Solidarität mit Merkel auf EU-Gipfel
24. Oktober 2013Beim Gipfel selbst schlug die Empörung unter Europas Politikern hohe Wellen. Österreichs Vizekanzler Michael Spindelegger betonte: "Man kann besonders zwischen befreundeten Ländern nicht einfach jemand anderen abhören, Daten absaugen, verarbeiten, ohne dass es dafür wirklich eine gemeinsame Grundlage gibt." Der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt nannte es "natürlich inakzeptabel", wenn Telefongespräche von Regierungschefs abgehört würden. "Dieses systematische Ausspionieren ist nicht hinnehmbar", sagte auch der belgische Regierungschef Elio Di Rupo. "Es sind nun europäische Maßnahmen nötig." Schon war in Brüssel vom "Handy-Gipfel" die Rede, weil das Thema die sonst eher müde Tagesordnung durcheinander wirbelte.
Merkel und der französische Präsident François Hollande waren wie üblich kurz vor dem Gipfel zu einem persönlichen Gespräch zusammengekommen. Bei dem Routinetreffen dürfte es diesmal auch um die neuen Spionagevorwürfe gegen die US-Geheimdienste gegangen sein. Während in Deutschland der Verdacht, dass Merkels Handy überwacht wurde, Befremden ausgelöst hat, sorgen in Frankreich Berichte für Empörung, nach denen US-Dienste massenhaft Telefonate ausspionierten. Hollande will auf dem Gipfel auf eine einheitliche Regelung zum Umgang mit persönlichen Daten dringen. Die EU-Staaten verhandeln bereits seit Anfang 2012 über eine Datenschutzreform, die vor allem Verbraucher und Unternehmen betrifft - bislang ohne Einigung.
Zeichen der Geschlossenheit
Die EU-Kommission forderte derweil ein Signal der Geschlossenheit vom Gipfel. "Jetzt ist es an der Zeit für Taten und nicht nur für Erklärungen", sagte die Sprecherin von EU-Justizkommissarin Viviane Reding. "Datenschutz muss gelten, egal ob es die E-Mails der Bürger betrifft oder das Mobiltelefon von Angela Merkel." Offiziell steht das Thema Internet und Telefonieren oben auf der Tagesordnung. Dabei geht es aber weniger um Datenschutz, als um die wirtschaftliche Entwicklung des digitalen Sektors.
Erst am Mittwoch hatte das EU-Parlament als Reaktion auf die US-Spionage für eine Aussetzung des Bankendatenabkommens SWIFT votiert, das den Austausch von Bankdaten mit den USA regelt. Der Chef der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Hannes Swoboda, fordert, auch andere Verträge auf Eis zu legen, die den Informationsaustausch regelten, und diese neu mit Washington auszuhandeln. Swoboda sagte, er könne sich nicht vorstellen, dass es sich bei der Handy-Abhöraffäre um Merkel um einen Einzelfall unter den EU-Spitzenpolitikern handele. Vielmehr gehe die NSA vermutlich "systematisch" vor.
Freihandelsgespräche in Gefahr
Der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz, forderte, die Freihandelsgespräche mit den USA auszusetzen. "Es gibt bestimmte Standards und Kriterien, die müssen erfüllt sein, sonst macht es ja keinen Sinn, miteinander zu sprechen", sagte der SPD-Politiker. Die EU verhandelt seit Sommer mit Washington über die Schaffung der weltgrößten Freihandelszone mit gut 800 Millionen Einwohnern.
Beim Gipfel geht es auch um die Reform der Wirtschafts- und Währungsunion und den Aufbau der europäischen Bankenunion. Die Staats- und Regierungschefs machen beim Riesenvorhaben einer europäischen Bankenunion Druck. Laut vorbereiteter Abschlusserklärung fordern sie, bis Jahresende einen Kompromiss zu einem gemeinsamen System zur Sanierung oder Schließung maroder Banken zu finden. Gegen das Vorhaben gibt es noch massiven Widerstand, unter anderem aus Deutschland.
Flüchtlingsdrama im Mittelmeer
Am Freitag steht die EU-Flüchtlingspolitik auf der Tagesordnung. Die Bürgermeisterin der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa, Giusi Nicolini, forderte in Brüssel eine Reform der europäischen Flüchtlingspolitik. Flüchtlinge müssten schon in ihren Heimatstaaten in den Botschaften der EU-Staaten Asylanträge stellen können, um nicht die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer wagen zu müssen.
Die EU-Einwanderungspolitik war durch die Flüchtlingstragödie vor Lampedusa mit mehr als 350 Todesopfern Anfang Oktober in die Kritik geraten. Während die Mittelmeer-Anrainer auf mehr Lastenteilung und Solidarität ihrer nördlichen Nachbarn pochen, wollen Deutschland und andere Länder das bestehende System nicht ändern.
kle/sti (dpa, afp, rtr)