auf dem Land aufzubauen, sagt er.
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"Ich kenne einige Leute, die Landwirtschaft nebenher ausprobiert haben, obwohl sie an der Universität eigentlich Wirtschaft oder Recht studiert haben", erzählt er. "Einige von ihnen haben sogar ihr Studium aufgegeben, um sich voll und ganz der Landwirtschaft zu widmen."
Die Produkte dieser Bemühungen liegen teilweise auch schon in den Supermärkten in Deutschland und Belgien. Aber auch die Konsumenten vor Ort finden zunehmend Geschmack an den exotischen Früchten. Dazu trägt auch bei, dass die Menschen hoffen, sich mit regional angebauten Produkten gesünder und ökologischer zu ernähren.
Für Passanisi steht die neue sizilianische Landwirtschaft noch am Anfang ihrer Geschichte. "Ich denke, unsere Insel hier im Mittelmeer kann und wird einige interessante, nachhaltige Überraschungen bieten", sagt er.
Und passend dazu legt sich der Schatten des Ätna im Abendlicht wie eine schützende Decke über die neuen Pflanzen an seinen altehrwürdigen Hängen.
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