Spaniens Parteien am Pranger
28. April 2016Offiziell ist es noch nicht. Aber alles deutet darauf hin, dass König Philipp VI von Spanien (Artikelbild links) am 3. Mai das Parlament auflöst. Dann ist die Frist zur Regierungsbildung abgelaufen und Spanien muss binnen 54 Tagen neu wählen. Das wäre der 26. Juni.
Derweil macht sich unter den Spaniern Verunsicherung breit. Denn zum ersten Mal seit der Rückkehr der Demokratie 1978 ist es dem Parlament nicht gelungen, eine Regierung zu bilden.
Grund dafür ist das Aufeinanderprallen von "alter und neuer Politik", meint der spanische Publizist und Autor Carlos Santos. "Die alten Parteien sind durch jahrzehntelange Korruption und Krisen verbrannt und befinden sich im freien Fall", erklärt er. "Sie koexistieren mit sehr jungen Parteien, die noch ungefestigt sind und viele Protestwähler anziehen." Alle fürchteten Neuwahlen. Denn es gebe viel zu verlieren und wenig zu gewinnen."
Mit den beiden "alten" Parteien meint Santos die konservative Volkspartei PP und die sozialdemokratische PSOE. Neu sind die liberalen "Ciudadanos " (dt.: Bürger) und die linkspopulistische "Podemos" (Wir können).
Seit Wochen beharken sich ihre Vertreter, Zugeständnisse sind selten. Antonio Barroso, Südeuropa-Spezialist der Londoner Politikberatung "Teneo Intelligence", gibt einen Einblick in den Streit: "PSOE schiebt Podemos nach links, Podemos schiebt PSOE nach rechts, weil sie mit "Ciudadanos" verhandelt haben. Die PP sagt, Ciudadanos mache mit Podemos gemeinsame Sache, und Ciudadanos bezeichnet die PP als ultrakonservativ."
Gespaltene Lager
Sowohl die bisherige Regierungspartei PP, als auch PSOE und Podemos sind seit den Wahlen im Dezember durch interne Krisen gegangen. "Nur Ciudadanos erweckt derzeit den Eindruck von innerer Geschlossenheit ", sagt Analyst Barroso. Für die drei derzeit stärksten Kräfte im Parlament werde es nun darauf ankommen, ihre jeweilige Einheit wiederherzustellen.
Offen sichtbar sind die Brüche in den Parteien des linken Spektrums: Mehrere PSOE-Politiker machen Pedro Sánchez seinen Parteivorsitz - und damit die Kandidatur zum Ministerpräsidenten - streitig, allen voran Susana Díaz, Präsidentin von Andalusien.
Bei Podemos hat der Vorsitzende Pablo Iglesias in den vergangenen Monaten diverse hochrangige Mitstreiter geschasst, die sich auf die Seite der "Nummer 2" Íñigo Errejón geschlagen hatten. Andere haben von sich aus das Handtuch geworfen. Zudem beginnen sich regionale Verbündete wie die valencianischen Nationalisten "Compromís" abzuwenden. Sie hatten durch ihr Bündnis mit Podemos zu dem großen Wahlerfolg im Dezember beigetragen.
Rajoys Strategie
Aber auch Mariano Rajoy, der bis zur Bildung einer neuen Regierung kommissarisch Ministerpräsident bleibt, ist in seiner Partei keinesfalls unumstritten. Jüngere Konservative beäugen kritisch, wofür ihr Parteichef steht: "Rajoys Generation steckt in einem Sumpf von Korruption, und der Krise hat sie kaum etwas entgegenzusetzen. Die Unzufriedenheit mit seiner Führung in der Partei ist groß", sagt Publizist Santos.
Dennoch können die Konservativen die Neuwahlen als zweite Chance verstehen. Politikberater Barroso glaubt sogar, dass Rajoy das größte Kapital aus den Neuwahlen schlagen könnte: "Er hatte zwischenzeitlich sehr schlechte Karten, aber wenn er nun erneut die Wahlen gewinnt, würde das seinen Führungsanspruch untermauern."
Schwierige Prognosen
Schon jetzt - zwei Monate vor dem voraussichtlichen Urnengang - haben die Gedankenspiele um seinen Ausgang längst begonnen. Nur will bisher niemand einen Tipp abgeben: "Die Situation ist so neu, dass man kaum etwas dazu sagen kann", gibt Teneo-Analyst Barroso zu.
Unverhofft großen Einfluss könnte eine nationale Koalition zwischen Podemos und der kommunistisch-grünen Fraktion "Izquierda Unida" (dt.: Vereinte Linken) ausüben. Die IU verfügt derzeit zwar nur über zwei Sitze im Parlament, bekam aber bei den Wahlen im Dezember fast 900.000 Stimmen. Sollten die Parteien gemeinsam anzutreten, könnten sie zur stärksten Macht im linken Flügel avancieren. Die PSOE wäre dann zum ersten Mal seit Ende der Franco-Diktatur noch nur drittstärkste Kraft im Parlament.
Noch halten die Parteien den Atem an und warten darauf, wer von ihnen für die verfehlte Regierungsbildung verantwortlich gemacht wird. Die Stimmung auf der Straße schwankt zwischen Enttäuschung und Langeweile.
Social-Media-Managerin María García, ist tief besorgt: "Sie haben Parteiinteressen über ernste Probleme wie Arbeitslosigkeit, Randgruppen, Gesundheit und Bildung gestellt. Das kann desaströse Folgen haben." Doktorand Jesús Gutierrez, Angestellter eines Universitätsverlags, glaubt nicht, dass sich durch Neuwahlen viel ändert: "Nach Jahrzehnten des Zwei-Parteien-Systems tritt jetzt - mit Ciudadanos und Podemos - die Uneinigkeit innerhalb der etablierten Parteien zu Tage." Das werde in zwei Monaten nicht anders sein.
So sieht es auch Publizist Santos: "Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Wahlen auf das gleiche Ergebnis hinauslaufen wie im Dezember." Santos schließt sogar eine Regierungskrise wie in Belgien nicht aus. Nach den Wahlen 2010 hatte es dort eineinhalb Jahre bis zur Bildung einer neuen Regierung gedauert.