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Sorge um Pressefreiheit in Polen

Monika Sieradzka, Warschau3. Mai 2016

In der Rangliste der Pressefreiheit von "Reporter ohne Grenzen" ist Polen um 29 Plätze abgestiegen. Durch ein neues Gesetz könnten öffentliche Medien verstaatlicht werden. Monika Sieradzka berichtet aus Warschau.

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Das Gebäude des polnischen Senders TVP in Warschau (Foto: epa)
Der Sitz von TVP in WarschauBild: picture-alliance/dpa/L. Szymanski

Pünktlich vor dem 3. Mai - dem Tag der Pressefreiheit - bringt die national-konservative Regierung in Warschau einen Gesetzentwurf ins Parlament ein und sorgt damit für hitzige Debatten. Unter anderem sollen öffentlichen Medien in "nationale Medien" umgestaltet werden. Die Opposition spricht von einem "Anschlag auf die Wahrheit". Die Inhalte des polnischen Fernsehens werden immer tendenziöser - so lautet einer ihrer Vorwürfe.

Ein Beispiel: Der Umgang mit Demonstrationen gegen die Regierung. Seit Monaten protestieren an den Wochenenden Tausende von Menschen, häufig ruft das Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) dazu auf. Doch in den Hauptnachrichten der öffentlichen Medien wird kaum darüber berichtet - und schon gar nicht live. Die neue Führung von TVP hat im März eine Live-Übertragung der Demos gegen die Regierung verboten - stattdessen wurde im TVP ein Gottesdienst zum 1050. Jahrestag der polnischen Christianisierung gezeigt.

Der Aufstand im Newsroom

Im Newsroom des Informationskanals TVP Info sind Proteste ausgebrochen: Man will die Demo als ein wichtiges Ereignis des Tages live senden und die verantwortlichen Redakteurinnen Magdalena Siemiątkowska und Izabela Leśkiewicz weigern sich, Geschichten zu produzieren, die aufgestellte Thesen bestätigen sollen. Sechs Rebellen, darunter die beiden Redakteurinnen, verlieren ihre Jobs.

Solche Konflikte nehmen zu, seitdem die national-konservative PiS-Regierung im Januar die Führung bei öffentlichen Medien neu besetzte. Diese wird nun direkt vom Finanzminister ernannt. So wurde Jacek Kurski - ein enger Verbündeter von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski - zum neuen Intendanten von TVP. "Ich werde das fundamentale Gleichgewicht in den öffentlichen Medien wieder herstellen, welches von den Vorgängern zerstört worden ist", kündigte er an. Kurski wirft seinen Vorgängern vor, dass sie nur linksliberale Meinungen zum Ausdruck kommen ließen - "als würde das andere, rechtskonservative und patriotische Polen, nicht existieren".

Politisierung der Medien - eine übersehene Tradition

Kurskis Argumente sind nicht ganz von der Hand zu weisen. Kürzlich hat er dem parlamentarischen Medienausschuss eine Liste von Journalisten präsentiert, die von den Vorgängern "aus politischen Gründen" entlassen worden seien. Tatsächlich ist die Politisierung der Medien eine der Erbsünden der jungen Demokratie: Alle polnischen Regierungen nach der Wende (1989) "haben am Fernsehen und Radio gefummelt - und die aktuelle tut es wenigstens offen, ohne Heuchelei", sagt ein TVP-Journalist im Gespräch mit der DW, der seinen Namen nicht veröffentlichen will.

Jacek Kurski, Intendant des polnischen Senders TVP (Foto: epa)
Jacek Kurski wirft seinen Vorgängern vor, nur linksliberale Meinungen dargestellt zu habenBild: picture-alliance/dpa/J. Turczky

Trotzdem war die pluralistische Struktur der öffentlichen Medien gesichert - auch schon deshalb, weil Vorstände, Aufsichtsräte und der Rundfunkrat unterschiedliche Amtszeiten hatten, die nicht den Legislaturperioden von Regierungen entsprachen. So konnte auch mal ein rechtskonservativ besetzter Rundfunkrat einen links besetzten Vorstand kontrollieren. Heute hat nur eine Partei das Sagen, die Kontrollfunktion des Rundfunkrates ist so gut wie lahmgelegt und die Intendanten werden direkt von der Regierung ernannt und abberufen.

"Mein Chef will mich verstecken"

Seit dem Wechsel an der Spitze der öffentlichen Medien in Polen sind über 140 Journalisten gegangen: Manche verabschiedeten sich selbst, anderen wurde mit Kündigungen gedroht, bis sie eher symbolische Abfindungsangebote annahmen.

Einige durften bleiben, gestalten aber nicht mehr das Programm. "Mein neuer Chef will mich verstecken", sagt eine ehemalige Redaktionsleiterin im Gespräch mit der DW, die anonym bleiben möchte. Sie muss ihre Familie versorgen und ist froh, dass sie nicht entlassen wurde. Doch die berufliche Degradierung schlägt ihr aufs Gemüt.

Eine andere erfahrene Redakteurin, Anna Mentlewicz, wurde nach 30 Jahren als anspruchsvolle Kulturjournalistin in die Landwirtschaftsredaktion versetzt. "Ich habe von meinen neuen Chefs gehört, dass es der einzige Platz sei, den ich verdiene", schrieb sie verbittert in einem öffentlichen Brief. Dabei sei sie weder rebellisch noch politisch aktiv: "Mein einziger Fehler ist, dass ich keine Verbündete der Rechtskonservativen bin."

Neue Rhetorik

Die frei gewordenen Stellen werden vor allem mit Journalisten besetzt, die aus rechts-konservativen Onlineportalen und Fernsehsendern kommen. Sie haben keine Hemmungen, die Regierungssprache zu übernehmen. Liberale Medien werfen ihnen deshalb Propaganda vor.

Ein konkretes Beispiel ist der Umgang mit dem Konflikt um das Verfassungsgericht in Polen. Im TVP sprechen Moderatoren und Reporter in Nachrichtensendungen nicht mehr von "Urteilen des Verfassungsgerichts", sondern von "Meinungen der Richter". Eine offizielle Sitzung des Verfassungsgerichts wird als "Treffen der Richter" bezeichnet, wodurch man versucht, dem Verfassungsgericht seine Legitimität zu entziehen. Dagegen will auch der Ombudsmann für Bürgerrechte vorgehen. Er sieht schon das Mediengesetz vom Anfang des Jahres als Verstoß gegen die Medienfreiheit und klagte dagegen vor dem Verfassungsgericht. Doch bisher ohne Folgen, denn die Regierung boykottiert derzeit sämtliche Urteile der Richter.

Christliche Werte in nationalen Medien

Die Opposition versuchte, das "große Mediengesetz" im Sejm zu stoppen - blieb aber erfolglos. Sollte es kommen, werden öffentliche Medien, die derzeit Aktiengesellschaften sind, bald in staatliche Institutionen umgewandelt und einem "Nationalen Rundfunkrat" unterstellt. Ihre Inhalte würden sich dann an "christlichen Werten" orientieren.

Als positiv wird bewertet, dass die Reform nun endlich ein zuverlässiges System für Fernseh- und Rundfunkgebühren schaffen soll. Anders als bisher werden die Gebühren künftig mit der Stromrechnung bezahlt, was die Zahlungsmoral verbessern soll. In den letzten Jahren entrichteten nur wenige Haushalte die Gebühr. Dadurch ist das öffentliche Fernsehen in Polen zu rund 80 Prozent von Werbeeinnahmen abhängig. Die Rundfunkgebühren scheinen umso notwendiger, da die Zuschauer ihr Urteil bereits deutlich gefällt haben: Die Zuschauerquote bei TVP bricht gerade drastisch ein.