"Im Prinzip ist es Mittäterschaft"
21. Oktober 2017DW: Was sich in den internationalen Medien zu der "Causa Harvey Weinstein" darstellt, ist das männliche Muster eines Mannes, der sich Kraft seiner Machtposition nimmt, was er will. Wie tradiert ist dieses Bild?
Prof. Rolf Pohl: Dieser Fall zeigt, wie präsent dieses eigentlich alte Bild vom Mächtigen ist, der alles bekommt, worauf er Lust hat. Die dem zugrunde liegenden Strukturen haben sich ganz offensichtlich nicht verändert oder sind gar verschwunden.
Hollywood-Produzent Weinstein war in der Filmbranche ein Schwergewicht mit großem Einfluss. Welche Rolle spielt in diesem Fall die Machtposition?
Diese Position verleitet zu dem Gefühl: Das steht mir zu, ich kann das machen und habe die Machtfülle. Da es sich hier auf das weibliche Geschlecht richtet, muss man feststellen, dass dieses gesellschaftliche Bild von Mächtigkeit sehr stark mit Männlichkeit verknüpft ist.
Offenbar hat ganz Hollywood von Weinsteins sexistischen Verhalten gewusst. Es kursierten Witze, und in seinem Unternehmen sollen neue Mitarbeiterinnen vor ihm gewarnt worden sein. Geht es hier um eine allein geschlechtsspezifische Frage oder ein in sich geschlossenes System?
Das lässt sich nicht voneinander trennen, weil die Strukturen des Systems eine Männlichkeit hervorbringen, die sich mit Macht verknüpft. Und jeder merkt, das wird gedeckt. Es ist ein spezieller Typ von Männlichkeit, der die Orte dieses Systems (z.B. in der Filmbranche, Anmerk.d.Red.) als sexuelles Jagdrevier begreift.
Den Opfern ist bereits vorgeworfen worden, sich für ihre Karriere bereitwillig auf Sex eingelassen zu haben. Wo beginnt die Unterscheidung zum sexuellen Übergriff?
Wenn ein Nein signalisiert und das Brechen dieses Widerstands als sportliche Herausforderung gesehen und mit Gewalt durchgesetzt wird. Viele Frauen haben sich hier offenbar in einem Dilemma gesehen, zu Beginn ihrer Karriere mit diesem wichtigen Mann konfrontiert gewesen zu sein – und haben aus Scham geschwiegen, auch aus Scham über sich selbst.
Hollywood-Regisseur Quentin Tarantino (s. Artikelbild, links) hat gerade zugegeben, von allem gewusst, es aber heruntergespielt zu haben. Gibt es in solchen Fällen eine Männersolidarität - unausgesprochen, mit der Tendenz, sexuelle Übergriffe als Kavaliersdelikt abzutun?
Ich befürchte, dass es diese Männerkumpanei nach wie vor gibt. Es wird nicht systematisch zusammen ausgeheckt, sondern im Nachhinein beschwichtigt und bagatellisiert, möglicherweise auch vor dem Hintergrund der eigenen Einstellung zu Frauen. Da ist Männerfreundschaft wichtiger, als die vermeintliche Nebensächlichkeit, mal eine Frau anzugrapschen.
Im Prinzip ist es eine Mittäterschaft, aber sie ist salonfähig: Sogar der amerikanische Präsident hat proklamiert, als Mächtiger sei es legitim, Frauen zwischen die Beine zu greifen.
Einige Frauen, die mit Weinstein in ähnlich bedrohlichen Situationen waren, haben sich nicht darauf eingelassen und sind gegangen, unter ihnen Gwyneth Paltrow (re). Wieso gab es in diesen Fällen nicht den Impuls, andere Frauen zu warnen?
Das ist etwas, das ich auch nicht verstehe. Frauen sind nicht unbedingt die besseren Menschen, auch nicht im Umgang mit diesen Dingen. An diesem jahrelangen Verschweigen und Dulden haben sich alle beteiligt, das ist dramatisch. Aber die ersten Opfer dieses Systems waren und sind Frauen.
Auch die männliche Hollywood-Elite stand in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Weinstein. Erklärt das ihre Schweigsamkeit?
Es ist einerseits eine sexuelle Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen und andererseits eine geschäftliche – allerdings mit einer fließenden Grenze zur Kumpanei.
Wie bewerten Sie die weltweiten Reaktionen, darunter die tausendfachen Bekundungen unter dem Hashtag #MeToo?
Es kocht immer wieder mal hoch, ich erinnere an die Sexismusdebatte vor vier Jahren unter dem Hashtag #Aufschrei, die aber plötzlich verschwunden war. Die Zahl der Reaktionen überrascht mich nicht, weil sich die Machtstrukturen, die diesen Sexismus immer wieder hervorbringen, nicht grundsätzlich gewandelt haben. Wir sind im Umgang mit den Geschlechterverhältnissen nicht so modern geworden, wie wir eigentlich glauben.
In der Berichterstattung schwingt häufig mit, dass den betroffenen Frauen etwas passiert sei – als wäre ihnen ein Glas heruntergefallen. Muss der Umgang mit der Sprache nicht sensibler werden, um die Täterschaft klarer zu belegen?
Ja, eigentlich reden wir über das weibliche Opfer: Die Frau hat sexuelle Gewalt erfahren – als sei es einfach über sie gekommen. Man sollte benennen, dass es um sexuelle Gewalt von Männern geht, sonst reproduziert man den Verlust des weiblichen Subjektstatus. Beim sexuellen Übergriff wird die Frau bereits zum Objekt gemacht, was sich in der Sprache wiederholt.
Das Gespräch führte Torsten Landsberg.
Rolf Pohl, 66, ist emeritierter Professor für Sozialpsychologie an der Leibniz Universität Hannover. Sein Schwerpunkt ist Männlichkeits- und Geschlechterforschung. Er schrieb unter anderem das Sachbuch "Feindbild Frau. Männliche Sexualität, Gewalt und die Abwehr des Weiblichen" (2005), und ist Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Politische Psychologie.