Die SMS stirbt aus
26. Oktober 2012Auf einer Reise ins Ausland habe ich mir kürzlich - nicht mal eine Stunde nach der Ankunft - eine örtliche SIM-Karte für mein Handy besorgt. Als der Verkäufer mich fragte, ob ich viele Freiminuten zum Telefonieren oder Gratis-SMS haben wolle, antwortete ich sofort, dass ich nur eine schnelle Internetverbindung bräuchte. Für die anderen Dienste überhaupt etwas zahlen zu sollen, erschien mir wie Abzocke - schließlich kann man mit einem Breitbandaccount Kurznachrichten auch gebührenfrei über Facebook oder Whatsapp versenden, mit Skype kostenlos telefonieren und nebenbei auch noch im Internet surfen.
Eine wachsende Zahl von Smartphone-Besitzern kommuniziert über Soziale Netzwerke oder andere Internet-Anwendungen, anstatt herkömmliche Kommunikationswege wie SMS zu nutzen. Das Londoner Telekommunikations-Beratungsunternehmen Ovum schätzt, dass Mobilfunkbetreiber dadurch bis Ende dieses Jahres 23 Milliarden Dollar (17,7 Milliarden Euro) Umsatz verlieren werden.
Veraltete Technologie"SMS ist als Technologie eindeutig veraltet, weil man nur jeweils eine Nachricht an eine Person senden kann, mehr nicht," so Ovum-Analystin Neha Dharia im Gespräch mit der Deutschen Welle. Andere Dienste seien attraktiver, weil sie den Nutzern mehr Möglichkeiten geben, denn mit denen könnte man Ton- und Bilddateien mit anderen teilen und Telefongespräche kostenfrei führen. Laut Ovum-Bericht werden Telekommunikationsanbieter in Europa und im Asien-Pazifik-Raum die größten Umsatzeinbrüche verzeichnen. Das zwingt die Unternehmen, mit neuen Angeboten auf den Markt zu kommen.
In Europa haben jetzt einige Mobilfunk-Anbieter ihre Gebühren für den Datentransfer erhöht, andere bündeln ihre SMS- und Telefonie-Pakete. Die Deutsche Telekom beispielsweise hat seit zweieinhalb Jahren mehr Flatrates im Angebot - "als Reaktion auf den sich verändernden Markt", wie ein Unternehmenssprecher der DW sagte.
Die Deutsche Telekom versucht außerdem, auf dem Spezialgebiet der neuen Wettbewerber Fuß zu fassen: Der Bonner Konzern hat mit "Joyn" eine eigene App auf den Markt gebracht, die seinen Kunden den kostenfreien Bildertausch und gratis Video-Chats ermöglicht. Telefonica, AT&T und NTT Docomo verfolgen die gleiche Strategie.
Turbulenzen in Sicht
Aber harte Zeiten stehen der Industrie noch bevor. Nach Schätzung der Ovum-Analysten werden sich die Verluste der Branche in den kommenden vier Jahren mehr als verdoppeln.
Wie turbulent es auf dem hart umkämpften Markt zugeht, zeigt das Beispiel des sozialen Netzwerkes Whatsapp (plattformübergreifende mobile Nachrichten-App). Es hat die Niederlande im Sturm erobert. Whatsapp ist inzwischen auf mehr als 5,5 Millionen Smartphones im Land installiert. "80 Prozent der Nutzer verwenden es mindestens einmal pro Tag", berichtet der Brancheninformationsdienst "Telcompaper".
Das Wachstum von Whatsapp und ähnlichen Angeboten geht deutlich zulasten der Mobilfunkbetreiber. Der niederländischen Branchenprimus KPN meldete im zweiten Quartal 2012 einen Rückgang an SMS-Textnachrichten in Höhe von 29 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. "SMS war viele Jahre lang ein sehr lukratives Geschäft für die Mobilfunkanbieter, mit Gewinnmargen zwischen 70 und 90 Prozent pro Textnachricht", sagt Julien Blin vom US-Markforschungsunternehmen "Infonetics Research". Durch die Milliarden SMS, die jedes Jahr verschickt werden, sei es keine Überraschung, dass der Umsatz von Mobilfunkanbietern durch die Konkurrenz von Facebook und Co. stark unter Druck gerät.
Die Zeit der großen Margen ist vorbei
Der inzwischen weltweit verbreitete GSM-Mobilfunkstandard ist für die Übertragung von SMS-Nachrichten, für die nur extrem geringe Datenraten nötig sind, geradezu überdimensioniert. Wenn eine SMS verschickt wird, sei das für den Handynetzbetreiber reiner Profit, sagt Dan Bieler vom Marktforschungsunternehmen "Forrester Research" in Cambridge (Massachusetts).
Bieler schätzt, dass Mobilfunkanbieter einst rund 15 bis 25 Prozent ihrer Einnahmen durch das SMS-Geschäft erzielten - bis dann die Handy-Internet-Flatrates an Bedeutung gewannen.
Noch kann niemand abschätzen, ob die neuen Angebote der Telekommunikationsunternehmen die sinkenden SMS-Einnahmen ausgleichen können. Doch es steht noch mehr auf dem Spiel: Dario Talmesio vom Bracheninformationsdienst "Informa" argumentiert, dass Kundenbindung wichtiger sei als die Technologie, die sie verwenden. "Weniger Geld einzunehmen ist nicht so schlimm, wie einen Kunden zu verlieren." Eigene Angebote für Soziale Netzwerke werden, laut Talmesio, immer wertvoller für die Telekommunikationsunternehmen. Denn diese eröffnen neue Kanäle, um persönliche Marketing-Daten der Kunden zu sammeln und ihnen vielleicht neue Produkte zu verkaufen.