30 Jahre South by Southwest
12. März 2016Texas ist vielleicht der amerikanischste aller US-Bundesstaaten. Selbst wer noch nie dort war, hat sofort viele Klischees im Kopf: Cowboys, Knarren und konservative Wähler. Für Teile von Texas mag das stimmen – doch in der Hauptstadt des Bundesstaates ticken die Uhren völlig anders: Austin ist eine überaus liberale, gerne auch etwas verrückte Metropole. Das Straßenbild bestimmen Studenten, kleine Geschäfte und rund 200 Clubs und Bars mit Live-Musik. Eine rekordverdächtige Zahl, und deshalb trägt die Stadt am Colorado River seit 1991 den Beinamen "Live Music Capital of the World".
Genau die richtige Kulisse für das Musikfestival South by Southwest, kurz SXSW, das noch bis zum 20. März läuft. Es gilt als das größte "Showcase"-Festival der Welt, also als Veranstaltung mit den meisten Live-Konzerten überhaupt. Das SXSW fing 1987 recht überschaubar an. 700 Besucher kamen zu dem lokalen Festival für alternative Country- und Rockmusik. Über die Jahre wurde die Veranstaltung immer größer. Mit inzwischen mehr als 30.000 Teilnehmern hat sich das SXSW längst als jährlicher Branchentreff der Musikindustrie etabliert.
Im Hörsaal mit Barack Obama und Snoop Dogg
Erster Anlaufpunkt ist das Kongresszentrum von Austin. Dort werden die sogenannten "Panels" veranstaltet: Musikprofis stehen dem Fachpublikum Rede und Antwort. Das Themenspektrum reicht von "Tipps & Tricks, um im Radio gespielt zu werden" über die "Wachsende Bedeutung des chinesischen Musikmarkts" bis hin zu den "Geheimnissen der digitalen Musikvermarktung in Skandinavien". Mit Spannung werden in jedem Jahr die Grundsatzreden ("Keynote Speeches") erwartet. In den vergangenen 30 Jahren haben bereits Legenden wie Johnny Cash, Bruce Springsteen, Lady Gaga und Snoop Dogg ihre Gedanken zum Showgeschäft vorgetragen. In diesem Jahr stand bereits US-Präsident Barack Obama am Rednerpult - und sorgte mit seinem Appell für mehr bürgerliches Engagement für Schlagzeilen..
Die Bühnen in den Clubs und Bars von Austin gehören vor allem dem Nachwuchs. Junge Bands aller Genres haben die Chance, sich einem internationalen Fachpublikum zu präsentieren. Genau das macht SXSW für Newcomer so spannend, denn mit etwas Glück stehen gerade die richtigen Zuhörer im Publikum. Und dann winken schon mal eine Einladung zu einem Festival-Gig in der Türkei oder ein Platten-Vertrag in Kanada oder Schweden. Natürlich fußt keine seriöse Musikerkarriere auf nur einem einzigen Auftritt, aber irgendwo muss ein Talent ja schließlich von den "richtigen" Machern entdeckt werden. So wie James Blunt, Franz Ferdinand, John Mayer oder The White Stripes: Bei all diesen Künstlern stieg die Popularität nach ihren Shows in Austin enorm an.
Newcomer hoffen auf den Durchbruch
Auch die Mannheimer Musikerin Laura Carbone fiebert bereits seit Wochen auf das Festival hin: "Ich war noch niemals in Amerika und ich habe mir vorgenommen, dass ich dort auftrete, wenn ich mal hinkomme", verrät sie. Im vergangenen Jahr hat sie in Deutschland ihr Debütalbum "Sirens" veröffentlicht. Nun will sie den nächsten Schritt wagen. Ihre melodiösen, düsteren Pop-Songs haben in jedem Fall internationales Potential: In Austin ist sie bislang für zwei Club-Konzerte sowie eine Radio-Show gebucht.
Laura Carbone ist eine von 21 deutschen Musikerinnen und Musikern, die bei ihrer Reise von der Initiative Musik unterstützt werden. Diese gemeinnützige Organisation wird seit 2007 von der deutschen Bundesregierung finanziert, um die deutsche Musikwirtschaft zu fördern. Das SXSW ist deshalb auch einer der wichtigsten Termine im Kalender der Initiative.
Im "German Haus" trifft Sauerkraut auf Krautrock
Vor Ort laufen die Fäden der deutschen Delegation im "German Haus" zusammen, der Bar "Lucille". Ein Highlight ist der sogenannte "Wunderbar Lunch" mit Gesprächsrunde und Konzerten. Das Motto ist in diesem Jahr "Krautrock", also der urdeutsche Musikstil, der seit den 1970er Jahren Musiker weltweit beeinflusst hat. Mit den Bands Faust, Kreidler und Stabil Elite stehen drei Vertreter unterschiedlicher Generationen auf der Bühne und zeigen, dass die Musik bis heute nichts von ihrer Dynamik und Relevanz eingebüßt hat.
Doch das SXSW versteht sich längst nicht mehr als reine Musikmesse. 1994 kamen die Bereiche "Film" und "Interaktive Medien" dazu. Vor allem Letztere spielen eine immer wichtigere Rolle. Denn während die goldenen Zeiten der Musikindustrie längst Geschichte sind, ist die Start-Up-Branche gefragt wie nie. Die jungen Unternehmen sind hungrig und gieren nach Innovationen.
Accelerator-Wettbewerb: Start-Ups stellen sich vor
Auch deshalb hat das SXSW 2009 einen eigenen "Accelerator"-Wettbewerb ins Leben gerufen. Solche "Beschleuniger" sollen jungen Start-Ups helfen, ihre Ideen in die breite Öffentlichkeit zu streuen. So wie die großen Vorbilder Steve Jobs und Mark Zuckerberg treten die Firmengründer vor eine fachkundige Jury und tragen ihre Vision vor. Wer die richtigen Worte findet, kann bei solchen Veranstaltungen auf weltweite Öffentlichkeit und finanzstarke Kapitalgeber hoffen.
"Die Deutschen haben inzwischen einen sehr guten Ruf", erläutert Mirko Whitfield, der die europäischen und asiatischen Teilnehmer beim SXSW betreut. Seiner Ansicht nach haben die deutschen Start-Ups beim diesjährigen "Accelerator" gute Chancen. Nicht zuletzt wegen des Erfolgs von Tinnitracks. Dieses Hamburger Unternehmen stellte im vergangenen Jahr seine Smartphone-App für Tinnitus-Patienten vor. Nach dem Sieg in Austin wurde Tinnitracks in mehr als 100 Medienberichten erwähnt und konnte im Anschluss die App europaweit starten.
Deutsche Start-Ups wollen mit Virtual Reality-Apps durchstarten
Solche Erfolgsgeschichten sind natürlich ein großer Anreiz. Gleich zwei deutsche Start-Ups treten in diesem Jahr in der Kategorie "Virtual Reality Technologies" an, einem der derzeit heißesten Bereiche des Digital-Sektors. Das Hamburger Start-Up Spherie hat eine spezielle VR-Drohne entwickelt während das Berliner Start-Up Viorama in Austin zeigen will, wie man mittels Splash-App handelsübliche Smartphones zu VR-Kameras umrüsten kann. Aber auch die Musik soll beim SXSW Accelerator nicht zu kurz kommen: Das Berliner Start-Up Rescued Ideas wird sein Basslet vorstellen. Ein rotes Armband, das musikalische Bass-Frequenzen spürbar macht.
Egal, welche Veranstaltungen man in den nächsten Tagen beim SXSW besuchen wird - eines ist klar: In Austin spielt die Musik.