Wahlen in Montenegro
11. Oktober 2012Die montenegrinische Opposition verfehlte erneut ihr Ziel, der sozialistischen Dauerregierung ein Ende zu setzen. Die Regierungspartei kommt zusammen mit den Vertretern der nationalen Minderheiten, die Koalitionspartner sind, auf eine Mehrheit von 44 von insgesamt 81 Sitzen im Parlament.
Der kleinste Nachfolgestaat Jugoslawiens löste sich 2006 von Serbien ab und hat weniger als 650.000 Einwohner. Montenegro gehört zwar offiziell nicht zur Euro-Gruppe, doch in dem Kleinstaat wird in Euro gezahlt. 2002 führte Montenegro (das damals noch zu einer Staatengemeinschaft mit Serbien gehörte) unilateral den Euro als Währung ein - ohne die vorherige Erlaubnis aus Brüssel.
Der Durchschnittslohn liegt in Montenegro bei nur 480 Euro im Monat, doch die Lebenskosten sind so hoch, dass eine Familie mindestens das Doppelte dieser Summe braucht, um bescheiden über die Runden zu kommen. Die Arbeitslosigkeit steigt, auch Inflation und Haushaltsdefizit werden immer höher. Die soziale Ungleichheit ist gravierend, in kaum einem anderen Land Europas ist die Kluft zwischen Arm und Reich so tief.
Auch auf politischer Ebene gibt es schwerwiegende Probleme: Zwar seien sogar jene Bürger, die beim Referendum von 2006 gegen die Unabhängigkeit gestimmt hatten, heute davon überzeugt, "dass diese der richtige Weg war", sagt der Politik-Experte Zoran Radulovic aus Podgorica im Gespräch mit der DW. "Doch das Problem ist, dass wir diesen Weg nicht schnell und konsequent genug weitergegangen sind", beklagt er. Denn Demokratie und Rechtstaatlichkeit seien immer noch defizitär.
Djukanovic kehrt an die Macht zurück
Seit Beginn der 1990er Jahre wird das Land von derselben Partei regiert, der Demokratischen Partei der Sozialisten (DPS). Die Schlüsselfigur ist Milo Djukanovic, der in den vergangenen 22 Jahren mit kleinen Pausen immer entweder Staatspräsident oder Regierungschef war. Vor weniger als zwei Jahren ist er als Premier zurückgetreten, aber weiterhin Parteivorsitzender geblieben. Jetzt kehrt er als Regierungschef zurück.
Anfang der 1990er Jahre war Djukanovic ein Verbündeter des langjährigen serbischen Autokraten Slobodan Milosevic, später distanzierte er sich immer mehr von ihm. Er führt freundschaftliche Beziehungen mit mehreren Personen, die wegen Korruption und anderen Vergehen von der Polizei gesucht werden. Seine eigene Familie ist zu einem Vermögen von mehreren Dutzend Millionen Euro gekommen. Gleichzeitig gilt er als "Vater" der montenegrinischen Unabhängigkeit und präsentiert sich als deren einziger Beschützer: "Bei diesen Wahlen steht das auf dem Spiel, was wir am 21 Mai 2006 gewonnen haben", sagte Djukanovic im Wahlkampf. Die Mitglieder der Opposition würden sich zwar als "echte Montenegriner" darstellen, doch in Wirklichkeit hätten sie großserbische Interessen, wären also gegen die Unabhängigkeit.
Die Erfolgschancen der Opposition waren bei diesen Wahlen größer als in vergangenen Jahren - darauf hatten zumindest die Umfragen gedeutet. Denn viele Bürger waren unzufrieden mit der sozialistischen Regierung, die viele Versprechen gebrochen hatte. Zum Oppositionsbündnis gehört auch die neugegründete Partei "Positives Montenegro".
Einziger Konsens: EU-Beitritt
Die stärkste Gruppierung der Opposition ist der Parteienblock "Demokratische Front". Geführt wird er vom ehemaligen jugoslawischen Botschafter in Rom, Miodrag Lekic. Oppositionsführer Lekic wurde unmittelbar vor den Wahlen von EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle in Brüssel empfangen. Dadurch war es für Djukanovic schwieriger, sich als einzigen Garanten für einen europäischen Kurs der Politik Montenegros zu präsentieren. Seit Juni 2012 führt Montenegro Beitrittsverhandlungen mit der EU - das hat Djukanovic als eigenen Erfolg dargestellt. Doch im Zentrum der Beitrittsgespräche liegen weiterhin die verbreitete Korruption, die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz und Vorwürfe des Missbrauchs von Polizei und Geheimdiensten zu politischen Zwecken.
Der Wunsch nach einer Annäherung an die EU ist der fast einzige Konsens in der tief gespaltenen Gesellschaft Montenegros: Umfragen zeigen, dass zwei Drittel der Montenegriner für den europäischen Kurs sind. Doch der Kleinstaat an der Adria gilt weiterhin als eines der korruptesten Länder Europas.