Somalia - von der Unabhängigkeit in den Krieg
1. Juli 2010Mehrere weiße Militärtransporter stehen auf der Landebahn des Flughafens von Mogadischu, Männer in Tarnuniformen steigen ein. Schon jetzt läuft ihnen der Schweiß über das Gesicht, und im Inneren der gepanzerten Transporter ist es noch heißer. Trotz der Hitze und der Panzerung sind Helm und kugelsichere Weste Pflicht. Die Soldaten sind Teil einer afrikanischen Friedenstruppe, der "Mission der Afrikanischen Union in Somalia", kurz: AMISOM. Auf den weißen Militärfahrzeugen steht deshalb mit großen schwarzen Buchstaben das Kürzel der Afrikanischen Union: "AU". Ausgestattet mit einem Mandat der Vereinten Nationen soll die AMISOM die schwache somalische Regierung und wichtige Infrastruktur wie Flughafen und Seehafen schützen. Außerdem soll sie die anarchischen Verhältnisse in Somalia so weit stabilisieren, dass humanitäre Helfer die Bevölkerung erreichen können – woran derzeit wegen der Kämpfe nicht zu denken ist. Denn in Somalia gibt es seit 1991 keine Regierung mehr, die das Staatsgebiet tatsächlich kontrolliert: Das Land, das vor fünfzig Jahren unabhängig wurde, ist schon seit fast zwanzig Jahren ein "gescheiterter Staat", ein "failed state".
Gefährliche Sprengkörper
Die Männer, die am Flughafen in die Transporter steigen, gehören zu einem Bataillon aus Uganda. "Unser größtes Problem sind im Moment die 'IEDs', die selbstgebauten Sprengkörper", sagt Oberstleutnant Jack Bakasumba, der Kommandant der ugandischen Einheiten. "Sie werden normalerweise entlang der Straßen ausgelegt, die wir mit dem Konvoi benutzen." Die IEDs sind ferngesteuert und haben eine Reichweite von 300 bis 500 Metern. Damit die Fahrzeugkolonne das Lager am Flughafen überhaupt verlassen kann, schickt Bakasumba jeden Morgen eine Patrouille mit Ingenieuren auf die Suche nach den IEDs. Im ersten Morgengrauen, wenn außer ihnen noch niemand unterwegs ist, versuchen sie, die Sprengsätze zu finden und zu entschärfen. Dieser Auftrag ist ein Himmelfahrtskommando, häufig kommen nicht alle Männer ins Lager zurück. "Natürlich lassen sich die Angriffe selbst durch die Patrouillen nicht völlig verhindern", sagt Bakasumba. "Wenn jemand fest entschlossen ist, eine solche Bombe zu zünden, wird er das immer schaffen."
Ein Staat in Trümmern
Um sein Ziel zu erreichen, muss der Konvoi an diesem Morgen quer durch die Stadt: zum Sitz des somalischen Präsidenten Sharif Sheikh Ahmed, dem Kopf der sogenannten "Nationalen Übergangsregierung". Der Weg führt durch ein Ruinenfeld, denn das alte Zentrum von Mogadischu ist fast völlig zerstört. Parlamentsgebäude und Ministerien, Nationaltheater, Luxushotels und Banken – alles liegt in Trümmern. Überall stehen die Notunterkünfte der Vertriebenen: Plastikfetzen, Tücher oder alte Getreidesäcke, die mehr schlecht als Recht über Äste und Baumstämme gespannt sind.
Wo Kriegsfürsten das Sagen haben
Die Lage der Bevölkerung wird immer dramatischer, denn durch die jahrelangen Kämpfe ist die Wirtschaft zusammengebrochen. Seit fast zwanzig Jahren kontrollieren Kriegsfürsten und Milizen das einstige Staatsgebiet. Rund ein dutzend Versuche der Regierungsbildung sind gescheitert, seit Siad Barre 1991 gestürzt wurde. Einen unabhängigen Staat Somalia gab es nur rund dreißig Jahre lang, vom 1. Juli 1960 bis zu Siad Barres Sturz im Januar 1991.
Entstanden war Somalia durch den Zusammenschluss einer ehemals britischen und einer ehemals italienischen Kolonie. Dabei waren die beiden Teile des Staates einander im Grunde fremd, zu unterschiedlich waren die ererbten staatlichen Strukturen. Trotzdem begann die Unabhängigkeit mit großen Hoffnungen, als parlamentarische Demokratie. Doch die Euphorie dauerte nicht lang: 1969 putschte sich Generalmajor Muhammed Siad Barre an die Macht. Der Militärdiktator machte Somalia zu einem Spielball im Kalten Krieg. Siad Barre tat nichts für die Entwicklung des Landes, bespitzelte die Bevölkerung und kaufte Waffen im großen Stil. Als er im Januar 1991 aus Mogadischu floh, hinterließ er dem verarmten Wüstenstaat nicht mehr als einen übervollen Fundus hochmoderner Waffen. Daraus bedienten sich die somalischen Klans, und fingen an, einander erbarmungslos zu bekämpfen.
Mit dem Rücken zur Wand
Rund zwanzig Jahre später steht auch die jetzige Übergangsregierung schon wieder mit dem Rücken zur Wand. Sie kontrolliert nur noch ein paar Straßenzüge in der Hauptstadt Mogadischu, der Rest ist in der Hand radikal-islamischer Kämpfer. Bewaffnete Kriminelle und Klanmilizen verbreiten zusätzliche Unruhe.
Der Sitz des Übergangspräsidenten Sharif Sheikh Ahmed liegt auf einer kleinen Anhöhe. Von hier aus wandert der Blick über die zerstörten, einst italienischen Prachtgebäude der Innenstadt. Ganz in der Ferne verschwimmt der Horizont mit dem Meer. Währenddessen haben die Militärfahrzeuge der AMISOM auf einem Hof gehalten, der neben dem Sitz des Präsidenten liegt. Hier hat die Einheit eine Stellung, die Männer steigen aus. Kommandant des Konvois ist ein 34-jähriger Offizier aus Burundi. "Die Operation heute Morgen hat zum Ziel, die Männer in dieser Stellung mit frischem Trinkwasser zu versorgen", sagt der Offizier, der lieber ungenannt bleiben will, denn für ein Interview ist er nicht autorisiert. "Um den Tankwagen zu sichern, begleiten wir ihn mit fünf Fahrzeugen. In jedem davon sitzen acht Soldaten. Wir sind also rund vierzig Männer."
Zu gefährlich für die UNO
Ein Teil der Soldaten bleibt hier, um die Stellung am Präsidentenpalast zu verstärken. Die anderen fahren zurück zur Basis am Flughafen und holen noch mehr Verstärkung.
So ähnlich wie heute sähen alle Tage der AMISOM-Truppen aus, sagt der junge Kommandant: "Wir organisieren unsere Verpflegung."
Inzwischen dienen die Patrouillen nur noch der eigenen Sicherheit. Denn um ihr Mandat erfüllen zu können, ist die Truppe personell und finanziell viel zu schlecht ausgestattet. Das UN-Mandat von Anfang 2007 bewilligt 8000 Soldaten. Doch noch immer fehlen rund 3000 Männer. Die Afrikanische Union erklärt das mit finanziellen Problemen und hat die Vereinten Nationen mehrfach um Hilfe gebeten. Die Antwort des UN-Generalsekretärs ist immer gleich: Somalia sei für UN-Soldaten viel zu gefährlich.
Mit dem Chaos Geld verdienen
Deshalb arbeitet auch Ahmedou Ould-Abdallah im benachbarten Kenia und nicht in Mogadischu, obwohl er der Sonderbotschafter der Vereinten Nationen für Somalia ist. Ahmedou Ould-Abdallah scheint aufrichtig um eine Lösung für Somalia bemüht, doch auch er glaubt nicht an ein schnelles Ende der Kämpfe. "Wir dürfen nicht vergessen, dass die meisten Kriege eine finanzielle und wirtschaftliche Dimension haben", sagt der Diplomat. Er meint damit die Einnahmen aus Menschenschmuggel und Drogenhandel, Straßensperren, Viehdiebstahl und aus der Veruntreuung von humanitärer Hilfe. "Das ist in einem Land wie Somalia Grund genug, den Krieg fortzusetzen, um von diesen Geldern etwas abzukriegen." Selbst wer morgen deswegen sterbe, werde heute noch um seinen Anteil kämpfen, meint Ahmedou Ould-Abdallah. Deshalb sei es unmöglich, den Krieg militärisch zu beenden. Aus seiner Sicht setzt die Internationale Gemeinschaft bei ihrer Suche nach Lösungen viel zu stark auf die militärische Komponente. "Menschen, die nur durch kriegerische Gewalt überleben können, brauchen eine bessere Alternative."
Tatsächlich ist das in der politischen Diskussion noch ein relativ neuer Gedanke: Dass Bürgerkriege aus Sicht vieler Akteure kein "Unfall" sind, sondern dass der Bürgerkrieg ganz im Gegenteil ein gewollter Zustand ist, weil sich im Chaos Geld verdienen lässt.
Autorin: Bettina Rühl
Redaktion: Katrin Ogunsade