Klimaschutz-Influencer gehen auf TikTok viral
18. Mai 2021"Der Klimawandel ist nicht real." Diesen Spruch fand Carissa Cabrera in den Kommentaren auf ihrem TikTok-Profil. Ihre Antwort: Ein Video über die schweren Überschwemmungen ganz in der Nähe ihres Hauses auf Hawaii im März dieses Jahres.
Darin sieht man einen über die Ufer getretenen Fluss und Autofahrer, die versuchen, ihre Fahrzeuge durch die Wassermassen zu manövrieren. Auf diese Bilder spricht Cabrera aus dem Off: "Das ist nicht die globale Erwärmung. Das ist hier ist kein Klimawandel. Sagen wir einfach, was es wirklich ist: eine Klimakrise." Dieses nur zehn Sekunden dauernde Video wurde bereits mehr als 300.000 Mal angesehen.
Cabrera ist Meeresbiologin und postet regelmäßig Videos bei EcoTok. Das ist ein Kanal der Video-Sharing-Plattform TikTok, auf dem mehrere junge Influencer regelmäßig zu Umwelt- und Klimathemen ihre Posts veröffentlichen. Es geht um CO2-Ausstoß, Lebensmittelverschwendung, Biodiversität und Recycling.
Der Kanal EcoTok ging im Juli 2020 an den Start. Initiator war der High School Student Alex Silva. Er hatte bis dahin unter dem Namen "ecofreako" hauptsächlich Videos gepostet, in denen er seine Versuche zeigt, ein möglichst abfallarmes Leben zu führen. Über Instagram lud er schließlich andere Influencer zum Mitmachen beim Kanal EcoTok ein.
Öko-Videos, die viral gehen
Die Gruppe ist inzwischen auf 16 Mitglieder angewachsen. Sie sind Studenten, Wissenschaftler, Umweltpädagogen und Beamte. Für ihre Umweltkampagnen hat die Gruppe bereits mit TED Countdown, einer Initiative zur Förderung des Klimaschutzes zusammengearbeitet sowie mit der Risiko-Kapitalfirma von Bill Gates, Gates Ventures.
Wie die meisten Videos auf TikTok sind die kurzen Filme der EcoToker aufgepeppt mit eingängigen Sounds, Tänzen und bunten Schrifteinblendungen. Das Ziel: eine möglichst hohe Reichweite für ihre grünen Botschaften.
Aber sie sind nicht die einzigen Umweltaktivisten, die auf TikTok unterwegs sind. Auch andere junge Influencer erreichen mit ihren Posts Millionen von Menschen. Die Hashtags"climate change" für Klimawandel und "sustainable" für nachhaltig, bringen es weltweit auf mehr als eine Milliarde Aufrufe.
Früher hat Cabrere in Klassenzimmern vor gerade mal dreißig Leuten zum Thema Schutz der Meere referiert. Mit TikTok hingegen erreicht sie viel mehr Menschen. Mehr als zwei Milliarden Mal wurde die App weltweit heruntergeladen, vor allem von der Generation Z, also Teenagern und jungen Menschen bis etwa Anfang 20.
Ihre Videos postet die Meeresbiologin unter dem Namen "carissaandclimate". Gefällt ein Eintrag, wird er von den Nutzern geliked. Bei ihren Posts war das bereits mehr als eine Million Mal der Fall.
"TikTok als Lernraum"
"TikTok ist nicht nur eine Social-Media-App. TikTok ist auch ein Lernraum. Die Generation Z will Informationen und Werkzeuge an die Hand bekommen und das alles verpackt auf unterhaltsame Art und Weise," sagt Cabrera. Sie arbeitet auch mit "The Conservationist Collective" zusammen, einem kleinen Unternehmen, das Medien- und Bildungskampagnen initiiert, um den Schutz der Ozeane voranzubringen.
Die Videos der Biologin drehen sich meist um ihr Spezialgebiet: die Ozeane. Sie sind in der Regel gerade mal 30 Sekunden lang. In den ersten drei Sekunden verrät sie, worum es geht. Das erhöht die Chancen, dass ihr Video von den Zuschauern geliked und im Netz weiterempfohlen wird. So geht das Video viral.
"Du musst Dir einen ganz konkreten Aspekt rausgreifen und daraus etwas machen, das das Zeug dazu hat, viral zu gehen," sagt sie. "Das meiste, das auf TikTok viral geht, sind Comedy-Geschichten oder Tänze. Da muss ich mir natürlich überlegen, wie ich Wissenschaft für alle unterhaltsam aufbereite." Cabrera will Videos produzieren, deren Inhalte sich schnell einprägen, die man sich immer wieder anschauen und mit anderen teilen möchte. Ihr Ziel ist es, die Menschen zum Handeln bewegen.
Aber längst nicht jeder glaubt, dass TikTok-Videos wirklich Auswirkungen auf das Handeln im realen Leben haben. Sophia Moore ist 18 Jahre alt und Highschool-Studentin aus Kalifornien. Auch sie ist auf TikTok unterwegs. Sie engagiert sich für die Umwelt und soziale Gerechtigkeit, glaubt jedoch nicht, dass TikTok der richtige Ort für Klima-Aktivismus ist.
"Ich glaube, die meisten Leute nutzen TikTok als sinnfreie Unterhaltung, um einfach nach der Schule mal abzuschalten," sagt sie. "TikTok ist eher die passive Art, um sich in der Klimabewegung zu engagieren. Ich mische meine Geschichten rund um das Klima mit meinen anderen TikTok-Inhalten, man findet sie leicht, kann schnell auf "gefällt mir" klicken und dann einfach weiter durch die Feeds stöbern."
Wie aus TikTok-Videos Taten werden können
Und dennoch deutet einiges darauf hin, dass TikTok durchaus das politische Handeln von Menschen beeinflussen kann. So berichteten im Juni 2020 hunderte jugendliche TikTok-Nutzer, sie hätten versucht, eine Kundgebung des damaligen US-Präsidenten Donald Trump zu sabotieren.
Laut eigener Angaben hatten sie sich Eintrittskarten besorgt, ohne jedoch überhaupt die Absicht gehabt zu haben, bei der Kundgebung zu erscheinen. Im Netz ermutigten sie andere Nutzer, es ihnen gleich zu tun. So haben Trump vor nahezu leeren Rängen gestanden. In Indonesien nutzten Jugendliche die App, um gegen die Lockerungen der Arbeitnehmerrechte zugunsten von Unternehmen zu protestieren. Zahlreiche Menschen gingen daraufhin auf die Straße. Und nach der Ermordung des US-Amerikaners George Floyd schnellte auf TikTok die Zahl der #BlackLivesMatter-Videos in die Höhe.
Sander van der Linden ist Professor für gesellschaftliche Sozialpsychologie an der Universität Cambridge in England. Er ist zugleich Chefredakteur des "Journal of Environmental Psychology", einer Zeitschrift, die sich mit den Wechselbeziehungen des Menschen und seiner sozialen, natürlichen und virtuellen Umgebung befasst. Seiner Meinung nach können virale Social-Media-Kampagnen dann zu konkreten Handlungen führen, wenn sie die drei folgenden Schlüsselelemente enthalten: Sie üben "sozialen Einfluss" aus, indem sie andere Menschen regelrecht zum Mitmachen herausfordern, sie unterstützen eine moralische Sache und sie lösen Emotionen aus.
Zweifel an der Nachhaltigkeit der TikTok-Effekte
Doch die Effekte sind oft nur von kurzer Dauer. Das zeigen seine Forschungen zu diesem Thema. So ging das Thema "Ice Bucket Challenge" im Jahr 2014 nur relativ kurz durch die Medien. Die "Challenge" sollte auf die Nervenkrankheit ALS (Lou-Gehrig-Krankheit) aufmerksam machen und Spendengelder für die Erforschung der Krankheit einbringen. Die Teilnehmer gossen sich einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf und benannten im Anschluss jemanden, der ihm es innerhalb eines Tages gleich und zu spenden sollte.
Doch durch die Aktion, "konnten die jährlichen Mittel für die Forschung weltweit um 187 Prozent erhöht werden" - so schreibt es die ALS Association, die die Spendenkampagne ins Leben rief, auf ihrer Internetseite.
Ihm seien keine Untersuchungen bekannt, so Van der Linden, die sich speziell mit dem Thema Klima-Videos auf TikTok befassten. Aber seine Social-Media-Forschung habe ergeben, dass es schwierig sei, eine langfristige Dynamik hinter der Klimabewegung zu erlangen. "Die meisten sehen den Klimawandel eben nicht als moralische Angelegenheit, sie haben keine starken Emotionen bei dem Thema", ergänzt er.
Es sei möglich, dass die Klima-Videos auf TikTok lediglich einen "Thunberg-Effekt" erzeugten, so Van der Linden. Damit beschreiben er und seine Kolleginnen und Kollegen der Yale University das Phänomen, dass Menschen, die Sympathien für die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg hegen, eher daran glauben, dass gemeinsames Handeln den Kampf gegen den Klimawandel voranbringt.
Cabrera sieht das anders. TikTok sei eine Plattform zum Mitmachen. Sie ermögliche es den Nutzern, mit wenig Aufwand ein Video weiterzuverbreiten, zu kommentieren oder in die eigene TikTok-Story einzubauen. Die Biologin erzählt, dass ihre Nutzer sich bei ihr melden und berichten, was sie tun - etwa, dass sie Petitionen unterschrieben oder ihren Gewohnheiten änderten.
Es geht aber nicht nur um die persönliche Verantwortung sondern auch um Austausch, sagt die Biologin. "Wir wollen, dass die Menschen begreifen, dass die Verantwortung für den Klimaschutz nicht nur beim Einzelnen liegen sollte, und dass wir die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen müssen."
Kampf gegen Falschinformationen im Netz
Sozialpsychologie Van der Linden ergänzt, dass Falschinformationen über den Klimawandel im Netz enorme Konsequenzen haben können. Denn beim Klimawandel handele es sich um eine wichtige und existenzielle Bedrohung. "Und wenn man die Menschen in die Irre führt, könnte das unglaubliche Folgen haben."
Diese Falschinformationen sind weit verbreitet im Internet, über die erneuerbaren Energien bis hin zum wissenschaftlichen Konsens über den Klimawandel. "Sie umfassen wirklich die ganze Bandbreite. Das macht es auch so schwierig, damit umzugehen", sagt Van der Linden.
Dessen sind sich Cabrera und das EcoTok-Team bewusst. Jedes ihrer Videos wird vor der Veröffentlichung mit der ganzen Gruppe geteilt. Die Mitglieder geben dann Feedback. Nicht alle Klima-Inhalte auf TikTok werden solchen Checks unterzogen.
Nutzer können sich aber untereinander über Falschinformationen informieren. Wenn ihr ein ihr ein TikTok-Video "weit hergeholt erscheint", so Highschool-Studentin Moore, sehe in den Kommentaren nach, ob andere Nutzer den Inhalt bereits als gefälscht erkannt hättenen.
Häufig enthält der Klima-Aktivismus bei TikTok katastrophale Botschaften. Vielfach wird die immer knapper werdenden Zeit thematisiert, die noch bleibt, um eine Klimakatastrophe aufzuhalten. Bei EcoTok vermeidet man solche "Weltuntergangs"-Inhalte. Aber auch hier wird in den Posts die Dringlichkeit der Krise deutlich gemacht.
Deshalb enthalten Cabreras TikToks meist auch eine einfache Aufgabe. In einem Video schlägt sie zum Beispiel vor, "drei Dinge im Badezimmer auszutauschen", um Plastik zu reduzieren. "Wir brauchen jeden einzelnen als Umweltschützer", sagte sie. "Die Menschen müssen dazu inspiriert und motiviert werden. Zwang ist hier nicht der richtige Weg. Allerdings ist es auch nicht ganz einfach, schließlich haben wir es hier, mit einem Klima-Notfall zu tun. Wir haben also auch nicht mehr viel Zeit."