Später Sieg für "Frauen der Klagemauer"
12. Februar 2016"Es ist ein wundervoller Sieg, aber es bleibt noch viel zu tun", sagt Lesley Sachs mit einem zufriedenen Lächeln. Für die Direktorin der Organisation Neshot Hakotel, den "Frauen der Klagemauer", kommt es einer kleinen Revolution gleich, was das israelische Kabinett unter Premierminister Benjamin Netanjahu vor kurzem entschied: An der jüdischen Klagemauer soll eine neue Gebetszone eingerichtet werden, in der Männer und Frauen gemeinsam beten können.
"Das ist ein Ort, der Platz bieten soll, für das ganze Volk Israel", erklärte Netanjahu. "Ich weiß, dass das ein sensibles Thema ist, und dennoch denke ich, dass es eine vernünftige Lösung ist." Von einer kreativen Lösung hatte Premier Netanjahu vor der Abstimmung gesprochen. 15 Kabinettsmitglieder stimmten dafür, fünf Vertreter der ultra-orthodoxen Parteien dagegen.
Bislang gibt es zwei Gebetsbereiche an der Klagemauer, dem für Juden heiligsten Ort in der Jerusalemer Altstadt: Einen größeren für Männer, und einen kleineren für Frauen. Beide werden vom orthodoxen Rabbinat verwaltet. Nach dem neuen Plan soll sich der neue gemischte Bereich südlich davon anschließen. Eine bereits bestehende kleinere Plattform soll dafür weiter ausgebaut werden und alle Gebetsbereiche werden über einen neuen, gemeinsamen Eingang zugänglich sein. Nicht das orthodoxe Rabbinat sondern ein eigens eingesetztes Komitee soll die Zone verwalten. Auch das ist ein Novum.
Es ist ein später Sieg für die Frauen von "Women of the Wall". "Als wir anfingen, waren die meisten noch alleinstehende junge Frauen. Heute haben viele von uns schon Enkelkinder", erinnert sich Lesly Sachs. "Wir haben den Staat Israel verändert, aber wie! Der heiligste Ort aller heiligen Orte wird jetzt erweitert werden." Das sei das erste Mal, das Israel anerkenne, dass es mehr als einen Weg gäbe, zu beten. Es ist vor allem ein Erfolg der liberalen jüdischen Bewegungen und des Reformjudentums.
Umstrittene Gebetsriten für Frauen
Seit 27 Jahren haben die "Frauen der Klagemauer" vor Gericht und mit ihrer Präsenz an der Klagemauer für Gleichberechtigung beim Beten gekämpft. An jedem ersten Tag im Monat des jüdischen Kalenders, dem Rosh Hodesh, ziehen sie mit Gebetsschal und Gebetsriemen zum Kotel, wie die Klagemauer in Israel auch genannt wird. Dann sind sie kaum zu überhören - sie singen laut und lesen im Frauenbereich gemeinsam aus der Tora. Dort, wo Frauen sonst nur still und in sich gekehrt beten. Frauen dürfen nach ultra-orthodoxem Verständnis allenfalls still ihre Lippen bewegen, um die betenden Männer im Bereich nebenan nicht abzulenken.
Immer wieder gab es teils heftige Auseinandersetzungen mit Ultra-Orthodoxen. Frauen wie Männer versuchten, die jüdischen Feministinnen zu behindern. Einige der Aktivistinnen wurden sogar zeitweise verhaftet. Und auch jetzt ist die Empörung in orthodoxen Kreisen groß. "Ich denke, sie sollten eigentlich überhaupt keinen Platz Klagemauer haben", sagt Yitzhak Pindrus von der ultra-orthodoxen "Degel Ha Torah”-Partei. "Andererseits bin ich auch erleichtert, weil sie uns nicht mehr beim Gebet stören werden, aber ich halte es für falsch, ihnen diesen Ort zu geben", so Pindrus, der auch im Jerusalemer Stadtrat sitzt. Sie könnten stattdessen am Herzl-Berg oder irgendwo anders beten, nur nicht an der Klagemauer.
Die Pläne sind nicht nur religiösen Hardlinern ein Dorn im Auge, sondern auch politisch brisant. Aus palästinensischer Sicht könnte die Erweiterung der Gebetsbereiche an der westlichen Mauer als eine Verletzung des "Status Quo" angesehen werden. Die Klagemauer gehört zum Komplex dessen, was für Juden der Tempelberg und für Muslime der "Haram Al Sharif" ist, der Felsendom und die Al-Aqsa-Moschee. Es ist zugleich einer der politisch heikelsten Orte der Welt, weil er Juden und Muslimen heilig ist.
Nach der Eroberung 1967 durch Israel wurde die Verwaltung des Gebiets der jordanischen Waqf-Stiftung übertragen, den Zugang kontrolliert Israel. Juden dürfen das über der Klagemauer liegende Areal auf dem die Al Aksa-Moschee und der Felsendom stehen, zwar betreten, aber dort eigentlich nicht beten. Im Kern gilt dieser Status Quo bis heute. Doch in den letzten Jahren besuchen immer mehr national-religiöse Juden den Tempelberg, um dort zu beten - und das sorgt für Spannungen mit Palästinensern.
Jede Veränderung rund um das Gebiet könnte deshalb als Provokation empfunden werden - vor allen Dingen in Zeiten, in denen es fast täglich ohnehin zu Gewalt kommt. Kritische Stimmen gibt es nicht nur in der palästinensischen Autonomiebehörde, sondern auch in geistlichen Kreisen.
"Um das Problem mit den betenden jüdischen Frauen zu lösen, sollte es nicht auf unsere Kosten, auf Kosten der islamischen Institutionen gehen", sagt der frühere Mufti von Jerusalem, Ikrima Sabri im DW-Interview. "Sie drängen die jüdische Religion in dieses Gebiet und zerstören dabei islamische Archäologie. Dieses illegale Verhalten können wir nicht akzeptieren."
Kritik auch von Archäologen
Selbst israelische Archäologen haben sich kritisch geäußert, denn im südlichen Teil der Klagemauer liegt ein archäologischer Park. "Es ist wichtig, diese antiken Stätten zu bewahren, das versuchen wir seit 40 Jahren", sagt der israelische Archäologe Meir Ben-Dov. "Hier sind über 20 Epochen vertreten, von der Zeit des Zweiten Tempels, Byzanz, den Muslimen - von unserem König Salomon bis zu Suleiman, dem Prächtigen."
Ben-Dov hatte nach dem Krieg 1967 die ersten Ausgrabungen in dem Gebiet gemacht und sich von Anfang an dafür stark gemacht, alle geschichtlichen Epochen, einschließlich der islamischen Epoche, zu bewahren. Die Entscheidung, was mit dem Areal passiere, sei aufgrund der besonderen Lage nicht nur in der Verantwortung Israels, sondern im Interesse aller zu sehen
Noch ist unklar, wann der neue Gebetsbereich tatsächlich umgebaut und zugänglich sein wird. Bis der neue Bereich fertig gestellt ist, werden die Frauen von der Mauer weiterhin im jetzigen Frauenbereich an der Klagemauer beten. Und das lautstark.