"Corona-Höhepunkt noch nicht erreicht"
4. März 2020Eigentlich findet zu Beginn der Sitzungswochen im Bundestag eine eher langweilige Befragung der Bundesregierung statt. Diesmal ist alles anders, was sich schon daran erkennen lässt, dass selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in den Plenarsaal gekommen ist - ein zu diesem Zeitpunkt äußerst seltener Vorgang. Der Grund: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gibt eine Regierungserklärung zu den Gefahren des Corona-Virus für Deutschland ab.
Zuvor hatten die Experten des Robert-Koch-Instituts wie fast immer in den letzten Tagen den neuesten Stand bekanntgegeben: 240 Infizierte gibt es in Deutschland, weitaus weniger also als etwa in China, in Südkorea oder dem Iran. Die Gefahr einer Epidemie wird als mäßig eingestuft, nicht wie noch vor kurzem als gering, aber eben auch nicht als hoch.
Transparenz soll Angst eindämmen
Spahn lobt die vielen Ärzte und Pfleger, die jetzt Außergewöhnliches leisten würden. Und er setzt vor allem auf Transparenz, um die Angst vor dem Virus einzudämmen: "Wir werden weiter jeden Tag sagen, was wir wissen, aber auch, was wir nicht wissen." Der Minister weist darauf hin, dass schon seit einigen Tagen weltweit die Zahl der nach einer Coronavirus-Infektion schon wieder geheilten Menschen höher sei als die der Neu-Infizierten. Aber von Entwarnung will er nicht sprechen: "Der Höhepunkt der Ausbreitung ist noch nicht erreicht."
Grundsätzlich fehlten immer noch viele Daten rund um das neue Virus, unklar sei etwa, ob sich die Menschen zweimal anstecken könnten oder ob eine Infektion schon zur Immunisierung führe. Bislang, so Spahn, sei es gelungen, Infizierte zu isolieren und die Infektionsketten zu unterbrechen. Denkbar sei nun, sich in der Intensivmedizin bald auf die schweren Erkrankungsfälle zu konzentrieren und die milden Fälle zu Hause in Quarantäne zu schicken. Kritisch merkt Spahn an, dass es immer noch zu lange dauere, bis Verdachtsfälle auf das Virus getestet würden.
Windige Geschäfte mit Atemmasken
Grundsätzlich glaubt der Gesundheitsminister daran, dass ein Großteil der Menschen auf das neue Virus besonnen reagieren werden. Aber er rügt auch "windige Geschäfte mit überteuerten Schutzmasken". Dazu passt, dass der Corona-Krisenstab der Regierung kurz vor der Sitzung des Bundestages beschlossen hat, den Export von Atemmasken, Handschuhen und Schutzanzügen zu verbieten. Ausnahmen gibt es nur wenige, etwa im Rahmen internationaler Hilfsaktionen. Das Gesundheitsministerium wurde außerdem damit beauftragt, zentral für Arztpraxen oder Krankenhäuser neue Schutzausrüstung zu besorgen.
Die Angst vor dem neuen, unbekannten Virus sei zutiefst menschlich, so Spahn, aber gerade deshalb sollten sich die Menschen bei seriösen Quellen über das Virus informieren: "Strafen Sie diejenigen, die versuchen, Angst und Falschmeldungen zu verbreiten, durch Nicht-Beachtung." So hatte etwa der Antisemitismus-Beauftragte des Landes Baden-Württemberg, Michael Blume, berichtet, auf einzelnen Einträgen bei YouTube werde behauptet, dass Virus sei von US-amerikanischen Juden hergestellt und verbreitet worden.
Abgeordnete bleiben gelassen
Im Bundestag selbst ist von der Corona-Angst wenig zu spüren. Viele Abgeordnete geben sich allerdings nicht mehr die Hand zur Begrüßung. Schon vor zwei Tagen entschloss sich etwa Innenminister Horst Seehofer (CSU), die Bundeskanzlerin am Rande einer Veranstaltung in Berlin lieber nicht per Handschlag zu begrüßen. Im Reichstagsgebäude sind seit neuestem Spender mit Desinfektionsmittel angebracht.
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hat außerdem in einem Brief an alle Volksvertreter dazu aufgerufen, sich verschärft um Hygiene zu bemühen. Sogar eine Anleitung zum richtigen Händewaschen ist dem Schreiben beigelegt. Schäuble wies die Abgeordneten zudem an, fürs Erste nur noch absolut notwendige Dienstreisen zu unternehmen.
Deutsche waschen kaum häufiger die Hände
Immer wieder haben in den letzten Tagen Politiker und Experten in Deutschland den Bürgern empfohlen, sich als beste Maßnahme gegen das Virus häufig die Hände zu waschen. Laut einer Umfrage des Forsa-Instituts hat das aber noch keine breite Wirkung in Deutschland. Trotz Coronavirus wäscht sich danach fast ein Drittel der Bundesbürger nicht regelmäßig die Hände mit Wasser und Seife.
Etwas umsichtiger sind die Deutschen allerdings geworden, was möglicherweise gefährliche Kontakte angeht. Etwa die Hälfte der Befragten gab an, aus Angst vor dem Corona-Virus das Berühren von Türklinken, Handläufen und Schaltern in der Öffentlichkeit zu meiden.
Linnemann: "Mittelstand darf nicht unter dem Corona-Virus leiden"
Unterdessen hat der Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung von CDU und CSU, Carsten Linnemann, von großen Sorgen im Mittelstand vor den Auswirkungen der Corona-Krise gesprochen: "Mir schreiben viele Mittelständler, dass es gerade Probleme gibt, natürlich in der Gastronomie, im Hotelgewerbe, aber auch im Maschinenbau, im Anlagenbau, die auf Teile warten, die sie jetzt nicht bekommen, aus China, aber auch aus anderen Regionen." Die Regierung müsse mehr Überbrückungskredite für solche Firmen bereitstellen, so Linnemann weiter.
"Wenn sie top-gesunde Mittelständler haben, kann es nicht sein, dass die durch das Virus in die Insolvenz gehen", erklärte Linnemann. Der Krisenstab der Regierung gab dann noch einige Entscheidungen bekannt, die deutsche Staatsbürger betreffen, die im Ausland mit der Epidemie konfrontiert sind. Deutsche, die im europäischen Ausland auf Anweisung lokaler Behörden in Quarantäne gehen, sollen diese dort auch zu Ende führen, so der Krisenstab. Und das Auswärtige Amt wird einen Hinweis veröffentlichen, dass auf Kreuzfahrtschiffen ein erhöhtes Quarantäne-Risiko besteht.