Spanien trocknet den Terrorismus aus
30. August 2006Als am 11. September 2001 die Zwillingstürme in New York einstürzten, hat sich Spanien gründlich verändert. Die politische Realität des Landes blieb nicht unberührt vom größten terroristischen Angriff der Geschichte, der auch als eigentlicher Beginn des 21. Jahrhunderts bezeichnet wird. Die Verschärfung des internationalen Terrorismus bedeutete den Anfang vom Ende des internen spanischen Terrorismus und der baskischen Terrororganisation ETA.
Bush und Aznar
Nach dem Angriff von El-Kaida auf das finanzielle Herz der Vereinigten Staaten begann Bush einen Krieg gegen den Terrorismus. Eines seiner Hauptanliegen war, die Terroristen außerhalb der Grenzen der Vereinigten Staaten zu bekämpfen. Jedoch konnte Bush seinen Kreuzzug nicht ohne Unterstützung des Westens führen, wenn er dessen Legitimität international nicht aufs Spiel setzen wollte. Der amerikanische Präsident konnte nicht nur auf den Rückhalt des immer treuen Tony Blair setzen, sondern fand auch im damaligen spanischen Präsidenten, dem Konservativen José María Aznar, einen engen Verbündeten. Das bekannte Foto von den Azoren besiegelte öffentlich diese Dreier-Allianz gegen den internationalen Terrorismus.
Die uneingeschränkte Unterstützung Aznars wurde durch eine Gegenleistung belohnt: der spanische Präsident erhielt Washingtons Unterstützung bei seinem Kampf gegen ETA. Dafür nahm das nordamerikanische Außenministerium ETA-Mitglieder in seine schwarze Liste der internationalen Terroristen auf; es half dabei, den finanziellen Gürtel um ETA enger zu schnallen und erhöhte die Kooperation, um Mitglieder der Organisation auch in jenen Ländern verfolgen zu können, in die sie geflüchtet waren (momentan sitzen um die 150 ETA-Mitglieder in französischen Gefängnissen ein). Letztendlich schaffte Aznar es, seinen blutigen Kampf gegen die baskische Terroristengruppe in den globalen Kreuzzug zu integrieren, den sein enger Verbündeter George W. Bush führt.
Der 11. März war der spanische 11. September
Am 11. März 2004 erhielten Aznar und mit ihm das ganze Land die Quittung für die Kooperation mit Bush: Angriffe islamistischer Terroristen auf Züge in Madrid hinterließen fast 200 Tote und Hunderte von Verletzten. Das Attentat fand drei Tage vor den Parlamentswahlen statt, für welche die Umfragen einen klaren Sieg der PP (Partido Popular) prognostiziert hatten, so dass deren Kandidat Mariano Rajoy als Nachfolger Aznars galt. Aznars eindeutige Befürwortung des Irakkrieges und Bushs kamen bei Spaniens Wähler nicht an.
Entgegen allen Prognosen verlor die PP die Wahlen vom 14. März jedoch; heute stellt die einstige sozialistische Opposition mit José Luis Rodríguez Zapatero den Präsidenten. Auf die Frage, warum die spanische Gesellschaft nicht genauso reagiert habe, wie die nordamerikanische nach dem 11. September, wo 94 Prozent der Bevölkerung Bush und seine Krisenbewältigungsstrategie unterstützten und ihn im November 2004 wieder wählten, antwortet Peter Waldmann, Professor für Soziologie an der Universität Augsburg: "Spanien gehört mit Sicherheit zu jenen westlichen Ländern mit der größten Erfahrung mit dem Phänomen des Terrorismus. Daher hat die öffentliche Meinung eine sehr differenzierte Haltung gegenüber den Erfolgen, aber auch den Grenzen einer Politik der harten Hand. Folglich entspricht Spanien nicht der Regel, nach welcher sich eine Krise, die durch einen terroristischen Angriff hervorgerufen wurde, besonders für die Politiker der harten Linie vorteilhaft auswirkt; wie Bush, Sharon, Putin oder eben Aznar."
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Aber die Folgen des 11. März gehen noch über den Machtverlust der PP hinaus. Die spanische Gesellschaft, und vor allem die baskische, zeigten einstimmig eine komplette Verurteilung der terroristischen Angriffe von Madrid. Kurz nach den brutalen Attentaten äußerte Arnaldo Oteg, Sprecher der Batasuna (der politische Arm der ETA) seine absolute Ablehnung des "Massakers". Er verneinte auch, im Gegensatz zu dem, was die Regierung von Aznar zunächst annahm, dass ETA hinter dem Attentat stehe.
"Der 11. März hatte einen psychologischen Effekt auf ETA und auf die Freiheit fordernde Linke: das Attentat von Madrid war ein Spiegel dessen, was passieren würde, wenn die terroristische Organisation einen solch wahllosen Angriff starten sollte. Die baskische Gesellschaft hat eindeutig gezeigt, dass sie die Attentate von Madrid verurteilt", sagt Paul Ríos, Koordinator und Sprecher von LOKARRI, einer Bürgerorganisation, die sich für Frieden und Versöhnung im Baskenland einsetzt. "Wenn ETA solch eine Tat beginge, dann wäre sie danach noch isolierter, als sie bereits ist." Folglich hat der 11. März die Überarbeitung der Strategie von ETA vorangetrieben.
Gorka Landaburu, Journalist und Direktor der Wochenzeitung "cambio 16" und Opfer eines ETA-Attentates, stimmt der These von LOKARRI zu: "Man kann nicht verneinen, dass der 11. März eine ETA-interne Debatte über Gewalt als Mittel zum Erreichen politischer Ziele beschleunigt hat. Dazu kam die Ablehnung in der eigenen Gesellschaft – der baskischen und der spanischen –, der politische Druck und die internationale Zusammenarbeit. All dies hat ETA und ihr Umfeld auf den Weg der Gewaltfreiheit gebracht."
Irreversibler Prozess?
Der 5. Jahrestag des 11.September trifft in Spanien zeitlich zusammen mit dem Friedensprozess, der in diesem März nach der Ankündigung des "anhaltenden Waffenstillstandes" von Seiten der ETA begonnen wurde. Ende Juni antwortete Zapatero darauf, indem er Gespräche mit der terroristischen Gruppe öffentlich angekündigt. Das war der zweite große Meilenstein im Friedensprozess, der begonnen worden war, um den so genannten baskischen Konflikt zu lösen.
In Spanien sprechen viele von der mutmaßlichen Unumkehrbarkeit des Friedensprozesses. Gorka Landaburu, der Baske und Journalist, möchte nicht ganz ausschließen, dass es in diesem Prozess möglicherweise auch noch Rückschritte geben könnte, aber er ist doch von den Erfolgsmöglichkeiten überzeugt: "Der Weg ist bereits vorgezeichnet und ETA hat keinen anderen Ausweg. Wenn sie weiter das verteidigen möchte, was sie verteidigt, so wird sie das mit Hilfe der demokratischen Institutionen und in Respekt des Gegners tun müssen. Zapatero hat ihr eine Landebahn angeboten - wenn sie diese nicht nutzt, so könnte das Ende desaströs sein."